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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemo¬
kratischen Staates
von R. von Schubert-Soldern (Schluß)

is drittes, womit die Sozialdemokratie in Widerstreit geraten
würde, ist von mir der Egoismus bezeichnet worden. Der Egois¬
mus und sein Gegenteil, die allgemeine Menschenliebe, können
vernünftig oder unvernünftig sein. Der vernünftige Egoismus
beruht auf der Einsicht, daß die Zufriedenheit der andern not¬
wendig sei zur eignen Zufriedenheit. Niemand wird sich seines Besitzes ruhig
erfreuen können, wenn er die Mißgunst und den Haß andrer durch die Art
und Weise des Gebrauches auf sich gezogen hat. Der vernünftige Egoismus
wird wenigstens dahin streben, den Vorteil andrer so weit zu berücksichtigen,
als es zum ruhigen Genusse der eignen Güter notwendig erscheint; mit einen:
solchen Egoisten wird man auskommen können, so lange man keine Aufopferung
von ihm verlangt. Es giebt aber mich einen andern Egoismus, der den eignen
Vorteil ohne Rücksicht nuf den Vorteil andrer verfolgt, und der schließlich
einen solchen Haß erregen kann, daß er sich selbst zum Nachteil wird.

Daß die allgemeine Menschenliebe das Wohl andrer mindestens dem eignen
gleich achten muß, ist an sich klar und bedarf keiner weitern Erörterung; aber
sie kann auch unvernünftig sein, indem sie dem Nebenmenschen Vorteile zu ver¬
schaffen strebt, die schließlich zu seinem eignen Nachteil ausschlagen, oder ihn
vor einem Leid zu bewahren sucht, das nur zu seinem eignen Vorteil dienen
kann. So viel mag zur Feststellung der Begriffe dienen.

Herrschte die allgemeine Menschenliebe in ihrer vernünftigen Form in der
Welt allein, dann wäre ein svzialdemokratischer Staat unnötig. Mag Besitzer


Grenzboten III IK91 31


Die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemo¬
kratischen Staates
von R. von Schubert-Soldern (Schluß)

is drittes, womit die Sozialdemokratie in Widerstreit geraten
würde, ist von mir der Egoismus bezeichnet worden. Der Egois¬
mus und sein Gegenteil, die allgemeine Menschenliebe, können
vernünftig oder unvernünftig sein. Der vernünftige Egoismus
beruht auf der Einsicht, daß die Zufriedenheit der andern not¬
wendig sei zur eignen Zufriedenheit. Niemand wird sich seines Besitzes ruhig
erfreuen können, wenn er die Mißgunst und den Haß andrer durch die Art
und Weise des Gebrauches auf sich gezogen hat. Der vernünftige Egoismus
wird wenigstens dahin streben, den Vorteil andrer so weit zu berücksichtigen,
als es zum ruhigen Genusse der eignen Güter notwendig erscheint; mit einen:
solchen Egoisten wird man auskommen können, so lange man keine Aufopferung
von ihm verlangt. Es giebt aber mich einen andern Egoismus, der den eignen
Vorteil ohne Rücksicht nuf den Vorteil andrer verfolgt, und der schließlich
einen solchen Haß erregen kann, daß er sich selbst zum Nachteil wird.

Daß die allgemeine Menschenliebe das Wohl andrer mindestens dem eignen
gleich achten muß, ist an sich klar und bedarf keiner weitern Erörterung; aber
sie kann auch unvernünftig sein, indem sie dem Nebenmenschen Vorteile zu ver¬
schaffen strebt, die schließlich zu seinem eignen Nachteil ausschlagen, oder ihn
vor einem Leid zu bewahren sucht, das nur zu seinem eignen Vorteil dienen
kann. So viel mag zur Feststellung der Begriffe dienen.

Herrschte die allgemeine Menschenliebe in ihrer vernünftigen Form in der
Welt allein, dann wäre ein svzialdemokratischer Staat unnötig. Mag Besitzer


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[0249] [Abbildung] Die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemo¬ kratischen Staates von R. von Schubert-Soldern (Schluß) is drittes, womit die Sozialdemokratie in Widerstreit geraten würde, ist von mir der Egoismus bezeichnet worden. Der Egois¬ mus und sein Gegenteil, die allgemeine Menschenliebe, können vernünftig oder unvernünftig sein. Der vernünftige Egoismus beruht auf der Einsicht, daß die Zufriedenheit der andern not¬ wendig sei zur eignen Zufriedenheit. Niemand wird sich seines Besitzes ruhig erfreuen können, wenn er die Mißgunst und den Haß andrer durch die Art und Weise des Gebrauches auf sich gezogen hat. Der vernünftige Egoismus wird wenigstens dahin streben, den Vorteil andrer so weit zu berücksichtigen, als es zum ruhigen Genusse der eignen Güter notwendig erscheint; mit einen: solchen Egoisten wird man auskommen können, so lange man keine Aufopferung von ihm verlangt. Es giebt aber mich einen andern Egoismus, der den eignen Vorteil ohne Rücksicht nuf den Vorteil andrer verfolgt, und der schließlich einen solchen Haß erregen kann, daß er sich selbst zum Nachteil wird. Daß die allgemeine Menschenliebe das Wohl andrer mindestens dem eignen gleich achten muß, ist an sich klar und bedarf keiner weitern Erörterung; aber sie kann auch unvernünftig sein, indem sie dem Nebenmenschen Vorteile zu ver¬ schaffen strebt, die schließlich zu seinem eignen Nachteil ausschlagen, oder ihn vor einem Leid zu bewahren sucht, das nur zu seinem eignen Vorteil dienen kann. So viel mag zur Feststellung der Begriffe dienen. Herrschte die allgemeine Menschenliebe in ihrer vernünftigen Form in der Welt allein, dann wäre ein svzialdemokratischer Staat unnötig. Mag Besitzer Grenzboten III IK91 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/249>, abgerufen am 13.11.2024.