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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Städte zu Rom. Es versteht sich, daß fast jede blühende Bürgergemeinde
einen Herd kirchlicher Opposition bildete. In der Mark Brandenburg waren
die Stadtbürger schon 200 Jahre vor der Reformation gute Protestanten.
Am 16. Angust 1325 verbrannten die Berliner den Propst Nikolaus
von Bernau, der gekommen war, um das Volk gegen den um seines
Vaters, Ludwigs des Baiern willen exkommuuizirten Markgrafen Ludwig
aufzuhetzen; die Frankfurter aber, die wegen ihrer Treue gegen den ge-
nannten Fürsten ebenfalls dem Kirchenbanne verfallen waren, entbehrten
28 Jahre lang des Messelesens, der Taufe, der kirchlichen Traumig und
alles sonstigen Priestersegens mit gelassenen Mute, und verhöhnten, als die
Priesterschaft wieder einzog, deren Amtsverrichtungen als Possen. Die italienischen
Städte waren nicht weniger freien Geistes, doch hielten bei ihnen politische,
ästhetische und Gemütsrücksichteu der Freigeisterei das Gleichgewicht. Kennten
wir ein städtisches Gemeinwesen, in dem nicht nur alle geistigen Strömungen
der Zeit lebhaften Wiederhall gefunden hätten, sondern das auch selbst der
Ausgangspunkt für viele gewesen wäre, und das zugleich durch Urkunden und
Berichte von Zeitgenossen über jeden Abschnitt seiner inneren Geschichte Aus¬
kunft zu geben vermöchte, so würden wir zwar das hier gewonnene Bild
nicht ohne weiteres verallgemeinern dürfen, aber es würde uns doch ziemlich
tief in die religiöse Denkungsart des Mittelalters und in seine kirchenpolitischen
Zustande blicken lassen. Wir kennen um wirklich eine solche Stadt. Es ist
Florenz. Diese Stadt hat zugleich den Vorzug, daß sie vollkommener
als irgend eine andre ganz Italien vertritt. Denn, sagt Perrens in seiner
Ilistoirv Ü0 Vlorenos, was giebt es, das griechischer als Athen, französischer
als Paris und italienischer als Florenz wäre? Dem Verfasser des nach¬
folgenden Versuchs stehen freilich von dem vorhandnen reichen Stoff nnr
einige Bruchstücke zur Verfügung, aber diese Bruchstücke werde" genügen, zu
zeigen, was sich ans der Sache wohl machen ließe, wenn einer alles Nötige
beisammen hätte. Etwa die Hälfte des Materials ist dem oben angeführten
Werke, die andre Hälfte teils andern Darstellungen, teils unmittelbar den
Quellen entnommen.

1

Der erste Konflikt der florentinischen Bürgerschaft mit den Kirchen-
gewaltigen entsprang weder der Aufklärung noch irgend einem weltlichen
Interesse, sondern der einfältigsten und aufrichtigsten Frömmigkeit. Im
Jahre 1063 oktrovirte ihr Heinrich IV. einen Priester ans Pavia, namens
Pietro Mezzabarba, als Bischof. Bekanntlich sahen damals alle Frommen
den Kampf gegen die Simonie (und die Priesterehe) für ihre Lebensaufgabe
an; war doch kein geringerer als Kaiser Heinrich 111., der allgewaltige
vinum s^>c!8!i,r in-et, schreibt ein Reimchronist -- mit seinein unwiderstehlichen


Städte zu Rom. Es versteht sich, daß fast jede blühende Bürgergemeinde
einen Herd kirchlicher Opposition bildete. In der Mark Brandenburg waren
die Stadtbürger schon 200 Jahre vor der Reformation gute Protestanten.
Am 16. Angust 1325 verbrannten die Berliner den Propst Nikolaus
von Bernau, der gekommen war, um das Volk gegen den um seines
Vaters, Ludwigs des Baiern willen exkommuuizirten Markgrafen Ludwig
aufzuhetzen; die Frankfurter aber, die wegen ihrer Treue gegen den ge-
nannten Fürsten ebenfalls dem Kirchenbanne verfallen waren, entbehrten
28 Jahre lang des Messelesens, der Taufe, der kirchlichen Traumig und
alles sonstigen Priestersegens mit gelassenen Mute, und verhöhnten, als die
Priesterschaft wieder einzog, deren Amtsverrichtungen als Possen. Die italienischen
Städte waren nicht weniger freien Geistes, doch hielten bei ihnen politische,
ästhetische und Gemütsrücksichteu der Freigeisterei das Gleichgewicht. Kennten
wir ein städtisches Gemeinwesen, in dem nicht nur alle geistigen Strömungen
der Zeit lebhaften Wiederhall gefunden hätten, sondern das auch selbst der
Ausgangspunkt für viele gewesen wäre, und das zugleich durch Urkunden und
Berichte von Zeitgenossen über jeden Abschnitt seiner inneren Geschichte Aus¬
kunft zu geben vermöchte, so würden wir zwar das hier gewonnene Bild
nicht ohne weiteres verallgemeinern dürfen, aber es würde uns doch ziemlich
tief in die religiöse Denkungsart des Mittelalters und in seine kirchenpolitischen
Zustande blicken lassen. Wir kennen um wirklich eine solche Stadt. Es ist
Florenz. Diese Stadt hat zugleich den Vorzug, daß sie vollkommener
als irgend eine andre ganz Italien vertritt. Denn, sagt Perrens in seiner
Ilistoirv Ü0 Vlorenos, was giebt es, das griechischer als Athen, französischer
als Paris und italienischer als Florenz wäre? Dem Verfasser des nach¬
folgenden Versuchs stehen freilich von dem vorhandnen reichen Stoff nnr
einige Bruchstücke zur Verfügung, aber diese Bruchstücke werde» genügen, zu
zeigen, was sich ans der Sache wohl machen ließe, wenn einer alles Nötige
beisammen hätte. Etwa die Hälfte des Materials ist dem oben angeführten
Werke, die andre Hälfte teils andern Darstellungen, teils unmittelbar den
Quellen entnommen.

1

Der erste Konflikt der florentinischen Bürgerschaft mit den Kirchen-
gewaltigen entsprang weder der Aufklärung noch irgend einem weltlichen
Interesse, sondern der einfältigsten und aufrichtigsten Frömmigkeit. Im
Jahre 1063 oktrovirte ihr Heinrich IV. einen Priester ans Pavia, namens
Pietro Mezzabarba, als Bischof. Bekanntlich sahen damals alle Frommen
den Kampf gegen die Simonie (und die Priesterehe) für ihre Lebensaufgabe
an; war doch kein geringerer als Kaiser Heinrich 111., der allgewaltige
vinum s^>c!8!i,r in-et, schreibt ein Reimchronist — mit seinein unwiderstehlichen


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[0419] Städte zu Rom. Es versteht sich, daß fast jede blühende Bürgergemeinde einen Herd kirchlicher Opposition bildete. In der Mark Brandenburg waren die Stadtbürger schon 200 Jahre vor der Reformation gute Protestanten. Am 16. Angust 1325 verbrannten die Berliner den Propst Nikolaus von Bernau, der gekommen war, um das Volk gegen den um seines Vaters, Ludwigs des Baiern willen exkommuuizirten Markgrafen Ludwig aufzuhetzen; die Frankfurter aber, die wegen ihrer Treue gegen den ge- nannten Fürsten ebenfalls dem Kirchenbanne verfallen waren, entbehrten 28 Jahre lang des Messelesens, der Taufe, der kirchlichen Traumig und alles sonstigen Priestersegens mit gelassenen Mute, und verhöhnten, als die Priesterschaft wieder einzog, deren Amtsverrichtungen als Possen. Die italienischen Städte waren nicht weniger freien Geistes, doch hielten bei ihnen politische, ästhetische und Gemütsrücksichteu der Freigeisterei das Gleichgewicht. Kennten wir ein städtisches Gemeinwesen, in dem nicht nur alle geistigen Strömungen der Zeit lebhaften Wiederhall gefunden hätten, sondern das auch selbst der Ausgangspunkt für viele gewesen wäre, und das zugleich durch Urkunden und Berichte von Zeitgenossen über jeden Abschnitt seiner inneren Geschichte Aus¬ kunft zu geben vermöchte, so würden wir zwar das hier gewonnene Bild nicht ohne weiteres verallgemeinern dürfen, aber es würde uns doch ziemlich tief in die religiöse Denkungsart des Mittelalters und in seine kirchenpolitischen Zustande blicken lassen. Wir kennen um wirklich eine solche Stadt. Es ist Florenz. Diese Stadt hat zugleich den Vorzug, daß sie vollkommener als irgend eine andre ganz Italien vertritt. Denn, sagt Perrens in seiner Ilistoirv Ü0 Vlorenos, was giebt es, das griechischer als Athen, französischer als Paris und italienischer als Florenz wäre? Dem Verfasser des nach¬ folgenden Versuchs stehen freilich von dem vorhandnen reichen Stoff nnr einige Bruchstücke zur Verfügung, aber diese Bruchstücke werde» genügen, zu zeigen, was sich ans der Sache wohl machen ließe, wenn einer alles Nötige beisammen hätte. Etwa die Hälfte des Materials ist dem oben angeführten Werke, die andre Hälfte teils andern Darstellungen, teils unmittelbar den Quellen entnommen. 1 Der erste Konflikt der florentinischen Bürgerschaft mit den Kirchen- gewaltigen entsprang weder der Aufklärung noch irgend einem weltlichen Interesse, sondern der einfältigsten und aufrichtigsten Frömmigkeit. Im Jahre 1063 oktrovirte ihr Heinrich IV. einen Priester ans Pavia, namens Pietro Mezzabarba, als Bischof. Bekanntlich sahen damals alle Frommen den Kampf gegen die Simonie (und die Priesterehe) für ihre Lebensaufgabe an; war doch kein geringerer als Kaiser Heinrich 111., der allgewaltige vinum s^>c!8!i,r in-et, schreibt ein Reimchronist — mit seinein unwiderstehlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/419>, abgerufen am 04.07.2024.