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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leopold Kümmerlich
Verfasser der Bilder aus dem Universitätsleben von dem (Schluß)

mes Tages fragte ihn seine Wirtin, ob er für Geld und gute
Worte einen Brief schreiben wollte. Die Ricke aus der ersten
Etage im Vorderhaus möchte gern einen recht schönen Liebes¬
brief an den Unteroffizier vom zweiten Garderegiment geschrieben
haben, der immer so verliebte Augen mache und sich den Schnurr¬
bart so schön drehe, wenn er bei Ricken vorbeigehe. Leopold wollte erst nicht,
aber endlich lachte er doch still vor sich hin und machte sich an das seltsame
Geschäft. Er hatte nie geliebt; nur im Frühjahr ging ihm zuweilen ein
warmer Strom durchs Herz und trieb ihm die Blutwellen in den Kopf, so-
daß seine Phantasie in wunderlichen Glücksempfindungen schwelgte. In solcher
Stimmung schrieb er damals Riekes Liebesbrief. Der schlug durch. Rieke hatte
einen glänzenden Erfolg. Es dauerte nicht lange, und alle Küchenfeen aus
dem Vorder-, Seiten- und Hintergebäude belagerten seine Stube und wollten
Briefe von ihm haben. Das brachte ihm auch eine ganz nette Summe ein. Aber
als das Regiment ins Manöver rückte, und dann die Reserven entlassen wurden,
hörte diese Schriftstellerei auf; die Rekruten seien noch zu "ungebildet" zum
Lieben, sagten die Mädchen. Schließlich war es Leopold auch ganz recht,
denn der Rieke war die Liebe nicht gut bekommen, und seine Wirtin, Frau
Künste, sagte ihm eines Abends: Hören Sie mal, Herr Kümmerlich, die Rieke
is sehr falsch uff Sie; sie meint, wenn Sie den Brief nich jeschrieben hätten,
dann wär' es nich so weit jekommen. Das wär' die reine Kuppelei, sagt se,
und dadruff könnten Se bestraft wern. Das hatte Leopold einen heillosen
Schrecken eingejagt. Ach Gott, es war ein erbärmliches Leben! Er mochte
anfangen, was er wollte, es schlug ihm alles fehl.

Seine Studien hatte er bei dieser ewigen Hetzjagd nach Erwerb, bei
diesem aufreibenden Kampf ums Dasein wenig planmäßig und mir ober¬
flächlich betreiben können. Lehrbücher und andre Hilfsmittel konnte er sich
nicht anschaffen, und Repetitorien mitzumachen, wo sich die wohlhabenden
Juristen die Antworten auf die ewig wiederkehrenden Fragen einpauken ließen,
dazu fehlte dem armen Hnngerstudenten erst recht das Geld. So arbeitete er




Leopold Kümmerlich
Verfasser der Bilder aus dem Universitätsleben von dem (Schluß)

mes Tages fragte ihn seine Wirtin, ob er für Geld und gute
Worte einen Brief schreiben wollte. Die Ricke aus der ersten
Etage im Vorderhaus möchte gern einen recht schönen Liebes¬
brief an den Unteroffizier vom zweiten Garderegiment geschrieben
haben, der immer so verliebte Augen mache und sich den Schnurr¬
bart so schön drehe, wenn er bei Ricken vorbeigehe. Leopold wollte erst nicht,
aber endlich lachte er doch still vor sich hin und machte sich an das seltsame
Geschäft. Er hatte nie geliebt; nur im Frühjahr ging ihm zuweilen ein
warmer Strom durchs Herz und trieb ihm die Blutwellen in den Kopf, so-
daß seine Phantasie in wunderlichen Glücksempfindungen schwelgte. In solcher
Stimmung schrieb er damals Riekes Liebesbrief. Der schlug durch. Rieke hatte
einen glänzenden Erfolg. Es dauerte nicht lange, und alle Küchenfeen aus
dem Vorder-, Seiten- und Hintergebäude belagerten seine Stube und wollten
Briefe von ihm haben. Das brachte ihm auch eine ganz nette Summe ein. Aber
als das Regiment ins Manöver rückte, und dann die Reserven entlassen wurden,
hörte diese Schriftstellerei auf; die Rekruten seien noch zu „ungebildet" zum
Lieben, sagten die Mädchen. Schließlich war es Leopold auch ganz recht,
denn der Rieke war die Liebe nicht gut bekommen, und seine Wirtin, Frau
Künste, sagte ihm eines Abends: Hören Sie mal, Herr Kümmerlich, die Rieke
is sehr falsch uff Sie; sie meint, wenn Sie den Brief nich jeschrieben hätten,
dann wär' es nich so weit jekommen. Das wär' die reine Kuppelei, sagt se,
und dadruff könnten Se bestraft wern. Das hatte Leopold einen heillosen
Schrecken eingejagt. Ach Gott, es war ein erbärmliches Leben! Er mochte
anfangen, was er wollte, es schlug ihm alles fehl.

Seine Studien hatte er bei dieser ewigen Hetzjagd nach Erwerb, bei
diesem aufreibenden Kampf ums Dasein wenig planmäßig und mir ober¬
flächlich betreiben können. Lehrbücher und andre Hilfsmittel konnte er sich
nicht anschaffen, und Repetitorien mitzumachen, wo sich die wohlhabenden
Juristen die Antworten auf die ewig wiederkehrenden Fragen einpauken ließen,
dazu fehlte dem armen Hnngerstudenten erst recht das Geld. So arbeitete er


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[0191] [Abbildung] Leopold Kümmerlich Verfasser der Bilder aus dem Universitätsleben von dem (Schluß) mes Tages fragte ihn seine Wirtin, ob er für Geld und gute Worte einen Brief schreiben wollte. Die Ricke aus der ersten Etage im Vorderhaus möchte gern einen recht schönen Liebes¬ brief an den Unteroffizier vom zweiten Garderegiment geschrieben haben, der immer so verliebte Augen mache und sich den Schnurr¬ bart so schön drehe, wenn er bei Ricken vorbeigehe. Leopold wollte erst nicht, aber endlich lachte er doch still vor sich hin und machte sich an das seltsame Geschäft. Er hatte nie geliebt; nur im Frühjahr ging ihm zuweilen ein warmer Strom durchs Herz und trieb ihm die Blutwellen in den Kopf, so- daß seine Phantasie in wunderlichen Glücksempfindungen schwelgte. In solcher Stimmung schrieb er damals Riekes Liebesbrief. Der schlug durch. Rieke hatte einen glänzenden Erfolg. Es dauerte nicht lange, und alle Küchenfeen aus dem Vorder-, Seiten- und Hintergebäude belagerten seine Stube und wollten Briefe von ihm haben. Das brachte ihm auch eine ganz nette Summe ein. Aber als das Regiment ins Manöver rückte, und dann die Reserven entlassen wurden, hörte diese Schriftstellerei auf; die Rekruten seien noch zu „ungebildet" zum Lieben, sagten die Mädchen. Schließlich war es Leopold auch ganz recht, denn der Rieke war die Liebe nicht gut bekommen, und seine Wirtin, Frau Künste, sagte ihm eines Abends: Hören Sie mal, Herr Kümmerlich, die Rieke is sehr falsch uff Sie; sie meint, wenn Sie den Brief nich jeschrieben hätten, dann wär' es nich so weit jekommen. Das wär' die reine Kuppelei, sagt se, und dadruff könnten Se bestraft wern. Das hatte Leopold einen heillosen Schrecken eingejagt. Ach Gott, es war ein erbärmliches Leben! Er mochte anfangen, was er wollte, es schlug ihm alles fehl. Seine Studien hatte er bei dieser ewigen Hetzjagd nach Erwerb, bei diesem aufreibenden Kampf ums Dasein wenig planmäßig und mir ober¬ flächlich betreiben können. Lehrbücher und andre Hilfsmittel konnte er sich nicht anschaffen, und Repetitorien mitzumachen, wo sich die wohlhabenden Juristen die Antworten auf die ewig wiederkehrenden Fragen einpauken ließen, dazu fehlte dem armen Hnngerstudenten erst recht das Geld. So arbeitete er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/191>, abgerufen am 03.07.2024.