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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Mußte es so kommen?

regorovius hat durch seine Blut in Blut gemalten Schilderungen
anschaulich bewiesen, wie schauerlich die Wirklichkeit wäre, in die
sich das phantastische Bild des sozialistischen Zukunftsstaats um¬
setzen müßte. Zwar ob er auf eine nennenswerte Zahl von
Sozinldemvkraten damit Eindruck gemacht hat, steht dahin. Sie
sind gegen Gründe der Logik und gegen psychologische Schlußfolgerungen vor¬
läufig noch dadurch gewappnet, daß ihnen ihr Programm einfach Glaubenssache
ist. Dem "Himmel auf Erden" und Eugen Richters Zukunftsbildern gebührt
aber das Verdienst, die bürgerliche Gesellschaft in der Form des Romans,
der einzigen, in der noch an sie hinanzukommen ist, von den Ideen unter¬
richtet zu haben, die in den Köpfen vou Hunderttnuseuden ihrer Landsleute
spuken. Mancher Leser wird sich freilich der Unausführbarkeit dieser Ideen
getrosten und damit diese selbst für abgethan halten. Andre mögen das Gruseln
gelernt und sich einem hoffnungslosen Pessimismus ergeben haben. Aus
Pessimistischen Kreisen stammt die Frage: "Wie kam es doch?" Stellen wir
die Gegenfrage: "Mußte es denn so kommen?"

Kein Zweifel, jeder denkende Sozialdemokrat sagt sich: die Beseitigung
der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung ist nur durch Gewalt zu
erreichen. Phrasen wie: der heutige Staat werde unmerklich in die sozialistische
Gesellschaft hineinwachsen, eines Abends werde man sich uoch als Bourgeois
zu Bett legen, um am andern Morgen als Genosse aufzuwachen, können nicht
ernst gemeint sein. Man mag sich die Widerstandsfähigkeit der heutigen Ge¬
sellschaft noch so gering, die einstige Gewalt der sozialistischen Ideen noch so
groß vorstellen, niemals werden sich die Besitzenden freiwillig ihres Privat¬
eigentums beraube" lassen. Auch nicht, wenn ihnen diese Beraubung als


Grenzboten III 1892 49


Mußte es so kommen?

regorovius hat durch seine Blut in Blut gemalten Schilderungen
anschaulich bewiesen, wie schauerlich die Wirklichkeit wäre, in die
sich das phantastische Bild des sozialistischen Zukunftsstaats um¬
setzen müßte. Zwar ob er auf eine nennenswerte Zahl von
Sozinldemvkraten damit Eindruck gemacht hat, steht dahin. Sie
sind gegen Gründe der Logik und gegen psychologische Schlußfolgerungen vor¬
läufig noch dadurch gewappnet, daß ihnen ihr Programm einfach Glaubenssache
ist. Dem „Himmel auf Erden" und Eugen Richters Zukunftsbildern gebührt
aber das Verdienst, die bürgerliche Gesellschaft in der Form des Romans,
der einzigen, in der noch an sie hinanzukommen ist, von den Ideen unter¬
richtet zu haben, die in den Köpfen vou Hunderttnuseuden ihrer Landsleute
spuken. Mancher Leser wird sich freilich der Unausführbarkeit dieser Ideen
getrosten und damit diese selbst für abgethan halten. Andre mögen das Gruseln
gelernt und sich einem hoffnungslosen Pessimismus ergeben haben. Aus
Pessimistischen Kreisen stammt die Frage: „Wie kam es doch?" Stellen wir
die Gegenfrage: „Mußte es denn so kommen?"

Kein Zweifel, jeder denkende Sozialdemokrat sagt sich: die Beseitigung
der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung ist nur durch Gewalt zu
erreichen. Phrasen wie: der heutige Staat werde unmerklich in die sozialistische
Gesellschaft hineinwachsen, eines Abends werde man sich uoch als Bourgeois
zu Bett legen, um am andern Morgen als Genosse aufzuwachen, können nicht
ernst gemeint sein. Man mag sich die Widerstandsfähigkeit der heutigen Ge¬
sellschaft noch so gering, die einstige Gewalt der sozialistischen Ideen noch so
groß vorstellen, niemals werden sich die Besitzenden freiwillig ihres Privat¬
eigentums beraube» lassen. Auch nicht, wenn ihnen diese Beraubung als


Grenzboten III 1892 49
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[0393] [Abbildung] Mußte es so kommen? regorovius hat durch seine Blut in Blut gemalten Schilderungen anschaulich bewiesen, wie schauerlich die Wirklichkeit wäre, in die sich das phantastische Bild des sozialistischen Zukunftsstaats um¬ setzen müßte. Zwar ob er auf eine nennenswerte Zahl von Sozinldemvkraten damit Eindruck gemacht hat, steht dahin. Sie sind gegen Gründe der Logik und gegen psychologische Schlußfolgerungen vor¬ läufig noch dadurch gewappnet, daß ihnen ihr Programm einfach Glaubenssache ist. Dem „Himmel auf Erden" und Eugen Richters Zukunftsbildern gebührt aber das Verdienst, die bürgerliche Gesellschaft in der Form des Romans, der einzigen, in der noch an sie hinanzukommen ist, von den Ideen unter¬ richtet zu haben, die in den Köpfen vou Hunderttnuseuden ihrer Landsleute spuken. Mancher Leser wird sich freilich der Unausführbarkeit dieser Ideen getrosten und damit diese selbst für abgethan halten. Andre mögen das Gruseln gelernt und sich einem hoffnungslosen Pessimismus ergeben haben. Aus Pessimistischen Kreisen stammt die Frage: „Wie kam es doch?" Stellen wir die Gegenfrage: „Mußte es denn so kommen?" Kein Zweifel, jeder denkende Sozialdemokrat sagt sich: die Beseitigung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung ist nur durch Gewalt zu erreichen. Phrasen wie: der heutige Staat werde unmerklich in die sozialistische Gesellschaft hineinwachsen, eines Abends werde man sich uoch als Bourgeois zu Bett legen, um am andern Morgen als Genosse aufzuwachen, können nicht ernst gemeint sein. Man mag sich die Widerstandsfähigkeit der heutigen Ge¬ sellschaft noch so gering, die einstige Gewalt der sozialistischen Ideen noch so groß vorstellen, niemals werden sich die Besitzenden freiwillig ihres Privat¬ eigentums beraube» lassen. Auch nicht, wenn ihnen diese Beraubung als Grenzboten III 1892 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/393>, abgerufen am 05.01.2025.