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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Der Fahneneid

in deutschen Heere fanden sich bisher und finden sich noch heute
auf altem Herkommen beruhende Einrichtungen, die keinen oder
doch nur geringen Nutzen für die Kriegstüchtigkeit haben. Solcher
Einrichtungen, die nichts nutzen, aber auch nichts schaden, wird
jeder Kenner eine Anzahl anführen können. Ihre Beseitigung
oder ihr weiteres Bestehen kann uns gleichgiltig sein. Wo die Kriegstüch¬
tigkeit des Mannes durch solche alte Einrichtungen Einbuße erlitt, hat na¬
türlich die Heeresverwaltung mit ihrer Beseitigung nicht gezögert. Am augen¬
fälligsten ist das auch für den Laien in jüngster Zeit zu Tage getreten, als
die Kürassiere den Panzer ablegen mußten. Höchstens bei großen Paraden
wird er noch getragen. Die ungeheure Durchschlagskraft der Geschosse aus
den fast in allen Heeren neu eingeführten kleinkalibrigen Gewehren hat dieses
Stückchen Mittelalter nun doch endlich beseitigt. Es wäre ja völlig zwecklos
gewesen, den Reiter noch länger mit dem schweren Panzer zu belasten. Freilich
mag ihm mancher Seufzer in die Rumpelkammer gefolgt sein. Doch dies
nur als Beispiel. Auch mancher andre alte Brauch, der in den neuen Gar¬
nison- und Felddienstordnungen keine Stätte mehr fand, ist in gleicher Weise
abgeschafft worden, ohne daß vielleicht der Laie weiter Kenntnis davon erhält.

Eine alte, unzweifelhaft ehrwürdige, aber in ihrer gegenwärtigen Gestalt
anch veraltete und darum der Verbesserung bedürftige Einrichtung ist der
Fahneneid. Bei Beurteilung dieser Einrichtung ist nicht bloß der Soldat zu
hören, denn Erwägungen rechtlicher und religiöser Natur sind hierbei mindestens
ebenso am Platze wie militärische. In dem einen Punkte werden sicher alle
Erwägungen übereinstimmen: daß der Fahneneid nicht entbehrlich sei. Im
Gegenteil, er ist eine durchaus notwendige Einrichtung. Auf ihn haben Er-


Grenzboten III 1LV3 SS


Der Fahneneid

in deutschen Heere fanden sich bisher und finden sich noch heute
auf altem Herkommen beruhende Einrichtungen, die keinen oder
doch nur geringen Nutzen für die Kriegstüchtigkeit haben. Solcher
Einrichtungen, die nichts nutzen, aber auch nichts schaden, wird
jeder Kenner eine Anzahl anführen können. Ihre Beseitigung
oder ihr weiteres Bestehen kann uns gleichgiltig sein. Wo die Kriegstüch¬
tigkeit des Mannes durch solche alte Einrichtungen Einbuße erlitt, hat na¬
türlich die Heeresverwaltung mit ihrer Beseitigung nicht gezögert. Am augen¬
fälligsten ist das auch für den Laien in jüngster Zeit zu Tage getreten, als
die Kürassiere den Panzer ablegen mußten. Höchstens bei großen Paraden
wird er noch getragen. Die ungeheure Durchschlagskraft der Geschosse aus
den fast in allen Heeren neu eingeführten kleinkalibrigen Gewehren hat dieses
Stückchen Mittelalter nun doch endlich beseitigt. Es wäre ja völlig zwecklos
gewesen, den Reiter noch länger mit dem schweren Panzer zu belasten. Freilich
mag ihm mancher Seufzer in die Rumpelkammer gefolgt sein. Doch dies
nur als Beispiel. Auch mancher andre alte Brauch, der in den neuen Gar¬
nison- und Felddienstordnungen keine Stätte mehr fand, ist in gleicher Weise
abgeschafft worden, ohne daß vielleicht der Laie weiter Kenntnis davon erhält.

Eine alte, unzweifelhaft ehrwürdige, aber in ihrer gegenwärtigen Gestalt
anch veraltete und darum der Verbesserung bedürftige Einrichtung ist der
Fahneneid. Bei Beurteilung dieser Einrichtung ist nicht bloß der Soldat zu
hören, denn Erwägungen rechtlicher und religiöser Natur sind hierbei mindestens
ebenso am Platze wie militärische. In dem einen Punkte werden sicher alle
Erwägungen übereinstimmen: daß der Fahneneid nicht entbehrlich sei. Im
Gegenteil, er ist eine durchaus notwendige Einrichtung. Auf ihn haben Er-


Grenzboten III 1LV3 SS
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[0201] [Abbildung] Der Fahneneid in deutschen Heere fanden sich bisher und finden sich noch heute auf altem Herkommen beruhende Einrichtungen, die keinen oder doch nur geringen Nutzen für die Kriegstüchtigkeit haben. Solcher Einrichtungen, die nichts nutzen, aber auch nichts schaden, wird jeder Kenner eine Anzahl anführen können. Ihre Beseitigung oder ihr weiteres Bestehen kann uns gleichgiltig sein. Wo die Kriegstüch¬ tigkeit des Mannes durch solche alte Einrichtungen Einbuße erlitt, hat na¬ türlich die Heeresverwaltung mit ihrer Beseitigung nicht gezögert. Am augen¬ fälligsten ist das auch für den Laien in jüngster Zeit zu Tage getreten, als die Kürassiere den Panzer ablegen mußten. Höchstens bei großen Paraden wird er noch getragen. Die ungeheure Durchschlagskraft der Geschosse aus den fast in allen Heeren neu eingeführten kleinkalibrigen Gewehren hat dieses Stückchen Mittelalter nun doch endlich beseitigt. Es wäre ja völlig zwecklos gewesen, den Reiter noch länger mit dem schweren Panzer zu belasten. Freilich mag ihm mancher Seufzer in die Rumpelkammer gefolgt sein. Doch dies nur als Beispiel. Auch mancher andre alte Brauch, der in den neuen Gar¬ nison- und Felddienstordnungen keine Stätte mehr fand, ist in gleicher Weise abgeschafft worden, ohne daß vielleicht der Laie weiter Kenntnis davon erhält. Eine alte, unzweifelhaft ehrwürdige, aber in ihrer gegenwärtigen Gestalt anch veraltete und darum der Verbesserung bedürftige Einrichtung ist der Fahneneid. Bei Beurteilung dieser Einrichtung ist nicht bloß der Soldat zu hören, denn Erwägungen rechtlicher und religiöser Natur sind hierbei mindestens ebenso am Platze wie militärische. In dem einen Punkte werden sicher alle Erwägungen übereinstimmen: daß der Fahneneid nicht entbehrlich sei. Im Gegenteil, er ist eine durchaus notwendige Einrichtung. Auf ihn haben Er- Grenzboten III 1LV3 SS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/201>, abgerufen am 23.11.2024.