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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Schwarzes Bret

Das Berliner Polizeipräsidium macht bekannt, daß in Berlin am 12. d. M. ein Mann,
"Anfangs (!) der dreißiger Jahre," verschwunden sei, der unter anderen ein "Oberhemd mit
echten Perlen und Zugstieseln" getragen habe.

Sollte der junge Mann aufgefunden werden, so wird er an dem Oberhemd mit Zng-
stiefelu jedenfalls am leichtesten zu erkennen sein.




Zu den vortrefflichsten Männern in ganz Deutschland gehört unzweifelhaft Herr Ednard
Wieder in Neustadt an der Hardt. Wir haben zwar noch nie das Vergnügen gehabt, mit ihm
in unmittelbarer Geschäftsverbindung zu stehen, aber so oft uns vergönnt gewesen ist, bei
festlichen Gelegenheiten eine Flasche aus seinem Keller zu leeren, haben wir seinen Namen
im Stillen gesegnet, und mit dem größten Danke nahen wir seiner stets um dem darauf¬
folgenden Tage gedacht. Herr Wieder ist noch einer der wenigen edel" Menschen, die den
schönen Grundsatz! "Leben und leben lassen!", den tausende heute nur noch im Munde sichren,
wirklich bethätigt; es macht ihm -- als Geschäftsmann! man denke! -- augenscheinlich Frende,
seinen Kunden Freude zu machen, er liefert ihnen für einen erschwinglichen Preis noch einen
echte", seinen Tropfen, wirklichen Traubeusnft, nicht "modern gepantschtes Lumpenzeug."

Um so schmerzlicher hat es uus berührt, daß dieser feine und gewissenhafte Pfleger des
guten Geschmacks auf einem Gebiete den guten Geschmack so verletzt -- natürlich ahnnngs-
n"d absichtslos --: auf dem der Sprache. In seinen neuesten Anpreisungen redet er nicht
nur von dem "Hochwert" der reinen Natnrweine, sondern ergeht sich anch, um die Haupt¬
eigenschaften seiner Weine anzugeben, in dem seltsamsten Gemisch vou Poesie und Geschäfts¬
sprache. Die Mittclweine bezeichnet er als "die wohlbekömmlichen Kneipweine, die den Trinker
nicht mehr loslassen, sobald einmal das intime Verhältnis zwischen Lipp' und Kelches Rand
hergestellt ist"; die feineren "sind sammetig, voll reifer Süße, schmeichlerischer Fülle, haben
harmonische Rundung (!), Wonnetropfen molligster Schlurflust" (haben oder sind Wonne¬
tropfen?); die hochfeinen Auflesen sind "seltene Größen, vornehm rassig und lVnchtig, milde
und seelenerquickend, wiedergebend den empfangenen Sonnenstrahl vollendetster, edelster Anp¬
reisung." Das ist -- Herr Wieder nehme es uns nicht übel -- zum guten Teil nichts als
sinnloser Wortschwall. Dabei ist das Zitat ans dem Freischützdichter recht unpassend ver¬
wendet.




Laura Marholm hat das Verdienst, in einem Aufsatz über Eleonore Duse im Februar¬
hefte vou Nord und Sud die deutsche Sprache so wesentlich um eine Wortgruppe bereichert
zu haben, daß unsre Wörterbücher um" eine empfindliche Lücke ausweisen. Es ist ein wahres
Glück, daß diese Wörter alle mit dem Buchstaben W anfangen, sodaß sie wenigstens im Grimm¬
scheu Wörterbuch uoch Aufnahme finden können. Es sind die Wörter: Weibtemperament, Weib-
haftigkcit, Weibheiligtnm, Weibinstinkt, Weibnatur, Weibleben, Weibempfindeu, Weibkind,
Weibmutter, Weiberlebuis, Weibgefühl -- es fehlt nur noch Weibgewäsch.

Auch sonst bietet diese an Geist und Gedaukenstricheu reiche Abhandlung viel des An¬
ziehenden und Belehrenden. Man lernt z.B. daraus, daß es "ekelkranke Verachtung," "reuige
Hände," "tatzeuhafte Begriffe," "blasse Sterne der lcergewordnen Innerlichkeit," "Dnrch-
seelung" u. s. w. giebt, auch wie Eleonore Duse dieMebe spielt. "Ihre Seele ist müde, so
müde, voll von einer sanften, weichen, schmeichelnden, anlehnenden Müdigkeit, voll von der
Müdigkeit der^ Einsamkeit, und darum zieht sie sich leise und bittend heran, wo es warm ist.
Und es ist warm bei der Liebe. (Woher weißt du das, Laura?) So spielt Eleonore Duse
die Liebe."

Als Stilprobc nnr noch ein paar Zeilen vou Seite 178: "Odetto wird von ihrem Gatten
in der Nacht mit dem Liebhaber ertappt und in Zeugen Gegenwart aus dem Hause ge¬
worfen. In einem liederlichen Leben entehrt sie nun jahrelang den Namen ihres Mannes
und ihrer aufwachsenden Tochter. Durch diesen Makel ans der Familie wird die Verheiratung
der letzteren (!) sast unmöglich gemacht."




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Schwarzes Bret

Das Berliner Polizeipräsidium macht bekannt, daß in Berlin am 12. d. M. ein Mann,
„Anfangs (!) der dreißiger Jahre," verschwunden sei, der unter anderen ein „Oberhemd mit
echten Perlen und Zugstieseln" getragen habe.

Sollte der junge Mann aufgefunden werden, so wird er an dem Oberhemd mit Zng-
stiefelu jedenfalls am leichtesten zu erkennen sein.




Zu den vortrefflichsten Männern in ganz Deutschland gehört unzweifelhaft Herr Ednard
Wieder in Neustadt an der Hardt. Wir haben zwar noch nie das Vergnügen gehabt, mit ihm
in unmittelbarer Geschäftsverbindung zu stehen, aber so oft uns vergönnt gewesen ist, bei
festlichen Gelegenheiten eine Flasche aus seinem Keller zu leeren, haben wir seinen Namen
im Stillen gesegnet, und mit dem größten Danke nahen wir seiner stets um dem darauf¬
folgenden Tage gedacht. Herr Wieder ist noch einer der wenigen edel» Menschen, die den
schönen Grundsatz! „Leben und leben lassen!", den tausende heute nur noch im Munde sichren,
wirklich bethätigt; es macht ihm — als Geschäftsmann! man denke! — augenscheinlich Frende,
seinen Kunden Freude zu machen, er liefert ihnen für einen erschwinglichen Preis noch einen
echte», seinen Tropfen, wirklichen Traubeusnft, nicht „modern gepantschtes Lumpenzeug."

Um so schmerzlicher hat es uus berührt, daß dieser feine und gewissenhafte Pfleger des
guten Geschmacks auf einem Gebiete den guten Geschmack so verletzt — natürlich ahnnngs-
n»d absichtslos —: auf dem der Sprache. In seinen neuesten Anpreisungen redet er nicht
nur von dem „Hochwert" der reinen Natnrweine, sondern ergeht sich anch, um die Haupt¬
eigenschaften seiner Weine anzugeben, in dem seltsamsten Gemisch vou Poesie und Geschäfts¬
sprache. Die Mittclweine bezeichnet er als „die wohlbekömmlichen Kneipweine, die den Trinker
nicht mehr loslassen, sobald einmal das intime Verhältnis zwischen Lipp' und Kelches Rand
hergestellt ist"; die feineren „sind sammetig, voll reifer Süße, schmeichlerischer Fülle, haben
harmonische Rundung (!), Wonnetropfen molligster Schlurflust" (haben oder sind Wonne¬
tropfen?); die hochfeinen Auflesen sind „seltene Größen, vornehm rassig und lVnchtig, milde
und seelenerquickend, wiedergebend den empfangenen Sonnenstrahl vollendetster, edelster Anp¬
reisung." Das ist — Herr Wieder nehme es uns nicht übel — zum guten Teil nichts als
sinnloser Wortschwall. Dabei ist das Zitat ans dem Freischützdichter recht unpassend ver¬
wendet.




Laura Marholm hat das Verdienst, in einem Aufsatz über Eleonore Duse im Februar¬
hefte vou Nord und Sud die deutsche Sprache so wesentlich um eine Wortgruppe bereichert
zu haben, daß unsre Wörterbücher um» eine empfindliche Lücke ausweisen. Es ist ein wahres
Glück, daß diese Wörter alle mit dem Buchstaben W anfangen, sodaß sie wenigstens im Grimm¬
scheu Wörterbuch uoch Aufnahme finden können. Es sind die Wörter: Weibtemperament, Weib-
haftigkcit, Weibheiligtnm, Weibinstinkt, Weibnatur, Weibleben, Weibempfindeu, Weibkind,
Weibmutter, Weiberlebuis, Weibgefühl — es fehlt nur noch Weibgewäsch.

Auch sonst bietet diese an Geist und Gedaukenstricheu reiche Abhandlung viel des An¬
ziehenden und Belehrenden. Man lernt z.B. daraus, daß es „ekelkranke Verachtung," „reuige
Hände," „tatzeuhafte Begriffe," „blasse Sterne der lcergewordnen Innerlichkeit," „Dnrch-
seelung" u. s. w. giebt, auch wie Eleonore Duse dieMebe spielt. „Ihre Seele ist müde, so
müde, voll von einer sanften, weichen, schmeichelnden, anlehnenden Müdigkeit, voll von der
Müdigkeit der^ Einsamkeit, und darum zieht sie sich leise und bittend heran, wo es warm ist.
Und es ist warm bei der Liebe. (Woher weißt du das, Laura?) So spielt Eleonore Duse
die Liebe."

Als Stilprobc nnr noch ein paar Zeilen vou Seite 178: „Odetto wird von ihrem Gatten
in der Nacht mit dem Liebhaber ertappt und in Zeugen Gegenwart aus dem Hause ge¬
worfen. In einem liederlichen Leben entehrt sie nun jahrelang den Namen ihres Mannes
und ihrer aufwachsenden Tochter. Durch diesen Makel ans der Familie wird die Verheiratung
der letzteren (!) sast unmöglich gemacht."




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0249] Schwarzes Bret Das Berliner Polizeipräsidium macht bekannt, daß in Berlin am 12. d. M. ein Mann, „Anfangs (!) der dreißiger Jahre," verschwunden sei, der unter anderen ein „Oberhemd mit echten Perlen und Zugstieseln" getragen habe. Sollte der junge Mann aufgefunden werden, so wird er an dem Oberhemd mit Zng- stiefelu jedenfalls am leichtesten zu erkennen sein. Zu den vortrefflichsten Männern in ganz Deutschland gehört unzweifelhaft Herr Ednard Wieder in Neustadt an der Hardt. Wir haben zwar noch nie das Vergnügen gehabt, mit ihm in unmittelbarer Geschäftsverbindung zu stehen, aber so oft uns vergönnt gewesen ist, bei festlichen Gelegenheiten eine Flasche aus seinem Keller zu leeren, haben wir seinen Namen im Stillen gesegnet, und mit dem größten Danke nahen wir seiner stets um dem darauf¬ folgenden Tage gedacht. Herr Wieder ist noch einer der wenigen edel» Menschen, die den schönen Grundsatz! „Leben und leben lassen!", den tausende heute nur noch im Munde sichren, wirklich bethätigt; es macht ihm — als Geschäftsmann! man denke! — augenscheinlich Frende, seinen Kunden Freude zu machen, er liefert ihnen für einen erschwinglichen Preis noch einen echte», seinen Tropfen, wirklichen Traubeusnft, nicht „modern gepantschtes Lumpenzeug." Um so schmerzlicher hat es uus berührt, daß dieser feine und gewissenhafte Pfleger des guten Geschmacks auf einem Gebiete den guten Geschmack so verletzt — natürlich ahnnngs- n»d absichtslos —: auf dem der Sprache. In seinen neuesten Anpreisungen redet er nicht nur von dem „Hochwert" der reinen Natnrweine, sondern ergeht sich anch, um die Haupt¬ eigenschaften seiner Weine anzugeben, in dem seltsamsten Gemisch vou Poesie und Geschäfts¬ sprache. Die Mittclweine bezeichnet er als „die wohlbekömmlichen Kneipweine, die den Trinker nicht mehr loslassen, sobald einmal das intime Verhältnis zwischen Lipp' und Kelches Rand hergestellt ist"; die feineren „sind sammetig, voll reifer Süße, schmeichlerischer Fülle, haben harmonische Rundung (!), Wonnetropfen molligster Schlurflust" (haben oder sind Wonne¬ tropfen?); die hochfeinen Auflesen sind „seltene Größen, vornehm rassig und lVnchtig, milde und seelenerquickend, wiedergebend den empfangenen Sonnenstrahl vollendetster, edelster Anp¬ reisung." Das ist — Herr Wieder nehme es uns nicht übel — zum guten Teil nichts als sinnloser Wortschwall. Dabei ist das Zitat ans dem Freischützdichter recht unpassend ver¬ wendet. Laura Marholm hat das Verdienst, in einem Aufsatz über Eleonore Duse im Februar¬ hefte vou Nord und Sud die deutsche Sprache so wesentlich um eine Wortgruppe bereichert zu haben, daß unsre Wörterbücher um» eine empfindliche Lücke ausweisen. Es ist ein wahres Glück, daß diese Wörter alle mit dem Buchstaben W anfangen, sodaß sie wenigstens im Grimm¬ scheu Wörterbuch uoch Aufnahme finden können. Es sind die Wörter: Weibtemperament, Weib- haftigkcit, Weibheiligtnm, Weibinstinkt, Weibnatur, Weibleben, Weibempfindeu, Weibkind, Weibmutter, Weiberlebuis, Weibgefühl — es fehlt nur noch Weibgewäsch. Auch sonst bietet diese an Geist und Gedaukenstricheu reiche Abhandlung viel des An¬ ziehenden und Belehrenden. Man lernt z.B. daraus, daß es „ekelkranke Verachtung," „reuige Hände," „tatzeuhafte Begriffe," „blasse Sterne der lcergewordnen Innerlichkeit," „Dnrch- seelung" u. s. w. giebt, auch wie Eleonore Duse dieMebe spielt. „Ihre Seele ist müde, so müde, voll von einer sanften, weichen, schmeichelnden, anlehnenden Müdigkeit, voll von der Müdigkeit der^ Einsamkeit, und darum zieht sie sich leise und bittend heran, wo es warm ist. Und es ist warm bei der Liebe. (Woher weißt du das, Laura?) So spielt Eleonore Duse die Liebe." Als Stilprobc nnr noch ein paar Zeilen vou Seite 178: „Odetto wird von ihrem Gatten in der Nacht mit dem Liebhaber ertappt und in Zeugen Gegenwart aus dem Hause ge¬ worfen. In einem liederlichen Leben entehrt sie nun jahrelang den Namen ihres Mannes und ihrer aufwachsenden Tochter. Durch diesen Makel ans der Familie wird die Verheiratung der letzteren (!) sast unmöglich gemacht." Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/249>, abgerufen am 29.06.2024.