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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

leuchten, sondern die Einheit in dieser ans den ersten Blick erstaunlichen
Mnnnichsaltigkeit zu zeigen. Diese Einheit fanden wir in dein Nrerlebnis des
Dichters, einem mystischen Gefühl der reinsten Religiosität, und in der mit
dieser frommen Grundstimmung parallel gehenden Erfahrung, das; diese Welt
nicht dem beschaulich frommen Gemüte, sondern der über jeden Zwiespalt mit
sich selbst erhabenen ursprünglichen Thatkraft und Lebensfreudigkeit gehöre.
Dn Anzengruber künstlerisch Realist ist, so kommt dieses Ideal nur vereinzelt
zum Ausdruck; wo es aber geschieht, wird die Dichtung zum Meisterwerke, so
im "Gwisseuswurm." in den "Krenzelschreibern," im "Doppelselbstmord," im
"Schandfleck." Mit diesen Werken hat sich Anzengruber einen unvergäng¬
lichen Namen in der deutsche" Litteratur gemacht: sie zeigen sein originales
Gesicht.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Regierung und die freisinnige Partei.

Ehe der Reichskanzler
von Caprivi in seiner viel besprochenen, die Unteroffizierprciinien betreffenden Rede
der freisinnigen Partei die nicht mißzuverstehende Absage erteilte, konnte man in
den Blättern verschiedenster Richtung von einer Annäherung der Regierung um die
Freisinnigen lesen. Wenn man freilich näher zusah und nach greifbaren That¬
sachen suchte, so blieb als Beweis für diese angebliche Annäherung nichts weiter
als eine Anzahl mehr oder weniger guter und mehr oder weniger glaubhafter
Anekdoten übrig. Wir wenigstens suchen vergeblich nach irgend einer Maßnahme
der gegenwärtigen Negierung, und zwar sowohl der Neichsregiernng wie der
Preußischen Regierung, die bisher das grundsätzliche Mißfallen der sogenannten
Kartellpnrteien erregt oder sich des ausschließlichen Beifalles der Opposition zu
erfreuen gehabt hätte. In Sachen unsrer Heeresverfassung ist, von einzelnem ab¬
gesehen, alles erreicht, was man wollte, sür die Zukunft sind keinerlei bindende
Zusagen gemacht, es ist nur das versprochen, was eigentlich selbstverständlich ist,
daß man nämlich die Frage der zweijährigen Dienstzeit und der Aufhebung des
Septeunnts in Erwägung ziehen werde. Die Koloninlpolitik wird in der bis¬
herigen Richtung fortgesetzt, das Sozialisteugesetz ist gefallen uuter Zustimmung
weiter Kreise der Kartellparteicn, und die Arbeiterschutzgesetzgebung hat zu keinen
gruudsiitzlicheu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Regierung und den Kartell-
Parteien geführt. In Preußen ist das wichtige Einkommensteuergesetz gegen die
Freisinnigen im wesentlichen dnrch die Kartellpnrteien zu stände gekommen, die
Sverrgetdervorlnge und die Laudgemcindeordnung, Borlagen, die hauptsächlich Be¬
denke" innerhalb der Kartellparteien erregt hatten, werden aller Boraussicht uach
demnächst ans Grund eines Kompromisses zwischen der Regierung und den Konser¬
vativen angeumumen werden, oder sie werden überhaupt nicht Gesetz werden.

Man sieht, es war von Anfang an die alte Richtung beibehalten und alles,
was geschah, geschah mit Hilfe derselben Parteien, ans die sich die bisherige Neichs-


Grenzboten II 1"9I 7
Maßgebliches und Unmaßgebliches

leuchten, sondern die Einheit in dieser ans den ersten Blick erstaunlichen
Mnnnichsaltigkeit zu zeigen. Diese Einheit fanden wir in dein Nrerlebnis des
Dichters, einem mystischen Gefühl der reinsten Religiosität, und in der mit
dieser frommen Grundstimmung parallel gehenden Erfahrung, das; diese Welt
nicht dem beschaulich frommen Gemüte, sondern der über jeden Zwiespalt mit
sich selbst erhabenen ursprünglichen Thatkraft und Lebensfreudigkeit gehöre.
Dn Anzengruber künstlerisch Realist ist, so kommt dieses Ideal nur vereinzelt
zum Ausdruck; wo es aber geschieht, wird die Dichtung zum Meisterwerke, so
im „Gwisseuswurm." in den „Krenzelschreibern," im „Doppelselbstmord," im
„Schandfleck." Mit diesen Werken hat sich Anzengruber einen unvergäng¬
lichen Namen in der deutsche» Litteratur gemacht: sie zeigen sein originales
Gesicht.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Regierung und die freisinnige Partei.

Ehe der Reichskanzler
von Caprivi in seiner viel besprochenen, die Unteroffizierprciinien betreffenden Rede
der freisinnigen Partei die nicht mißzuverstehende Absage erteilte, konnte man in
den Blättern verschiedenster Richtung von einer Annäherung der Regierung um die
Freisinnigen lesen. Wenn man freilich näher zusah und nach greifbaren That¬
sachen suchte, so blieb als Beweis für diese angebliche Annäherung nichts weiter
als eine Anzahl mehr oder weniger guter und mehr oder weniger glaubhafter
Anekdoten übrig. Wir wenigstens suchen vergeblich nach irgend einer Maßnahme
der gegenwärtigen Negierung, und zwar sowohl der Neichsregiernng wie der
Preußischen Regierung, die bisher das grundsätzliche Mißfallen der sogenannten
Kartellpnrteien erregt oder sich des ausschließlichen Beifalles der Opposition zu
erfreuen gehabt hätte. In Sachen unsrer Heeresverfassung ist, von einzelnem ab¬
gesehen, alles erreicht, was man wollte, sür die Zukunft sind keinerlei bindende
Zusagen gemacht, es ist nur das versprochen, was eigentlich selbstverständlich ist,
daß man nämlich die Frage der zweijährigen Dienstzeit und der Aufhebung des
Septeunnts in Erwägung ziehen werde. Die Koloninlpolitik wird in der bis¬
herigen Richtung fortgesetzt, das Sozialisteugesetz ist gefallen uuter Zustimmung
weiter Kreise der Kartellparteicn, und die Arbeiterschutzgesetzgebung hat zu keinen
gruudsiitzlicheu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Regierung und den Kartell-
Parteien geführt. In Preußen ist das wichtige Einkommensteuergesetz gegen die
Freisinnigen im wesentlichen dnrch die Kartellpnrteien zu stände gekommen, die
Sverrgetdervorlnge und die Laudgemcindeordnung, Borlagen, die hauptsächlich Be¬
denke» innerhalb der Kartellparteien erregt hatten, werden aller Boraussicht uach
demnächst ans Grund eines Kompromisses zwischen der Regierung und den Konser¬
vativen angeumumen werden, oder sie werden überhaupt nicht Gesetz werden.

Man sieht, es war von Anfang an die alte Richtung beibehalten und alles,
was geschah, geschah mit Hilfe derselben Parteien, ans die sich die bisherige Neichs-


Grenzboten II 1«9I 7
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[0057] Maßgebliches und Unmaßgebliches leuchten, sondern die Einheit in dieser ans den ersten Blick erstaunlichen Mnnnichsaltigkeit zu zeigen. Diese Einheit fanden wir in dein Nrerlebnis des Dichters, einem mystischen Gefühl der reinsten Religiosität, und in der mit dieser frommen Grundstimmung parallel gehenden Erfahrung, das; diese Welt nicht dem beschaulich frommen Gemüte, sondern der über jeden Zwiespalt mit sich selbst erhabenen ursprünglichen Thatkraft und Lebensfreudigkeit gehöre. Dn Anzengruber künstlerisch Realist ist, so kommt dieses Ideal nur vereinzelt zum Ausdruck; wo es aber geschieht, wird die Dichtung zum Meisterwerke, so im „Gwisseuswurm." in den „Krenzelschreibern," im „Doppelselbstmord," im „Schandfleck." Mit diesen Werken hat sich Anzengruber einen unvergäng¬ lichen Namen in der deutsche» Litteratur gemacht: sie zeigen sein originales Gesicht. Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Regierung und die freisinnige Partei. Ehe der Reichskanzler von Caprivi in seiner viel besprochenen, die Unteroffizierprciinien betreffenden Rede der freisinnigen Partei die nicht mißzuverstehende Absage erteilte, konnte man in den Blättern verschiedenster Richtung von einer Annäherung der Regierung um die Freisinnigen lesen. Wenn man freilich näher zusah und nach greifbaren That¬ sachen suchte, so blieb als Beweis für diese angebliche Annäherung nichts weiter als eine Anzahl mehr oder weniger guter und mehr oder weniger glaubhafter Anekdoten übrig. Wir wenigstens suchen vergeblich nach irgend einer Maßnahme der gegenwärtigen Negierung, und zwar sowohl der Neichsregiernng wie der Preußischen Regierung, die bisher das grundsätzliche Mißfallen der sogenannten Kartellpnrteien erregt oder sich des ausschließlichen Beifalles der Opposition zu erfreuen gehabt hätte. In Sachen unsrer Heeresverfassung ist, von einzelnem ab¬ gesehen, alles erreicht, was man wollte, sür die Zukunft sind keinerlei bindende Zusagen gemacht, es ist nur das versprochen, was eigentlich selbstverständlich ist, daß man nämlich die Frage der zweijährigen Dienstzeit und der Aufhebung des Septeunnts in Erwägung ziehen werde. Die Koloninlpolitik wird in der bis¬ herigen Richtung fortgesetzt, das Sozialisteugesetz ist gefallen uuter Zustimmung weiter Kreise der Kartellparteicn, und die Arbeiterschutzgesetzgebung hat zu keinen gruudsiitzlicheu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Regierung und den Kartell- Parteien geführt. In Preußen ist das wichtige Einkommensteuergesetz gegen die Freisinnigen im wesentlichen dnrch die Kartellpnrteien zu stände gekommen, die Sverrgetdervorlnge und die Laudgemcindeordnung, Borlagen, die hauptsächlich Be¬ denke» innerhalb der Kartellparteien erregt hatten, werden aller Boraussicht uach demnächst ans Grund eines Kompromisses zwischen der Regierung und den Konser¬ vativen angeumumen werden, oder sie werden überhaupt nicht Gesetz werden. Man sieht, es war von Anfang an die alte Richtung beibehalten und alles, was geschah, geschah mit Hilfe derselben Parteien, ans die sich die bisherige Neichs- Grenzboten II 1«9I 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/57>, abgerufen am 04.07.2024.