Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.jenen, Bäder und Landstraßen crier! Nicht wahr, es ist zwar kein urdeutsches, aber es ist ein Aber der Satz von dem Bedürfnis der Ferienzeiten hat heute eine Gel¬ Grenzbote" IV 1892 16
jenen, Bäder und Landstraßen crier! Nicht wahr, es ist zwar kein urdeutsches, aber es ist ein Aber der Satz von dem Bedürfnis der Ferienzeiten hat heute eine Gel¬ Grenzbote» IV 1892 16
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0129" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213243"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341855_213113/figures/grenzboten_341855_213113_213243_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> jenen, Bäder und Landstraßen</head><lb/> <p xml:id="ID_343"> crier! Nicht wahr, es ist zwar kein urdeutsches, aber es ist ein<lb/> schönes, köstliches, zauberhaftes Wort? Ein Wort für eine so<lb/> herrliche Sache hat wohl in allen Sprachen einen guten Klang,<lb/> dem Engländer wird sein Rollclcys nicht minder gut in den<lb/> Ohren klingen, als uns Deutschen Ferien. Ein Gymnasial¬<lb/> direktor soll einmal gesagt haben: Ich möchte den Schädel des Mannes küssen,<lb/> der die Ferien erfunden hat. Er hätte mit diesem überschwänglichen Aus¬<lb/> spruch nur einer Empfindung Ausdruck gegeben, die ohne Zweifel von allen<lb/> Schulmeistern und der gesamten Jugend geteilt wird. Wohin sollte es auch<lb/> führen, wenn jahraus jahrein und Tag für Tag Weisheit und Bildung auf<lb/> die armen Köpfe niederregnete, wenn die junge Menschheit immer mit Voll¬<lb/> dampf die Arbeit um ihrer Vervollkommnung über sich ergehen lassen müßte,<lb/> als ob der lebendige Organismus nicht noch weit mehr als die tote Maschine<lb/> eine Grenze und ein Ende seiner Leistungsfähigkeit hatte? Wird eine Maschine<lb/> überaugestrengt, so fängt sie in ihrem Gange zu haperu und zu knarren an,<lb/> und endlich bricht wohl etwas an ihr entzwei; wird von einem Menschen zu<lb/> viel verlangt, so melden sich seine beleidigten Muskeln oder Nerven und bitten<lb/> um Schonung. Erst kürzlich soll irgendwo in einer Gemeinde des deutschen<lb/> Reiches die Gehaltserhöhung der Volksschullehrer von der Möglichkeit, ihre<lb/> Arbeitskraft besser auszunutzen, abhangig gemacht worden sein; man ist also<lb/> berechtigt, den Argwohn zu hegen, daß es Leute gebe, die die Notwendigkeit<lb/> der Ferien zwar für sich selbst, aber weniger für die Schüler und am wenigsten<lb/> für die Lehrer einzusehen vermögen. Wehe der zukünftigen „Schulreform,"<lb/> die auch die Ferien anzutasten unternähme!</p><lb/> <p xml:id="ID_344" next="#ID_345"> Aber der Satz von dem Bedürfnis der Ferienzeiten hat heute eine Gel¬<lb/> tung gewonnen, die weit über die Mauern der Schulhofe hinausreicht. Der<lb/> moderne Mensch überhaupt hat eine so aufreibende Thätigkeit oder führt ein<lb/> so abspannendes Schnellleben, daß er sich zuweilen dem Nichtsthun ergebe,:<lb/> und der Ruhe Pflegen muß. Deßhalb ist die Ausdehnung der Ferien auf<lb/> immer weitere Kreise eine der großartigsten Erfindungen der erfindungsreichen<lb/> Neuzeit. Deshalb werfen die, die sich von ihrer Arbeit nicht losmachen und</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbote» IV 1892 16</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0129]
[Abbildung]
jenen, Bäder und Landstraßen
crier! Nicht wahr, es ist zwar kein urdeutsches, aber es ist ein
schönes, köstliches, zauberhaftes Wort? Ein Wort für eine so
herrliche Sache hat wohl in allen Sprachen einen guten Klang,
dem Engländer wird sein Rollclcys nicht minder gut in den
Ohren klingen, als uns Deutschen Ferien. Ein Gymnasial¬
direktor soll einmal gesagt haben: Ich möchte den Schädel des Mannes küssen,
der die Ferien erfunden hat. Er hätte mit diesem überschwänglichen Aus¬
spruch nur einer Empfindung Ausdruck gegeben, die ohne Zweifel von allen
Schulmeistern und der gesamten Jugend geteilt wird. Wohin sollte es auch
führen, wenn jahraus jahrein und Tag für Tag Weisheit und Bildung auf
die armen Köpfe niederregnete, wenn die junge Menschheit immer mit Voll¬
dampf die Arbeit um ihrer Vervollkommnung über sich ergehen lassen müßte,
als ob der lebendige Organismus nicht noch weit mehr als die tote Maschine
eine Grenze und ein Ende seiner Leistungsfähigkeit hatte? Wird eine Maschine
überaugestrengt, so fängt sie in ihrem Gange zu haperu und zu knarren an,
und endlich bricht wohl etwas an ihr entzwei; wird von einem Menschen zu
viel verlangt, so melden sich seine beleidigten Muskeln oder Nerven und bitten
um Schonung. Erst kürzlich soll irgendwo in einer Gemeinde des deutschen
Reiches die Gehaltserhöhung der Volksschullehrer von der Möglichkeit, ihre
Arbeitskraft besser auszunutzen, abhangig gemacht worden sein; man ist also
berechtigt, den Argwohn zu hegen, daß es Leute gebe, die die Notwendigkeit
der Ferien zwar für sich selbst, aber weniger für die Schüler und am wenigsten
für die Lehrer einzusehen vermögen. Wehe der zukünftigen „Schulreform,"
die auch die Ferien anzutasten unternähme!
Aber der Satz von dem Bedürfnis der Ferienzeiten hat heute eine Gel¬
tung gewonnen, die weit über die Mauern der Schulhofe hinausreicht. Der
moderne Mensch überhaupt hat eine so aufreibende Thätigkeit oder führt ein
so abspannendes Schnellleben, daß er sich zuweilen dem Nichtsthun ergebe,:
und der Ruhe Pflegen muß. Deßhalb ist die Ausdehnung der Ferien auf
immer weitere Kreise eine der großartigsten Erfindungen der erfindungsreichen
Neuzeit. Deshalb werfen die, die sich von ihrer Arbeit nicht losmachen und
Grenzbote» IV 1892 16
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