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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Fürst Bismarck und die Schwaben
Ans

le begeisterten Huldigungen, deren Gegenstand Fürst Bismarck
diesen Sommer in München und Jena ebenso wie in Kissingen
von Seiten der Süddeutschen gewesen ist, die zu ihrem Pro¬
pheten reisten, weil ihr Prophet nicht zu ihnen kam, haben von
neuem den Beweis geliefert, daß in Süddeutschlnnd und in den
mitteldeutschen Kleinstaaten die Hinneigung zu dem Altkanzler weit leiden¬
schaftlicher ist als in Preußen, wenn es eines solchen Beweises überhaupt noch
bedurft Hütte. Es wäre ein Irrtum, diese Thatsache lediglich auf die größere
Kühle des norddeutschen Temperaments zurückführen zu wollen, sie stützt sich
vielmehr auf besondre politische und psychologische Erklärungsgründe. Gewiß
hat man auch in Preußen die Errichtung des deutschen Reichs mit jubelnder
Befriedigung begrüßt, fanden doch dabei der allgemeine deutsche Patriotismus
und der preußische Partikularstolz zugleich ihre Rechnung. Aber schwerlich hat
man dort der Einigung mit so sehnsuchtsbaugem Hoffen entgegeugeharrt wie
in Süddeutschland, schwerlich dort mit so tief innerm Entzücken die Erfüllung
des Herzenswunsches aufgenommen wie hier. Natürlich: Preußen war ja
schon vorher ein Großstaat, dessen Stimme im Rate der europäischen Mächte
Geltung hatte, der Preuße hatte ja ein engeres Vaterland mit einer so glän¬
zenden geschichtlichen Vergangenheit, daß diese -- ganz abgesehen von der
Bürgschaft, die darin für die Zukunft lag -- auch in der Gegenwart schon
zu frohem Nationalstolz hinlängliche Berechtigung gab, Preußen wußte sich
endlich allein stark genug, dem Angriff selbst des mächtigsten Gegners in be¬
gründeter Erwartung des Sieges mit Ruhe entgegenzusehen. Wie ganz anders
die süddeutsche" Kleinstaaten! Jeder von ihnen war in der äußern Politik


Grenzboten III IL92 67


Fürst Bismarck und die Schwaben
Ans

le begeisterten Huldigungen, deren Gegenstand Fürst Bismarck
diesen Sommer in München und Jena ebenso wie in Kissingen
von Seiten der Süddeutschen gewesen ist, die zu ihrem Pro¬
pheten reisten, weil ihr Prophet nicht zu ihnen kam, haben von
neuem den Beweis geliefert, daß in Süddeutschlnnd und in den
mitteldeutschen Kleinstaaten die Hinneigung zu dem Altkanzler weit leiden¬
schaftlicher ist als in Preußen, wenn es eines solchen Beweises überhaupt noch
bedurft Hütte. Es wäre ein Irrtum, diese Thatsache lediglich auf die größere
Kühle des norddeutschen Temperaments zurückführen zu wollen, sie stützt sich
vielmehr auf besondre politische und psychologische Erklärungsgründe. Gewiß
hat man auch in Preußen die Errichtung des deutschen Reichs mit jubelnder
Befriedigung begrüßt, fanden doch dabei der allgemeine deutsche Patriotismus
und der preußische Partikularstolz zugleich ihre Rechnung. Aber schwerlich hat
man dort der Einigung mit so sehnsuchtsbaugem Hoffen entgegeugeharrt wie
in Süddeutschland, schwerlich dort mit so tief innerm Entzücken die Erfüllung
des Herzenswunsches aufgenommen wie hier. Natürlich: Preußen war ja
schon vorher ein Großstaat, dessen Stimme im Rate der europäischen Mächte
Geltung hatte, der Preuße hatte ja ein engeres Vaterland mit einer so glän¬
zenden geschichtlichen Vergangenheit, daß diese — ganz abgesehen von der
Bürgschaft, die darin für die Zukunft lag — auch in der Gegenwart schon
zu frohem Nationalstolz hinlängliche Berechtigung gab, Preußen wußte sich
endlich allein stark genug, dem Angriff selbst des mächtigsten Gegners in be¬
gründeter Erwartung des Sieges mit Ruhe entgegenzusehen. Wie ganz anders
die süddeutsche» Kleinstaaten! Jeder von ihnen war in der äußern Politik


Grenzboten III IL92 67
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[0537] [Abbildung] Fürst Bismarck und die Schwaben Ans le begeisterten Huldigungen, deren Gegenstand Fürst Bismarck diesen Sommer in München und Jena ebenso wie in Kissingen von Seiten der Süddeutschen gewesen ist, die zu ihrem Pro¬ pheten reisten, weil ihr Prophet nicht zu ihnen kam, haben von neuem den Beweis geliefert, daß in Süddeutschlnnd und in den mitteldeutschen Kleinstaaten die Hinneigung zu dem Altkanzler weit leiden¬ schaftlicher ist als in Preußen, wenn es eines solchen Beweises überhaupt noch bedurft Hütte. Es wäre ein Irrtum, diese Thatsache lediglich auf die größere Kühle des norddeutschen Temperaments zurückführen zu wollen, sie stützt sich vielmehr auf besondre politische und psychologische Erklärungsgründe. Gewiß hat man auch in Preußen die Errichtung des deutschen Reichs mit jubelnder Befriedigung begrüßt, fanden doch dabei der allgemeine deutsche Patriotismus und der preußische Partikularstolz zugleich ihre Rechnung. Aber schwerlich hat man dort der Einigung mit so sehnsuchtsbaugem Hoffen entgegeugeharrt wie in Süddeutschland, schwerlich dort mit so tief innerm Entzücken die Erfüllung des Herzenswunsches aufgenommen wie hier. Natürlich: Preußen war ja schon vorher ein Großstaat, dessen Stimme im Rate der europäischen Mächte Geltung hatte, der Preuße hatte ja ein engeres Vaterland mit einer so glän¬ zenden geschichtlichen Vergangenheit, daß diese — ganz abgesehen von der Bürgschaft, die darin für die Zukunft lag — auch in der Gegenwart schon zu frohem Nationalstolz hinlängliche Berechtigung gab, Preußen wußte sich endlich allein stark genug, dem Angriff selbst des mächtigsten Gegners in be¬ gründeter Erwartung des Sieges mit Ruhe entgegenzusehen. Wie ganz anders die süddeutsche» Kleinstaaten! Jeder von ihnen war in der äußern Politik Grenzboten III IL92 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/537>, abgerufen am 05.01.2025.