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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Halmscher Poesie wird schwerlich zum weitern Beschreiben seiner Pfade ver¬
locken. Auch der Wirkung der ursprünglichen spanischen Schöpfungen stehen
die früher angedeuteten Hindernisse im Wege. Die wissenschaftliche Beschäftigung
mit den Meisterwerken der spanischen Litteratur kaun vielleicht hie und da die
Funken der ästhetischen Freude daran wieder zu einer Hellem Flamme empor¬
blasen. Im großen und ganzen würde dies aber keinen Einfluß auf unser
litterarisches Lesen haben. Was uus fehlt, ist uicht eine Verbreiterung, sondern
eine Vertiefung der litterarischen Interessen, der Teilnahme an poetischen
Schöpfungen und Bestrebungen. Der feinste Kenner spanischer Mantel- und
Degenstücke kann leider eine sehr unsichere Empfindung über Wert und Unwert
deutscher Dichtung, lebendiger poetischer Bestrebungen haben. Angesichts der
Zerfahrenheit und der Urteilslosigkeit in künstlerischen Dingen, der vielseitigen
Ansprüche an die wenigen Mußestunden, die uns heute gegönnt sind, gilt es,
Wünsche, die mau für den Anteil an fremdländischen, in keiner unmittelbaren
Beziehung zu uns selbst mehr stehenden Litteraturen haben kann, zurückzudrängen.
Die geforderte Vereinfachung, die unsrer Bildung ein stärkeres Rückgrat geben
soll, kaun doch der Schule nicht allein auferlegt werden. Wir andern müssen
auch etwas dazu thun, und der Verzicht auf spanisches wird nicht der einzige
sein, zu dem wir uns nachgerade entschließen müssen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Briefe von Viktor Hehn. Mit so großer Freude mau auch das Erscheinen
von Briefen Viktor Hehns begrüßen, mit so viel Genuß man sie auch lesen mag,
so nötigt doch das von Herman Wichmann, einem Musiker, herausgegebene Buch
Briefe Viktor Hehns von 187K bis zu seinem Tode 23. März 1890
an seinen Freund H. W. (Stuttgart, Cotta) vor allem eine Rechtsfrage auf¬
zuwerfen. Was ich durch den Druck veröffentlicht habe, das ist durch das Gesetz
gegen unbefugten Neudruck während meiner Lebenszeit und noch dreißig Jahre
darüber hinaus zu Gunsten meiner Rechtsnachfolger geschützt. Soll nun, Ums ich
vertraulich, fern von dem Gedanken an eine Veröffentlichung, geschrieben habe,
vogelfrei sein, sobald ich die Augen geschlossen habe? Darüber besteht wohl nirgends
eine Bestimmung, und es ist mehr als fraglich, ob das in dem letzten Willen
jemandes ausgesprochene Verbot, seine Briefe drucken zu lassen, irgend eine rechtliche
Wirkung haben würde. Und doch rückt das vorliegende Beispiel den Gedanken
nahe, gesetzliche Befugnis in dieser Beziehung zuerkannt zu wünschen. Wer sich
bewußt ist, dem großen Publikum unbekannt oder doch uninteressant zu sein, braucht


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Halmscher Poesie wird schwerlich zum weitern Beschreiben seiner Pfade ver¬
locken. Auch der Wirkung der ursprünglichen spanischen Schöpfungen stehen
die früher angedeuteten Hindernisse im Wege. Die wissenschaftliche Beschäftigung
mit den Meisterwerken der spanischen Litteratur kaun vielleicht hie und da die
Funken der ästhetischen Freude daran wieder zu einer Hellem Flamme empor¬
blasen. Im großen und ganzen würde dies aber keinen Einfluß auf unser
litterarisches Lesen haben. Was uus fehlt, ist uicht eine Verbreiterung, sondern
eine Vertiefung der litterarischen Interessen, der Teilnahme an poetischen
Schöpfungen und Bestrebungen. Der feinste Kenner spanischer Mantel- und
Degenstücke kann leider eine sehr unsichere Empfindung über Wert und Unwert
deutscher Dichtung, lebendiger poetischer Bestrebungen haben. Angesichts der
Zerfahrenheit und der Urteilslosigkeit in künstlerischen Dingen, der vielseitigen
Ansprüche an die wenigen Mußestunden, die uns heute gegönnt sind, gilt es,
Wünsche, die mau für den Anteil an fremdländischen, in keiner unmittelbaren
Beziehung zu uns selbst mehr stehenden Litteraturen haben kann, zurückzudrängen.
Die geforderte Vereinfachung, die unsrer Bildung ein stärkeres Rückgrat geben
soll, kaun doch der Schule nicht allein auferlegt werden. Wir andern müssen
auch etwas dazu thun, und der Verzicht auf spanisches wird nicht der einzige
sein, zu dem wir uns nachgerade entschließen müssen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Briefe von Viktor Hehn. Mit so großer Freude mau auch das Erscheinen
von Briefen Viktor Hehns begrüßen, mit so viel Genuß man sie auch lesen mag,
so nötigt doch das von Herman Wichmann, einem Musiker, herausgegebene Buch
Briefe Viktor Hehns von 187K bis zu seinem Tode 23. März 1890
an seinen Freund H. W. (Stuttgart, Cotta) vor allem eine Rechtsfrage auf¬
zuwerfen. Was ich durch den Druck veröffentlicht habe, das ist durch das Gesetz
gegen unbefugten Neudruck während meiner Lebenszeit und noch dreißig Jahre
darüber hinaus zu Gunsten meiner Rechtsnachfolger geschützt. Soll nun, Ums ich
vertraulich, fern von dem Gedanken an eine Veröffentlichung, geschrieben habe,
vogelfrei sein, sobald ich die Augen geschlossen habe? Darüber besteht wohl nirgends
eine Bestimmung, und es ist mehr als fraglich, ob das in dem letzten Willen
jemandes ausgesprochene Verbot, seine Briefe drucken zu lassen, irgend eine rechtliche
Wirkung haben würde. Und doch rückt das vorliegende Beispiel den Gedanken
nahe, gesetzliche Befugnis in dieser Beziehung zuerkannt zu wünschen. Wer sich
bewußt ist, dem großen Publikum unbekannt oder doch uninteressant zu sein, braucht


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[0350] Maßgebliches und Unmaßgebliches Halmscher Poesie wird schwerlich zum weitern Beschreiben seiner Pfade ver¬ locken. Auch der Wirkung der ursprünglichen spanischen Schöpfungen stehen die früher angedeuteten Hindernisse im Wege. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Meisterwerken der spanischen Litteratur kaun vielleicht hie und da die Funken der ästhetischen Freude daran wieder zu einer Hellem Flamme empor¬ blasen. Im großen und ganzen würde dies aber keinen Einfluß auf unser litterarisches Lesen haben. Was uus fehlt, ist uicht eine Verbreiterung, sondern eine Vertiefung der litterarischen Interessen, der Teilnahme an poetischen Schöpfungen und Bestrebungen. Der feinste Kenner spanischer Mantel- und Degenstücke kann leider eine sehr unsichere Empfindung über Wert und Unwert deutscher Dichtung, lebendiger poetischer Bestrebungen haben. Angesichts der Zerfahrenheit und der Urteilslosigkeit in künstlerischen Dingen, der vielseitigen Ansprüche an die wenigen Mußestunden, die uns heute gegönnt sind, gilt es, Wünsche, die mau für den Anteil an fremdländischen, in keiner unmittelbaren Beziehung zu uns selbst mehr stehenden Litteraturen haben kann, zurückzudrängen. Die geforderte Vereinfachung, die unsrer Bildung ein stärkeres Rückgrat geben soll, kaun doch der Schule nicht allein auferlegt werden. Wir andern müssen auch etwas dazu thun, und der Verzicht auf spanisches wird nicht der einzige sein, zu dem wir uns nachgerade entschließen müssen. Maßgebliches und Unmaßgebliches Briefe von Viktor Hehn. Mit so großer Freude mau auch das Erscheinen von Briefen Viktor Hehns begrüßen, mit so viel Genuß man sie auch lesen mag, so nötigt doch das von Herman Wichmann, einem Musiker, herausgegebene Buch Briefe Viktor Hehns von 187K bis zu seinem Tode 23. März 1890 an seinen Freund H. W. (Stuttgart, Cotta) vor allem eine Rechtsfrage auf¬ zuwerfen. Was ich durch den Druck veröffentlicht habe, das ist durch das Gesetz gegen unbefugten Neudruck während meiner Lebenszeit und noch dreißig Jahre darüber hinaus zu Gunsten meiner Rechtsnachfolger geschützt. Soll nun, Ums ich vertraulich, fern von dem Gedanken an eine Veröffentlichung, geschrieben habe, vogelfrei sein, sobald ich die Augen geschlossen habe? Darüber besteht wohl nirgends eine Bestimmung, und es ist mehr als fraglich, ob das in dem letzten Willen jemandes ausgesprochene Verbot, seine Briefe drucken zu lassen, irgend eine rechtliche Wirkung haben würde. Und doch rückt das vorliegende Beispiel den Gedanken nahe, gesetzliche Befugnis in dieser Beziehung zuerkannt zu wünschen. Wer sich bewußt ist, dem großen Publikum unbekannt oder doch uninteressant zu sein, braucht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/350>, abgerufen am 04.07.2024.