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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

oder dergleichen? Das mußte er doch lesen. Aber er wollte sich nicht in das
Gewühl hineindrängen. So warteten wir denn, bis alle Studenten in die
Hvrscile verschwunden waren. Dann gingen wir hin.

Da stand denn das gebeugte Männchen und las: Den Herren Kommili¬
tonen teilen wir mit, daß der Kandidat der Jurisprudenz Leopold Kümmer¬
lich am 23. d. M. gestorben ist; die Beerdigung findet am 26. d. M. statt.

Dicht daneben aber hing noch ein andrer Anschlag, der lautete: Ein
wenig benutztes Loi-xusfuris ist billig zu verkaufen. Näheres bei Witwe Künste,
Karlstraße 97, im Hintergebäude.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Blumenlese aus Felix Dcihns Leben. Niemand wird leugnen, daß Felix
Dahns Erinnerungen, von denen bis jetzt drei Bände erschienen sind, mancherlei
interessante Mitteilungen enthalten und als Selbstbekenntnisse eines von idealem
Streben beseelten Mannes Aufmerksamkeit verdienen. Wenn wir uns gegen einige
darin hervortretende Eigentümlichkeiten sträuben, so geschieht es weniger, um der
Person des unermüdlich fleißigen Verfassers entgegenzutreten, als aus Abneigung
gegen immer allgemeiner werdende Modethorheiten, die zuerst die Tagesschriften
ergriffen haben und nnn auch anfangen, sich die Kreise der Gelehrten zu erobern.

An erster Stelle rechnen wir hierzu die übel angebrachte Deutschtümelei. Man
kann eine sehr starke Abneigung gegen überflüssige Fremdwörter haben, ohne des¬
halb eine Redaktion gleich Schriftleitung (3, 389) zu nennen, denn dieses
Wort ist ebenso unsinnig wie der Gebrauch von Abgabe statt Adresse (3, 201);
weder eine Redaktion noch irgend sonst jemand auf Erden leitet Schriften, und
eine Abgabe ist, so bedauerlich die Sache auch sein mag, nichts weiter als eine
Steuer.

Ähnlich steht es mit dem beständigen Gebrauch von Lesung statt Lektüre;
die Sprache hat nun einmal das Wort Lese für einen andern Gebrauch vor¬
behalten, und niemand wird uns ausreden, daß eine wehmutvolle Lesung
(3, 565) dem deutschen Sprachgefühl muss stärkste widerstrebt.

Merkwürdig erscheint ferner bei einem Juristen der Ersatz der Bibliothek
durch die Bücherei und der des Bibliothekars durch den Buchwart, da ja
diese barbarische" Neubildungen durch kein Gesetz oder sonstigen staatlichen Zwang
eingeführt worden sind. Post und Eisenbahn können dem Publikum Wortungeheuer
wie Abteil aufdrängen; wer an den Buchwart der Universitätsbücherei schreiben
wollte, dürfte zu seinem Schaden erfahren, daß die Teutomanie ihre Grenzen
in der Praxis des täglichen Lebens lind in der Vernunft der Briefträger
findet.

In eine andre Klasse geHort der Gebrauch von Wendungen wie "der Knabe
Felix im hellbraunen Gelock" (1,10), "das liebe Lenzgedörn" (1,16), sein-
seelig (3,540), wunderklng (2,50), "vor eitel Vergnügen" (2,50), tief¬
gründig (3, 537), Unweiche (2, 195), gar wonnesam sinniren (2, 279),


Maßgebliches und Unmaßgebliches

oder dergleichen? Das mußte er doch lesen. Aber er wollte sich nicht in das
Gewühl hineindrängen. So warteten wir denn, bis alle Studenten in die
Hvrscile verschwunden waren. Dann gingen wir hin.

Da stand denn das gebeugte Männchen und las: Den Herren Kommili¬
tonen teilen wir mit, daß der Kandidat der Jurisprudenz Leopold Kümmer¬
lich am 23. d. M. gestorben ist; die Beerdigung findet am 26. d. M. statt.

Dicht daneben aber hing noch ein andrer Anschlag, der lautete: Ein
wenig benutztes Loi-xusfuris ist billig zu verkaufen. Näheres bei Witwe Künste,
Karlstraße 97, im Hintergebäude.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Blumenlese aus Felix Dcihns Leben. Niemand wird leugnen, daß Felix
Dahns Erinnerungen, von denen bis jetzt drei Bände erschienen sind, mancherlei
interessante Mitteilungen enthalten und als Selbstbekenntnisse eines von idealem
Streben beseelten Mannes Aufmerksamkeit verdienen. Wenn wir uns gegen einige
darin hervortretende Eigentümlichkeiten sträuben, so geschieht es weniger, um der
Person des unermüdlich fleißigen Verfassers entgegenzutreten, als aus Abneigung
gegen immer allgemeiner werdende Modethorheiten, die zuerst die Tagesschriften
ergriffen haben und nnn auch anfangen, sich die Kreise der Gelehrten zu erobern.

An erster Stelle rechnen wir hierzu die übel angebrachte Deutschtümelei. Man
kann eine sehr starke Abneigung gegen überflüssige Fremdwörter haben, ohne des¬
halb eine Redaktion gleich Schriftleitung (3, 389) zu nennen, denn dieses
Wort ist ebenso unsinnig wie der Gebrauch von Abgabe statt Adresse (3, 201);
weder eine Redaktion noch irgend sonst jemand auf Erden leitet Schriften, und
eine Abgabe ist, so bedauerlich die Sache auch sein mag, nichts weiter als eine
Steuer.

Ähnlich steht es mit dem beständigen Gebrauch von Lesung statt Lektüre;
die Sprache hat nun einmal das Wort Lese für einen andern Gebrauch vor¬
behalten, und niemand wird uns ausreden, daß eine wehmutvolle Lesung
(3, 565) dem deutschen Sprachgefühl muss stärkste widerstrebt.

Merkwürdig erscheint ferner bei einem Juristen der Ersatz der Bibliothek
durch die Bücherei und der des Bibliothekars durch den Buchwart, da ja
diese barbarische« Neubildungen durch kein Gesetz oder sonstigen staatlichen Zwang
eingeführt worden sind. Post und Eisenbahn können dem Publikum Wortungeheuer
wie Abteil aufdrängen; wer an den Buchwart der Universitätsbücherei schreiben
wollte, dürfte zu seinem Schaden erfahren, daß die Teutomanie ihre Grenzen
in der Praxis des täglichen Lebens lind in der Vernunft der Briefträger
findet.

In eine andre Klasse geHort der Gebrauch von Wendungen wie „der Knabe
Felix im hellbraunen Gelock" (1,10), „das liebe Lenzgedörn" (1,16), sein-
seelig (3,540), wunderklng (2,50), „vor eitel Vergnügen" (2,50), tief¬
gründig (3, 537), Unweiche (2, 195), gar wonnesam sinniren (2, 279),


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/199>, abgerufen am 29.06.2024.