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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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eigentlich "führenden" Schriftstellern seiner Zeit, folglich müssten wir oll seinen
Sprachunfug als Norm nehmen. Schließlich bezeichnet Herr Grimm in orakel¬
haften Wendungen den Versuch, "die geistige Unabhängigkeit des einzelnen aufzu¬
heben, als ein auffallendes Zeichen und vielleicht das erste Glied einer Kette uoch
andrer Beschränkungen," von denen er "bedauerliche Folgen" voraussieht. Wir
irren schwerlich, wenn wir auch hierin eine Spitze gegen den Antisemitismus zu
sehen glauben, deu heutzutage gewisse Leute hinter allen ihnen nicht passenden Er¬
scheinungen wittern, wie einst die Reaktion in Preußen die "Juden, Polen und
Franzosen."

Bei diesem Anlaß möchten wir uns nach dein Befinden des Vereins zur
Abwehr der Sprachreiniguug erkundigen, der vor einigen Jahren von etwa vierzig
"führenden" Schriftstellern, zu denen ja wohl auch Herr Grimm gehörte, ins
Leben gerufen wurde. Von dem ist es ja ganz still geworden, und er lieferte
doch allerlei Herren, die sich in mehr oder weniger unbekannten Büchern mit der
Sprache zu thun gemacht haben, die schone Gelegenheit, sich durch ihren Beitritt
allerhöchstselbft das Diplom eines "führenden Schriftstellers" auszustellen.




schwarzes Bret

Die hochakademische Beilage zur Münchner Allgemeinen Zeitung schreibt in einem Auf¬
sätze zu Heinrich Brunos funfzigjährigen Doktorjnbiläum: "Bei der Bedeutung des Mannes,
in welchem seine Fachgenossen den Gipfel erblicken, den ihre Wissenschaft in unsrer Zeit er¬
stiegen hat, ist es gewiß auch für weitere Kreise interessant u. s. w." Hoffentlich trägt die
Archäologie keine genagelten Bergschuhe, sonst wäre es doch etwas schmerzhaft für Herrn
Brunn gewesen. Außerdem wird uns noch folgende ergötzliche Prügclszene geschildert: "Jedoch
es währte nicht lang, so schlug der Name, der ihm voranging, der Umfang und die Sicher
heit seines Wissens, sein fein pointirtes Urteil, auch seine einfache und milde Persönlichkeit
durch."

t Flasch. Der Verfasser des Aussatzes heiß




Das Leipziger Tageblatt vom 29. März berichtet über eine Versammlung in Stettin,
in der Ahlwardt gesprochen hatte: "Aus der einen Seite stimmte man die Marseillaise an,
aus der andern das antisemitische "Dentschland, Deutschland über alles."

Die deutsche Jngend mag sich hierfür bei dem semitischen Leipziger Tageblatt bedanken.






Mir die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig
Berlag von Fr. Will). Gruuow in Leipzig -- Druck von Carl Margnart in Leipzig
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eigentlich „führenden" Schriftstellern seiner Zeit, folglich müssten wir oll seinen
Sprachunfug als Norm nehmen. Schließlich bezeichnet Herr Grimm in orakel¬
haften Wendungen den Versuch, „die geistige Unabhängigkeit des einzelnen aufzu¬
heben, als ein auffallendes Zeichen und vielleicht das erste Glied einer Kette uoch
andrer Beschränkungen," von denen er „bedauerliche Folgen" voraussieht. Wir
irren schwerlich, wenn wir auch hierin eine Spitze gegen den Antisemitismus zu
sehen glauben, deu heutzutage gewisse Leute hinter allen ihnen nicht passenden Er¬
scheinungen wittern, wie einst die Reaktion in Preußen die „Juden, Polen und
Franzosen."

Bei diesem Anlaß möchten wir uns nach dein Befinden des Vereins zur
Abwehr der Sprachreiniguug erkundigen, der vor einigen Jahren von etwa vierzig
„führenden" Schriftstellern, zu denen ja wohl auch Herr Grimm gehörte, ins
Leben gerufen wurde. Von dem ist es ja ganz still geworden, und er lieferte
doch allerlei Herren, die sich in mehr oder weniger unbekannten Büchern mit der
Sprache zu thun gemacht haben, die schone Gelegenheit, sich durch ihren Beitritt
allerhöchstselbft das Diplom eines „führenden Schriftstellers" auszustellen.




schwarzes Bret

Die hochakademische Beilage zur Münchner Allgemeinen Zeitung schreibt in einem Auf¬
sätze zu Heinrich Brunos funfzigjährigen Doktorjnbiläum: „Bei der Bedeutung des Mannes,
in welchem seine Fachgenossen den Gipfel erblicken, den ihre Wissenschaft in unsrer Zeit er¬
stiegen hat, ist es gewiß auch für weitere Kreise interessant u. s. w." Hoffentlich trägt die
Archäologie keine genagelten Bergschuhe, sonst wäre es doch etwas schmerzhaft für Herrn
Brunn gewesen. Außerdem wird uns noch folgende ergötzliche Prügclszene geschildert: „Jedoch
es währte nicht lang, so schlug der Name, der ihm voranging, der Umfang und die Sicher
heit seines Wissens, sein fein pointirtes Urteil, auch seine einfache und milde Persönlichkeit
durch."

t Flasch. Der Verfasser des Aussatzes heiß




Das Leipziger Tageblatt vom 29. März berichtet über eine Versammlung in Stettin,
in der Ahlwardt gesprochen hatte: „Aus der einen Seite stimmte man die Marseillaise an,
aus der andern das antisemitische „Dentschland, Deutschland über alles."

Die deutsche Jngend mag sich hierfür bei dem semitischen Leipziger Tageblatt bedanken.






Mir die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig
Berlag von Fr. Will). Gruuow in Leipzig — Druck von Carl Margnart in Leipzig
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[0106] Schwarzes Bret eigentlich „führenden" Schriftstellern seiner Zeit, folglich müssten wir oll seinen Sprachunfug als Norm nehmen. Schließlich bezeichnet Herr Grimm in orakel¬ haften Wendungen den Versuch, „die geistige Unabhängigkeit des einzelnen aufzu¬ heben, als ein auffallendes Zeichen und vielleicht das erste Glied einer Kette uoch andrer Beschränkungen," von denen er „bedauerliche Folgen" voraussieht. Wir irren schwerlich, wenn wir auch hierin eine Spitze gegen den Antisemitismus zu sehen glauben, deu heutzutage gewisse Leute hinter allen ihnen nicht passenden Er¬ scheinungen wittern, wie einst die Reaktion in Preußen die „Juden, Polen und Franzosen." Bei diesem Anlaß möchten wir uns nach dein Befinden des Vereins zur Abwehr der Sprachreiniguug erkundigen, der vor einigen Jahren von etwa vierzig „führenden" Schriftstellern, zu denen ja wohl auch Herr Grimm gehörte, ins Leben gerufen wurde. Von dem ist es ja ganz still geworden, und er lieferte doch allerlei Herren, die sich in mehr oder weniger unbekannten Büchern mit der Sprache zu thun gemacht haben, die schone Gelegenheit, sich durch ihren Beitritt allerhöchstselbft das Diplom eines „führenden Schriftstellers" auszustellen. schwarzes Bret Die hochakademische Beilage zur Münchner Allgemeinen Zeitung schreibt in einem Auf¬ sätze zu Heinrich Brunos funfzigjährigen Doktorjnbiläum: „Bei der Bedeutung des Mannes, in welchem seine Fachgenossen den Gipfel erblicken, den ihre Wissenschaft in unsrer Zeit er¬ stiegen hat, ist es gewiß auch für weitere Kreise interessant u. s. w." Hoffentlich trägt die Archäologie keine genagelten Bergschuhe, sonst wäre es doch etwas schmerzhaft für Herrn Brunn gewesen. Außerdem wird uns noch folgende ergötzliche Prügclszene geschildert: „Jedoch es währte nicht lang, so schlug der Name, der ihm voranging, der Umfang und die Sicher heit seines Wissens, sein fein pointirtes Urteil, auch seine einfache und milde Persönlichkeit durch." t Flasch. Der Verfasser des Aussatzes heiß Das Leipziger Tageblatt vom 29. März berichtet über eine Versammlung in Stettin, in der Ahlwardt gesprochen hatte: „Aus der einen Seite stimmte man die Marseillaise an, aus der andern das antisemitische „Dentschland, Deutschland über alles." Die deutsche Jngend mag sich hierfür bei dem semitischen Leipziger Tageblatt bedanken. Mir die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig Berlag von Fr. Will). Gruuow in Leipzig — Druck von Carl Margnart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/106>, abgerufen am 29.06.2024.