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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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(Lin bedenklicher Widerspruch

er für andre arbeitet, gilt als der Dienende; der Herrschende ist
der, der andre für sich arbeiten läßt. So ist es in den gesell¬
schaftlichen Beziehungen der Menschen zu einander. Ganz an¬
ders steht es aber um die Beziehungen der Nationen. Die
Herrschaft über andre wird die Nation erlangen, die die Arbeit
an sich zieht, und zwar deshalb, weil der Arbeit der Reichtum folgt, und
Reichtum zunächst das wirtschaftliche Übergewicht, auf die Dauer auch poli¬
tische Überlegenheit verleiht.

Nicht durch den Besitz unerschöpflich reicher Kolonien allein ist England
zu seinem Reichtum gelangt. Macaulay fragt, wo die gerühmten Reichtümer
Ostindiens zu finden seien, und antwortet darauf: an den Ufern der Themse.
Nicht nur die Kolonien dienten als Abnehmer für die Industrieartikel Eng¬
lands -- und um sie stets als Abnehmer zu behalten, wurde die Entwicklung
der Industrie in den Kolonien auf jede Weise verhindert --, sondern auch poli¬
tisch unabhängige Staaten wurden durch Handelsverträge in die Lage versetzt,
auf die eigne Erzeugung ihrer Bedürfnisse verzichten zu müssen. Sie gerieten
dadurch in wirtschaftliche Abhängigkeit von England. Eine Nation, die be¬
ständig von einer andern kauft, ohne das Kaufgeld in Gestalt selbsterzeugter
Waren aufzubringen, wird allmählich verarmen. So lange sie noch Kredit
verdient, wird die verlaufende Nation zu Vorschüssen und Anleihen bereit sein,
aber dieses Schnldverhültnis führt schließlich zu einer Abhängigkeit, die sich
auch auf politischem Gebiete offenbart. Als England seine Industrie zu so
hoher Vollendung gebracht hatte, daß sich kaum irgend ein Land noch mit ihm
zu messen vermochte, wurde der Freihandel als wirtschaftliches Prinzip verkündet,
und es fanden sich Leute genug, die in die Falle gingen und nicht einsahen, daß
dieses Prinzip nach Lage der Dinge nur England zu gute kommen konnte.


Grenzboten 111 1892 7g


(Lin bedenklicher Widerspruch

er für andre arbeitet, gilt als der Dienende; der Herrschende ist
der, der andre für sich arbeiten läßt. So ist es in den gesell¬
schaftlichen Beziehungen der Menschen zu einander. Ganz an¬
ders steht es aber um die Beziehungen der Nationen. Die
Herrschaft über andre wird die Nation erlangen, die die Arbeit
an sich zieht, und zwar deshalb, weil der Arbeit der Reichtum folgt, und
Reichtum zunächst das wirtschaftliche Übergewicht, auf die Dauer auch poli¬
tische Überlegenheit verleiht.

Nicht durch den Besitz unerschöpflich reicher Kolonien allein ist England
zu seinem Reichtum gelangt. Macaulay fragt, wo die gerühmten Reichtümer
Ostindiens zu finden seien, und antwortet darauf: an den Ufern der Themse.
Nicht nur die Kolonien dienten als Abnehmer für die Industrieartikel Eng¬
lands — und um sie stets als Abnehmer zu behalten, wurde die Entwicklung
der Industrie in den Kolonien auf jede Weise verhindert —, sondern auch poli¬
tisch unabhängige Staaten wurden durch Handelsverträge in die Lage versetzt,
auf die eigne Erzeugung ihrer Bedürfnisse verzichten zu müssen. Sie gerieten
dadurch in wirtschaftliche Abhängigkeit von England. Eine Nation, die be¬
ständig von einer andern kauft, ohne das Kaufgeld in Gestalt selbsterzeugter
Waren aufzubringen, wird allmählich verarmen. So lange sie noch Kredit
verdient, wird die verlaufende Nation zu Vorschüssen und Anleihen bereit sein,
aber dieses Schnldverhültnis führt schließlich zu einer Abhängigkeit, die sich
auch auf politischem Gebiete offenbart. Als England seine Industrie zu so
hoher Vollendung gebracht hatte, daß sich kaum irgend ein Land noch mit ihm
zu messen vermochte, wurde der Freihandel als wirtschaftliches Prinzip verkündet,
und es fanden sich Leute genug, die in die Falle gingen und nicht einsahen, daß
dieses Prinzip nach Lage der Dinge nur England zu gute kommen konnte.


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[0585] [Abbildung] (Lin bedenklicher Widerspruch er für andre arbeitet, gilt als der Dienende; der Herrschende ist der, der andre für sich arbeiten läßt. So ist es in den gesell¬ schaftlichen Beziehungen der Menschen zu einander. Ganz an¬ ders steht es aber um die Beziehungen der Nationen. Die Herrschaft über andre wird die Nation erlangen, die die Arbeit an sich zieht, und zwar deshalb, weil der Arbeit der Reichtum folgt, und Reichtum zunächst das wirtschaftliche Übergewicht, auf die Dauer auch poli¬ tische Überlegenheit verleiht. Nicht durch den Besitz unerschöpflich reicher Kolonien allein ist England zu seinem Reichtum gelangt. Macaulay fragt, wo die gerühmten Reichtümer Ostindiens zu finden seien, und antwortet darauf: an den Ufern der Themse. Nicht nur die Kolonien dienten als Abnehmer für die Industrieartikel Eng¬ lands — und um sie stets als Abnehmer zu behalten, wurde die Entwicklung der Industrie in den Kolonien auf jede Weise verhindert —, sondern auch poli¬ tisch unabhängige Staaten wurden durch Handelsverträge in die Lage versetzt, auf die eigne Erzeugung ihrer Bedürfnisse verzichten zu müssen. Sie gerieten dadurch in wirtschaftliche Abhängigkeit von England. Eine Nation, die be¬ ständig von einer andern kauft, ohne das Kaufgeld in Gestalt selbsterzeugter Waren aufzubringen, wird allmählich verarmen. So lange sie noch Kredit verdient, wird die verlaufende Nation zu Vorschüssen und Anleihen bereit sein, aber dieses Schnldverhültnis führt schließlich zu einer Abhängigkeit, die sich auch auf politischem Gebiete offenbart. Als England seine Industrie zu so hoher Vollendung gebracht hatte, daß sich kaum irgend ein Land noch mit ihm zu messen vermochte, wurde der Freihandel als wirtschaftliches Prinzip verkündet, und es fanden sich Leute genug, die in die Falle gingen und nicht einsahen, daß dieses Prinzip nach Lage der Dinge nur England zu gute kommen konnte. Grenzboten 111 1892 7g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/585>, abgerufen am 05.01.2025.