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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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wurde der Friedensvertrag unterzeichnet, dessen Bestimmungen für die Chinesen
sehr mild waren. Sie mußten die Kriegskosten bezahlen und außerdem solchen
katholischen Missionen, die in früherer Zeit durch Verfolgung Schaden erlitten
hatten, Ersatz leisten. An Land verloren sie nnr einen unbedeutenden Strich
gegenüber von Hongkong. Im übrigen blieb es bei dem, was man vor zwei
Jahren in Tientsin vereinbart hatte.

Nach mehr als zwanzigjährigen Bemühungen waren also die Abendländer
so weit, China zur thatsächlichen Anerkennung ihrer Gleichberechtigung ge¬
zwungen zu haben. Ein englischer und ein französischer Gesandter wurden
sofort für Peking ernannt; nach und nach folgten dann die andern fremden
Nationen diesem Beispiele. Wie sich das Verhältnis der Ausländer zu den
Chinesen auf der Grundlage der seitdem wenig veränderten Verträge von
Tientsin gestaltet hat, und wie die Aussichten für die Zukunft sind, dies müßte,
ebenso wie eine Übersicht der Missiousbestrebungen, einer besondern Darstellung
vorbehalten bleiben. Für diesmal sei nur noch ein Punkt erwähnt.


6

Wo blieben die Deutsche" während dieser ganzen Zeit? Ach, der starke
Schmied, der die neben einander liegeudeu Stücke des deutschen Landes zu
einem ordentlichen Ganzen zusammenschweißen sollte, hatte seine schwere Arbeit
damals noch nicht begonnen. Wir waren noch keine Nation und bedeuteten
deshalb auch nichts, denn trotz der erfolgreichen Bemühungen Preußens, unser
Vaterland zunächst wenigstens wirtschaftlich zu einigen, trat doch gerade in
allen überseeischen Handelsfragen immer wieder unsre alte Zerrissenheit hervor,
weil die Hansestädte dem Zollvereine nicht angehörten. Kann man sich daher
wundern, daß überhaupt nicht davon die Rede gewesen zu sein scheint, uns
zur Teilnahme an dem gemeinschaftlichen Vorgehen gegen China aufzufordern?
Es war ja die traurige Zeit gleich nach dem Krimkriege, wo Preußen kaum
noch als Großmacht mitgezählt wurde.

Aber schon nach wenigen Jahren zeigten sich auch hier die erfreulichsten
Spuren des Erstarkens. Als der Vertrag von Tientsin in Europa bekannt
geworden war, rüstete die preußische Negierung eine Expedition nach Ostasien
aus, um im Namen aller deutschen Staaten einen ähnlichen Handelsvertrag
abzuschließen. Wir haben von Reinhold Werner eine hübsche Beschreibung
dieses Unternehmens, das zum gewünschten Ziele führte. Am 2. September 1861
wurde in Tientsin der Vertrag zwischen dem Zollverein, den Hansestädten und
Mecklenburg einerseits und China andrerseits vom Grafen Eulenburg und
den chinesischen Bevollmächtigten unterzeichnet. Die Bestimmungen waren im
wesentlichen dieselben, wie die für die andern Staaten geltenden. Seitdem
hat sich der deutsche Handel in China so mächtig gehoben, daß er jetzt den
zweiten Platz einnimmt. Von großem Werte hierfür war der Umstand, daß


wurde der Friedensvertrag unterzeichnet, dessen Bestimmungen für die Chinesen
sehr mild waren. Sie mußten die Kriegskosten bezahlen und außerdem solchen
katholischen Missionen, die in früherer Zeit durch Verfolgung Schaden erlitten
hatten, Ersatz leisten. An Land verloren sie nnr einen unbedeutenden Strich
gegenüber von Hongkong. Im übrigen blieb es bei dem, was man vor zwei
Jahren in Tientsin vereinbart hatte.

Nach mehr als zwanzigjährigen Bemühungen waren also die Abendländer
so weit, China zur thatsächlichen Anerkennung ihrer Gleichberechtigung ge¬
zwungen zu haben. Ein englischer und ein französischer Gesandter wurden
sofort für Peking ernannt; nach und nach folgten dann die andern fremden
Nationen diesem Beispiele. Wie sich das Verhältnis der Ausländer zu den
Chinesen auf der Grundlage der seitdem wenig veränderten Verträge von
Tientsin gestaltet hat, und wie die Aussichten für die Zukunft sind, dies müßte,
ebenso wie eine Übersicht der Missiousbestrebungen, einer besondern Darstellung
vorbehalten bleiben. Für diesmal sei nur noch ein Punkt erwähnt.


6

Wo blieben die Deutsche» während dieser ganzen Zeit? Ach, der starke
Schmied, der die neben einander liegeudeu Stücke des deutschen Landes zu
einem ordentlichen Ganzen zusammenschweißen sollte, hatte seine schwere Arbeit
damals noch nicht begonnen. Wir waren noch keine Nation und bedeuteten
deshalb auch nichts, denn trotz der erfolgreichen Bemühungen Preußens, unser
Vaterland zunächst wenigstens wirtschaftlich zu einigen, trat doch gerade in
allen überseeischen Handelsfragen immer wieder unsre alte Zerrissenheit hervor,
weil die Hansestädte dem Zollvereine nicht angehörten. Kann man sich daher
wundern, daß überhaupt nicht davon die Rede gewesen zu sein scheint, uns
zur Teilnahme an dem gemeinschaftlichen Vorgehen gegen China aufzufordern?
Es war ja die traurige Zeit gleich nach dem Krimkriege, wo Preußen kaum
noch als Großmacht mitgezählt wurde.

Aber schon nach wenigen Jahren zeigten sich auch hier die erfreulichsten
Spuren des Erstarkens. Als der Vertrag von Tientsin in Europa bekannt
geworden war, rüstete die preußische Negierung eine Expedition nach Ostasien
aus, um im Namen aller deutschen Staaten einen ähnlichen Handelsvertrag
abzuschließen. Wir haben von Reinhold Werner eine hübsche Beschreibung
dieses Unternehmens, das zum gewünschten Ziele führte. Am 2. September 1861
wurde in Tientsin der Vertrag zwischen dem Zollverein, den Hansestädten und
Mecklenburg einerseits und China andrerseits vom Grafen Eulenburg und
den chinesischen Bevollmächtigten unterzeichnet. Die Bestimmungen waren im
wesentlichen dieselben, wie die für die andern Staaten geltenden. Seitdem
hat sich der deutsche Handel in China so mächtig gehoben, daß er jetzt den
zweiten Platz einnimmt. Von großem Werte hierfür war der Umstand, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/126>, abgerufen am 05.01.2025.