Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.![]() 9er Bauernstand unsre Rettung in seltsamer Doppelschrei gellt heute durch unsre Lande. Arbeit! Wer kann das verstehen? Der Niedergang des Bauernstandes ist eine Thatsache, die niemand mehr Grenzboten I 1892 65
![]() 9er Bauernstand unsre Rettung in seltsamer Doppelschrei gellt heute durch unsre Lande. Arbeit! Wer kann das verstehen? Der Niedergang des Bauernstandes ist eine Thatsache, die niemand mehr Grenzboten I 1892 65
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211689"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341855_211167/figures/grenzboten_341855_211167_211689_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> 9er Bauernstand unsre Rettung</head><lb/> <p xml:id="ID_1526"> in seltsamer Doppelschrei gellt heute durch unsre Lande. Arbeit!<lb/> Arbeit wollen wir! lärmen sie in den Städten; Arbeiter! Arbeiter<lb/> brauchen wir! ruft der Bauer auf dem Dorfe. In den Städten<lb/> kann man uicht genug Häuser bauen, um der Wohnungsnot zu<lb/> steuern, ans dem Lande stehen Huben und Hütten leer. In den<lb/> Städten droht fortwährend Hungersnot, die man mit teueren amerikanischem<lb/> Korn decken will, auf dem Lande liegen die Heiden wild, die Felder brach;<lb/> auf abgehausten Bauerngründen wächst junger Wald, und wo früher unge¬<lb/> zählte Menschenfamilien gearbeitet haben, gelebt habe», zufrieden gewesen sind,<lb/> tummeln sich heute Rehe und Hirsche für den Jagdsport hochmögcnder Herr¬<lb/> schaften. So wenigstens ist es bei uns in den Alpen; doch wie man hört,<lb/> trifsts im Flachlande auch zum Teil zu, und der Bauernstand geht dort wie<lb/> hier dem Verfall entgegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1527"> Wer kann das verstehen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1528" next="#ID_1529"> Der Niedergang des Bauernstandes ist eine Thatsache, die niemand mehr<lb/> leugnet. Wenn man doch nur auch zugestehen wollte, daß das große Arbeiter-<lb/> elend in den Städten und die drohende Gefahr der Sozialdemokratie mit dem<lb/> Niedergange des Bauernstandes zusammenhängt! Nichts wird sich so furchtbar<lb/> rächen, als daß man den altgeseszneu Bauernstand verkommen ließ, daß man<lb/> ihn mit Lasten zu sehr drückte, daß man Dienste von ihm verlangte, die ihn<lb/> seinem Berufe entfremdeten. Der Bauer leistet genug für den Staat, wenn<lb/> er Bauer ist. Aber man verlangt noch sonst alles mögliche von ihm: man<lb/> will mit seinen Steuern die Staatseisenbahnen betreiben helfen, dafür daß sie</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1892 65</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0521]
[Abbildung]
9er Bauernstand unsre Rettung
in seltsamer Doppelschrei gellt heute durch unsre Lande. Arbeit!
Arbeit wollen wir! lärmen sie in den Städten; Arbeiter! Arbeiter
brauchen wir! ruft der Bauer auf dem Dorfe. In den Städten
kann man uicht genug Häuser bauen, um der Wohnungsnot zu
steuern, ans dem Lande stehen Huben und Hütten leer. In den
Städten droht fortwährend Hungersnot, die man mit teueren amerikanischem
Korn decken will, auf dem Lande liegen die Heiden wild, die Felder brach;
auf abgehausten Bauerngründen wächst junger Wald, und wo früher unge¬
zählte Menschenfamilien gearbeitet haben, gelebt habe», zufrieden gewesen sind,
tummeln sich heute Rehe und Hirsche für den Jagdsport hochmögcnder Herr¬
schaften. So wenigstens ist es bei uns in den Alpen; doch wie man hört,
trifsts im Flachlande auch zum Teil zu, und der Bauernstand geht dort wie
hier dem Verfall entgegen.
Wer kann das verstehen?
Der Niedergang des Bauernstandes ist eine Thatsache, die niemand mehr
leugnet. Wenn man doch nur auch zugestehen wollte, daß das große Arbeiter-
elend in den Städten und die drohende Gefahr der Sozialdemokratie mit dem
Niedergange des Bauernstandes zusammenhängt! Nichts wird sich so furchtbar
rächen, als daß man den altgeseszneu Bauernstand verkommen ließ, daß man
ihn mit Lasten zu sehr drückte, daß man Dienste von ihm verlangte, die ihn
seinem Berufe entfremdeten. Der Bauer leistet genug für den Staat, wenn
er Bauer ist. Aber man verlangt noch sonst alles mögliche von ihm: man
will mit seinen Steuern die Staatseisenbahnen betreiben helfen, dafür daß sie
Grenzboten I 1892 65
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