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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Der russische Soldat

er Grashdanin des Fürsten Mcschtscherski hat einen militärischen
Mitarbeiter, der in einer langen Reihe von Feuilletons das
russische und das ausländische Kriegswesen nach allen Richtungen
durchackert. Aus dein dreiundachtzigsteu dieser Feuilletons lohnt
es, die unter dem Titel: "Wen fürchtet der Dreibund" erschienene,
in ihrer Art mustergiltige und in ihrer offenherzigen Naivität kaum zu über¬
treffende Schilderung des russischen Soldaten hervorzuheben. Im folgenden
wird dem Leser eine meist wörtliche Übersetzung dieses Feuilletons geboten.

Unser Soldat, so beginnt der Artikel, geht ausschließlich ans einem Stande
hervor, der von der Wiege an zu fortgesetzter Anstrengung, zu Arbeit, Hunger
und Kälte gewohnt wird; er ist ein im höchsten Grade gefügiges, nie wider¬
sprechendes und unbeschreiblich duldsames Wesen. Jedem, der unter den
Soldaten gelebt hat, der sie nicht nur aus der Ferne kennt, sind der Humor nud
die Gutmütigkeit bekannt, womit er immer scherzend und spottend seine schwere
Lage erträgt. In unserm merkantilen Jahrhundert, wo jeder dem Gewinn
nachjagt, ist es ein Genuß, das Auge einem Menschenschlage zuzuwenden, der
jederzeit bereit ist, mit dem Leben für seine Freunde einzutreten. Der Soldat
ist der Vertreter des Idealismus unsrer Zeit, der treue Diener höherer sitt¬
licher Grundsätze, ein Mensch, der in Kriegszeiten, wenn das Vaterland blutige
Opfer fordert, sie ohne zu murren bringt, ganz wie seine Vorgesetzten es
thun. Er allein aber ohne Ehrgeiz, und ihm fällt ausschließlich die Gefahr
zu. Im Kampfe ermutigt sein ernstes, ruhiges und gutmütiges Gesicht
die, die die Zuversicht verlieren; nach dem Kampfe aber überläßt er den Vor¬
gesetzten die Lorbeeren des Sieges, der dnrch seine Anstrengungen und sein Blut
erworben wurde, und schärft, obgleich er hungrig, müde und matt ist, das


Grenzboten III 1891 61


Der russische Soldat

er Grashdanin des Fürsten Mcschtscherski hat einen militärischen
Mitarbeiter, der in einer langen Reihe von Feuilletons das
russische und das ausländische Kriegswesen nach allen Richtungen
durchackert. Aus dein dreiundachtzigsteu dieser Feuilletons lohnt
es, die unter dem Titel: „Wen fürchtet der Dreibund" erschienene,
in ihrer Art mustergiltige und in ihrer offenherzigen Naivität kaum zu über¬
treffende Schilderung des russischen Soldaten hervorzuheben. Im folgenden
wird dem Leser eine meist wörtliche Übersetzung dieses Feuilletons geboten.

Unser Soldat, so beginnt der Artikel, geht ausschließlich ans einem Stande
hervor, der von der Wiege an zu fortgesetzter Anstrengung, zu Arbeit, Hunger
und Kälte gewohnt wird; er ist ein im höchsten Grade gefügiges, nie wider¬
sprechendes und unbeschreiblich duldsames Wesen. Jedem, der unter den
Soldaten gelebt hat, der sie nicht nur aus der Ferne kennt, sind der Humor nud
die Gutmütigkeit bekannt, womit er immer scherzend und spottend seine schwere
Lage erträgt. In unserm merkantilen Jahrhundert, wo jeder dem Gewinn
nachjagt, ist es ein Genuß, das Auge einem Menschenschlage zuzuwenden, der
jederzeit bereit ist, mit dem Leben für seine Freunde einzutreten. Der Soldat
ist der Vertreter des Idealismus unsrer Zeit, der treue Diener höherer sitt¬
licher Grundsätze, ein Mensch, der in Kriegszeiten, wenn das Vaterland blutige
Opfer fordert, sie ohne zu murren bringt, ganz wie seine Vorgesetzten es
thun. Er allein aber ohne Ehrgeiz, und ihm fällt ausschließlich die Gefahr
zu. Im Kampfe ermutigt sein ernstes, ruhiges und gutmütiges Gesicht
die, die die Zuversicht verlieren; nach dem Kampfe aber überläßt er den Vor¬
gesetzten die Lorbeeren des Sieges, der dnrch seine Anstrengungen und sein Blut
erworben wurde, und schärft, obgleich er hungrig, müde und matt ist, das


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[0489] [Abbildung] Der russische Soldat er Grashdanin des Fürsten Mcschtscherski hat einen militärischen Mitarbeiter, der in einer langen Reihe von Feuilletons das russische und das ausländische Kriegswesen nach allen Richtungen durchackert. Aus dein dreiundachtzigsteu dieser Feuilletons lohnt es, die unter dem Titel: „Wen fürchtet der Dreibund" erschienene, in ihrer Art mustergiltige und in ihrer offenherzigen Naivität kaum zu über¬ treffende Schilderung des russischen Soldaten hervorzuheben. Im folgenden wird dem Leser eine meist wörtliche Übersetzung dieses Feuilletons geboten. Unser Soldat, so beginnt der Artikel, geht ausschließlich ans einem Stande hervor, der von der Wiege an zu fortgesetzter Anstrengung, zu Arbeit, Hunger und Kälte gewohnt wird; er ist ein im höchsten Grade gefügiges, nie wider¬ sprechendes und unbeschreiblich duldsames Wesen. Jedem, der unter den Soldaten gelebt hat, der sie nicht nur aus der Ferne kennt, sind der Humor nud die Gutmütigkeit bekannt, womit er immer scherzend und spottend seine schwere Lage erträgt. In unserm merkantilen Jahrhundert, wo jeder dem Gewinn nachjagt, ist es ein Genuß, das Auge einem Menschenschlage zuzuwenden, der jederzeit bereit ist, mit dem Leben für seine Freunde einzutreten. Der Soldat ist der Vertreter des Idealismus unsrer Zeit, der treue Diener höherer sitt¬ licher Grundsätze, ein Mensch, der in Kriegszeiten, wenn das Vaterland blutige Opfer fordert, sie ohne zu murren bringt, ganz wie seine Vorgesetzten es thun. Er allein aber ohne Ehrgeiz, und ihm fällt ausschließlich die Gefahr zu. Im Kampfe ermutigt sein ernstes, ruhiges und gutmütiges Gesicht die, die die Zuversicht verlieren; nach dem Kampfe aber überläßt er den Vor¬ gesetzten die Lorbeeren des Sieges, der dnrch seine Anstrengungen und sein Blut erworben wurde, und schärft, obgleich er hungrig, müde und matt ist, das Grenzboten III 1891 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/489>, abgerufen am 23.07.2024.