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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Europa und (Lnglaud

er sich sein politisches Urteil rein erhalten hat unbeirrt durch
das wandelbare, stets nur von einzelnen Politikern beherrschte
Parteitreiben, ungetrübt durch die große" parla,nvutarischen Rede-
llbnngen und die ^ noch umfangreichern Ansführnngeli der Zei-
tuuugen --, der wird sich der Erkenntnis nicht verschließen können,
daß die gesamte politische Entwicklung unsers Weltteils in den letzte,, fünf¬
undzwanzig Jahren lediglich durch die großen militärischen Entscheidungen von
1866 und 1870/71 herbeigeführt worden ist. Diese Entwicklung kommt gerade
gegenwärtig zu einer Art von Stillstand, von dem ans sich neue politische
Aussichten eröffnen "ud neue Entwicklungen anbahnen. Obwohl um, in
Deutschland so gern von dein "Volk in Waffen" spricht, Übersicht mau das
doch meistens; die Hartnäckigkeit der eignen Meinung, die in der Mehrzahl
der Fälle nur auf die Parteibrille hinauskommt, trübt den Blick. Duzn giebt
es noch immer zahlreiche Deutsche, die von der Gcniütlichkeit der Kleinstaaterei
weiter eingewickelt und gewiegt sein möchten, die noch ihre Stammesbrüder
hassen oder verachten, dagegen jeder fremde,, Mode "achlaufen, vor allem
Fremden lächerliche" Respekt zur Schau trage", im Auslande ihre deutsche
Geburt verleugnen und sich vor den Fremden erniedrigen. Aber für das, was
eigentlich das deutsche Reich geschaffen und unsrer politischen Gegenwart seine"
Stempel aufgedrückt hat, fehlt das richtige Verständnis. Es ist ja in dieser
Beziehung vieles besser geworden, aber auch der großen Menge, die sich "voll
und ganz" der Reichsidee angeschlossen zu haben meint, geht noch der klare
Einblick in den wahren Zusammenhang der Dinge ab, und ihr Patriotismus
äußert sich oft mir mit jener großmäuliger Beredsamkeit, die sich vor den
großen Waffeuentschcidungen der Jahre 1864 und 1866 auf Schützenfesten und
in Volksversammlungen breit machte. Zum Beweis dafür braucht mau nur


Gmizboten IV 1893 ig


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er sich sein politisches Urteil rein erhalten hat unbeirrt durch
das wandelbare, stets nur von einzelnen Politikern beherrschte
Parteitreiben, ungetrübt durch die große» parla,nvutarischen Rede-
llbnngen und die ^ noch umfangreichern Ansführnngeli der Zei-
tuuugen —, der wird sich der Erkenntnis nicht verschließen können,
daß die gesamte politische Entwicklung unsers Weltteils in den letzte,, fünf¬
undzwanzig Jahren lediglich durch die großen militärischen Entscheidungen von
1866 und 1870/71 herbeigeführt worden ist. Diese Entwicklung kommt gerade
gegenwärtig zu einer Art von Stillstand, von dem ans sich neue politische
Aussichten eröffnen »ud neue Entwicklungen anbahnen. Obwohl um, in
Deutschland so gern von dein „Volk in Waffen" spricht, Übersicht mau das
doch meistens; die Hartnäckigkeit der eignen Meinung, die in der Mehrzahl
der Fälle nur auf die Parteibrille hinauskommt, trübt den Blick. Duzn giebt
es noch immer zahlreiche Deutsche, die von der Gcniütlichkeit der Kleinstaaterei
weiter eingewickelt und gewiegt sein möchten, die noch ihre Stammesbrüder
hassen oder verachten, dagegen jeder fremde,, Mode »achlaufen, vor allem
Fremden lächerliche» Respekt zur Schau trage», im Auslande ihre deutsche
Geburt verleugnen und sich vor den Fremden erniedrigen. Aber für das, was
eigentlich das deutsche Reich geschaffen und unsrer politischen Gegenwart seine»
Stempel aufgedrückt hat, fehlt das richtige Verständnis. Es ist ja in dieser
Beziehung vieles besser geworden, aber auch der großen Menge, die sich „voll
und ganz" der Reichsidee angeschlossen zu haben meint, geht noch der klare
Einblick in den wahren Zusammenhang der Dinge ab, und ihr Patriotismus
äußert sich oft mir mit jener großmäuliger Beredsamkeit, die sich vor den
großen Waffeuentschcidungen der Jahre 1864 und 1866 auf Schützenfesten und
in Volksversammlungen breit machte. Zum Beweis dafür braucht mau nur


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[0153] [Abbildung] Europa und (Lnglaud er sich sein politisches Urteil rein erhalten hat unbeirrt durch das wandelbare, stets nur von einzelnen Politikern beherrschte Parteitreiben, ungetrübt durch die große» parla,nvutarischen Rede- llbnngen und die ^ noch umfangreichern Ansführnngeli der Zei- tuuugen —, der wird sich der Erkenntnis nicht verschließen können, daß die gesamte politische Entwicklung unsers Weltteils in den letzte,, fünf¬ undzwanzig Jahren lediglich durch die großen militärischen Entscheidungen von 1866 und 1870/71 herbeigeführt worden ist. Diese Entwicklung kommt gerade gegenwärtig zu einer Art von Stillstand, von dem ans sich neue politische Aussichten eröffnen »ud neue Entwicklungen anbahnen. Obwohl um, in Deutschland so gern von dein „Volk in Waffen" spricht, Übersicht mau das doch meistens; die Hartnäckigkeit der eignen Meinung, die in der Mehrzahl der Fälle nur auf die Parteibrille hinauskommt, trübt den Blick. Duzn giebt es noch immer zahlreiche Deutsche, die von der Gcniütlichkeit der Kleinstaaterei weiter eingewickelt und gewiegt sein möchten, die noch ihre Stammesbrüder hassen oder verachten, dagegen jeder fremde,, Mode »achlaufen, vor allem Fremden lächerliche» Respekt zur Schau trage», im Auslande ihre deutsche Geburt verleugnen und sich vor den Fremden erniedrigen. Aber für das, was eigentlich das deutsche Reich geschaffen und unsrer politischen Gegenwart seine» Stempel aufgedrückt hat, fehlt das richtige Verständnis. Es ist ja in dieser Beziehung vieles besser geworden, aber auch der großen Menge, die sich „voll und ganz" der Reichsidee angeschlossen zu haben meint, geht noch der klare Einblick in den wahren Zusammenhang der Dinge ab, und ihr Patriotismus äußert sich oft mir mit jener großmäuliger Beredsamkeit, die sich vor den großen Waffeuentschcidungen der Jahre 1864 und 1866 auf Schützenfesten und in Volksversammlungen breit machte. Zum Beweis dafür braucht mau nur Gmizboten IV 1893 ig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/153>, abgerufen am 27.06.2024.