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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Weisheit, die nnr deshalb nicht abgeklärt genannt werden darf, weil sie sich nie
hat abzuklären brauchen, weil sie noch dein rein natürlichen zunächst steht,
'->ud gegenüber der höchsten Schönheit in der Schilderung vou Liebeslust und
Liebesleid.

Alle diese Vorzüge brauchen nicht mehr bewiesen zu werden. Aber wir
möchten hier zeigen, daß in der vorliegenden Übertragung ein trefflicher Ersatz
des nnr wenigen zugänglichen Originals geboten wird, und deshalb teilen wir
wenigstens einige Strophen aus dem ersten Gudrunliede mit. Da wird im Ein¬
gang erzählt, wie Gudrun in starrer Trauer an Sigurds Leiche sitzt (Kriemhild
ein Siegfrieds Leiche nach der Überlieferung in den deutsche" Nibelungen); ver¬
gebens suchen erfahrene Jcirle sie zu trösten, vergebens ihre Frauen, zuletzt mit
beredten Worten Herborg, ihr befreiende Thränen zu entlocken.

Die Gunst der Thränen war Gudrun verjagt,
so tief war ihr Schmerz um den toten Gatten,
und so furchtbar der Gram um des Fiirsieu Verlust.
Da sprach Gnllrond, Gjulis Tochter:
"Nicht wohl verstehst du, ob weise auch, Pflegrin,
einem jungen Weibe deu Jammer zu wenden/' --
Verhüllt hielt Herborg des Helden Leiche.
Doch Gullroud legte, das Grnbluch hebend,
auf Gndrnns Kniee des Gatten Haupt:
"Den Geliebten schau an! seine Lippen küsse,
wie du hold ihn geherzt, als der Held noch lebte
Auf blickte Gudrun ein einziges mal,
sah das bärtige Haupt mit Blut berieselt,
erloschen daS Aug, das geleuchtet so hell,
und die breite Brust durchbohrt vom Schwerte.
Dann sank sie kraftlos aufs Kissen zurück,
das Haar war gelöst, heiß brnuule die Wange,
und ein Strom von Ztthreu stürzt' in den Schoß.

Dus ist schön. Und indem der Leser das empfindet, besteht, ihm unbewußt, Gerings
llbersctzungskunst glänzend ihre Probe. Der Übersetzer ist aber auch ein viel zu
gründlicher Kenner der Edda, als daß er sich seine. Arbeit hätte leicht machen
können. Inhaltlich steht die Übersetzung ans derselben Höhe wie die heutige Wissen¬
schaft (über innere Schwierigkeiten des Textes wird der Leser durch knappe An¬
merkungen rasch und sicher hinweggehoben), in der Form vereinigt sich mit der
Gewissenhaftigkeit in der Wiedergabe eigentümlicher Metra großes Geschick in der
Handhabung des Stabreims. Und so verdient diese Übersetzung in jeder Beziehung
"und der Simruckscheu vorgezogen zu werden, immer noch der besten, die es bis
jetzt gegeben hat.

Nach alledem noch auf den billigen Preis (2 Mark) des gut ausgestatteten
Bandes hinzuweisen, schämen wir uns eigentlich; das Bibliographische Institut wird
es aber wohl erlauben, in dessen Verlag diese treffliche Übersetzung der Edda vor
kurzem erschienen ist.




schwarzes Bret

Im April dieses Jahres war dem Hamburger Senat ein mit zahlreichen Unterschriften
versehenes Gesuch überreicht worden, worin gebeten wurde, in deu städtischen Krankenhäusern
eme Abteilung für arzneilvse Hcilweise zu errichten. Darauf ist deu Bittstellern kürzlich fol-


Weisheit, die nnr deshalb nicht abgeklärt genannt werden darf, weil sie sich nie
hat abzuklären brauchen, weil sie noch dein rein natürlichen zunächst steht,
'->ud gegenüber der höchsten Schönheit in der Schilderung vou Liebeslust und
Liebesleid.

Alle diese Vorzüge brauchen nicht mehr bewiesen zu werden. Aber wir
möchten hier zeigen, daß in der vorliegenden Übertragung ein trefflicher Ersatz
des nnr wenigen zugänglichen Originals geboten wird, und deshalb teilen wir
wenigstens einige Strophen aus dem ersten Gudrunliede mit. Da wird im Ein¬
gang erzählt, wie Gudrun in starrer Trauer an Sigurds Leiche sitzt (Kriemhild
ein Siegfrieds Leiche nach der Überlieferung in den deutsche» Nibelungen); ver¬
gebens suchen erfahrene Jcirle sie zu trösten, vergebens ihre Frauen, zuletzt mit
beredten Worten Herborg, ihr befreiende Thränen zu entlocken.

Die Gunst der Thränen war Gudrun verjagt,
so tief war ihr Schmerz um den toten Gatten,
und so furchtbar der Gram um des Fiirsieu Verlust.
Da sprach Gnllrond, Gjulis Tochter:
„Nicht wohl verstehst du, ob weise auch, Pflegrin,
einem jungen Weibe deu Jammer zu wenden/' —
Verhüllt hielt Herborg des Helden Leiche.
Doch Gullroud legte, das Grnbluch hebend,
auf Gndrnns Kniee des Gatten Haupt:
„Den Geliebten schau an! seine Lippen küsse,
wie du hold ihn geherzt, als der Held noch lebte
Auf blickte Gudrun ein einziges mal,
sah das bärtige Haupt mit Blut berieselt,
erloschen daS Aug, das geleuchtet so hell,
und die breite Brust durchbohrt vom Schwerte.
Dann sank sie kraftlos aufs Kissen zurück,
das Haar war gelöst, heiß brnuule die Wange,
und ein Strom von Ztthreu stürzt' in den Schoß.

Dus ist schön. Und indem der Leser das empfindet, besteht, ihm unbewußt, Gerings
llbersctzungskunst glänzend ihre Probe. Der Übersetzer ist aber auch ein viel zu
gründlicher Kenner der Edda, als daß er sich seine. Arbeit hätte leicht machen
können. Inhaltlich steht die Übersetzung ans derselben Höhe wie die heutige Wissen¬
schaft (über innere Schwierigkeiten des Textes wird der Leser durch knappe An¬
merkungen rasch und sicher hinweggehoben), in der Form vereinigt sich mit der
Gewissenhaftigkeit in der Wiedergabe eigentümlicher Metra großes Geschick in der
Handhabung des Stabreims. Und so verdient diese Übersetzung in jeder Beziehung
"und der Simruckscheu vorgezogen zu werden, immer noch der besten, die es bis
jetzt gegeben hat.

Nach alledem noch auf den billigen Preis (2 Mark) des gut ausgestatteten
Bandes hinzuweisen, schämen wir uns eigentlich; das Bibliographische Institut wird
es aber wohl erlauben, in dessen Verlag diese treffliche Übersetzung der Edda vor
kurzem erschienen ist.




schwarzes Bret

Im April dieses Jahres war dem Hamburger Senat ein mit zahlreichen Unterschriften
versehenes Gesuch überreicht worden, worin gebeten wurde, in deu städtischen Krankenhäusern
eme Abteilung für arzneilvse Hcilweise zu errichten. Darauf ist deu Bittstellern kürzlich fol-


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[0439] Weisheit, die nnr deshalb nicht abgeklärt genannt werden darf, weil sie sich nie hat abzuklären brauchen, weil sie noch dein rein natürlichen zunächst steht, '->ud gegenüber der höchsten Schönheit in der Schilderung vou Liebeslust und Liebesleid. Alle diese Vorzüge brauchen nicht mehr bewiesen zu werden. Aber wir möchten hier zeigen, daß in der vorliegenden Übertragung ein trefflicher Ersatz des nnr wenigen zugänglichen Originals geboten wird, und deshalb teilen wir wenigstens einige Strophen aus dem ersten Gudrunliede mit. Da wird im Ein¬ gang erzählt, wie Gudrun in starrer Trauer an Sigurds Leiche sitzt (Kriemhild ein Siegfrieds Leiche nach der Überlieferung in den deutsche» Nibelungen); ver¬ gebens suchen erfahrene Jcirle sie zu trösten, vergebens ihre Frauen, zuletzt mit beredten Worten Herborg, ihr befreiende Thränen zu entlocken. Die Gunst der Thränen war Gudrun verjagt, so tief war ihr Schmerz um den toten Gatten, und so furchtbar der Gram um des Fiirsieu Verlust. Da sprach Gnllrond, Gjulis Tochter: „Nicht wohl verstehst du, ob weise auch, Pflegrin, einem jungen Weibe deu Jammer zu wenden/' — Verhüllt hielt Herborg des Helden Leiche. Doch Gullroud legte, das Grnbluch hebend, auf Gndrnns Kniee des Gatten Haupt: „Den Geliebten schau an! seine Lippen küsse, wie du hold ihn geherzt, als der Held noch lebte Auf blickte Gudrun ein einziges mal, sah das bärtige Haupt mit Blut berieselt, erloschen daS Aug, das geleuchtet so hell, und die breite Brust durchbohrt vom Schwerte. Dann sank sie kraftlos aufs Kissen zurück, das Haar war gelöst, heiß brnuule die Wange, und ein Strom von Ztthreu stürzt' in den Schoß. Dus ist schön. Und indem der Leser das empfindet, besteht, ihm unbewußt, Gerings llbersctzungskunst glänzend ihre Probe. Der Übersetzer ist aber auch ein viel zu gründlicher Kenner der Edda, als daß er sich seine. Arbeit hätte leicht machen können. Inhaltlich steht die Übersetzung ans derselben Höhe wie die heutige Wissen¬ schaft (über innere Schwierigkeiten des Textes wird der Leser durch knappe An¬ merkungen rasch und sicher hinweggehoben), in der Form vereinigt sich mit der Gewissenhaftigkeit in der Wiedergabe eigentümlicher Metra großes Geschick in der Handhabung des Stabreims. Und so verdient diese Übersetzung in jeder Beziehung "und der Simruckscheu vorgezogen zu werden, immer noch der besten, die es bis jetzt gegeben hat. Nach alledem noch auf den billigen Preis (2 Mark) des gut ausgestatteten Bandes hinzuweisen, schämen wir uns eigentlich; das Bibliographische Institut wird es aber wohl erlauben, in dessen Verlag diese treffliche Übersetzung der Edda vor kurzem erschienen ist. schwarzes Bret Im April dieses Jahres war dem Hamburger Senat ein mit zahlreichen Unterschriften versehenes Gesuch überreicht worden, worin gebeten wurde, in deu städtischen Krankenhäusern eme Abteilung für arzneilvse Hcilweise zu errichten. Darauf ist deu Bittstellern kürzlich fol-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/439>, abgerufen am 23.11.2024.