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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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niederer gegenübersteht. Es wird zur Barbarei dort, wo der Zwang gegen
eine ebenbürtige oder gar überlegene Nation geübt wird.

Ich glaube, daß, wer die öffentliche Sitte, das Empfinden der Massen
vor einem, vor zwei Menschenaltern in Europa kannte und sie mit dem Em¬
pfinden von heute vergleicht, zu dem Ergebnis kommen wird, daß eine merkliche
Verfeinerung, Veredlung nicht stattgefunden habe, vielmehr eine Verrohung
zu spüren sei. Verhetzung erzeugt Verrohung. Erst war es die Demo¬
kratie der Revolutionszeit und des Republikanismus, die Stand gegen Stand
hetzte, dann haben in neuester Zeit der Svzinlismns und der Nationalismus
die Hetzerrolle übernommen. In Europa besteht die von der Presse besorgte
sogenannte politische Arbeit bellte vorwiegend in der Verhetzung der Völker
und Volksklassen gegen einander. Seit die Völker unmittelbar an der Politik
teilnehmen, was man politische Freiheit nennt, wächst in Europa der Haß,
der Kampf in erschreckendem Maße und mit ihnen natürlich die Verrohung
des öffentlichen Empfindens. Es ist eng geworden in dem alten Europa, und
die Menge der Menschen, der modernen Menschen namentlich, findet nicht mehr
den nötigen Raum für die Befriedigung der modernen Bedürfnisse. Aber nicht
das allein treibt zu Kampf und Haß. Der berechtigte Egoismus der Völker
artet in einen Nationalismus aus, der keine Schranke mehr über sich aner¬
kennt, der der Kultur, der Humanität spottet und mir noch die nackte, rohe
Gewalt gelten läßt. Wenn auch heute die fünf Millionen Soldaten Europas
abgerüstet würden, der Friede wäre deshalb noch nicht da. Auch ohne
Schlachten würgt heute der eine den andern im Namen des vermeintlichen
nationalen Rechtes. Militarismus und Nationalismus, die harten Brüder,
gehen Hund in Hand und lachen der gepriesenen europäischen Zivilisation.
Vielleicht setzen sie dereinst den Sozialismus zu ihrem Erben ein.




Zur Jubelfeier des Weimarischen Theaters

in stark hervortretender Zug unsrer rasch lebende" Zeit ist die
Festlust, die sich auch in der Mode verrät, bedeutende Ereignisse
des vorige" Jahrhunderts bei der Wiederkehr des Tages feierlich
zu begehen. Manche dieser Feste sind rein örtlich, und wer möchte
es einer Stadt verdenken, sich an einem solchen Erinnernngs-
tage mit Kränzen zu schmücken, ihn mit Gesang und Rede, mit der un¬
entbehrlichen Freude des Mahles und erhebenden Selbstbewußtsein zu feiern?


niederer gegenübersteht. Es wird zur Barbarei dort, wo der Zwang gegen
eine ebenbürtige oder gar überlegene Nation geübt wird.

Ich glaube, daß, wer die öffentliche Sitte, das Empfinden der Massen
vor einem, vor zwei Menschenaltern in Europa kannte und sie mit dem Em¬
pfinden von heute vergleicht, zu dem Ergebnis kommen wird, daß eine merkliche
Verfeinerung, Veredlung nicht stattgefunden habe, vielmehr eine Verrohung
zu spüren sei. Verhetzung erzeugt Verrohung. Erst war es die Demo¬
kratie der Revolutionszeit und des Republikanismus, die Stand gegen Stand
hetzte, dann haben in neuester Zeit der Svzinlismns und der Nationalismus
die Hetzerrolle übernommen. In Europa besteht die von der Presse besorgte
sogenannte politische Arbeit bellte vorwiegend in der Verhetzung der Völker
und Volksklassen gegen einander. Seit die Völker unmittelbar an der Politik
teilnehmen, was man politische Freiheit nennt, wächst in Europa der Haß,
der Kampf in erschreckendem Maße und mit ihnen natürlich die Verrohung
des öffentlichen Empfindens. Es ist eng geworden in dem alten Europa, und
die Menge der Menschen, der modernen Menschen namentlich, findet nicht mehr
den nötigen Raum für die Befriedigung der modernen Bedürfnisse. Aber nicht
das allein treibt zu Kampf und Haß. Der berechtigte Egoismus der Völker
artet in einen Nationalismus aus, der keine Schranke mehr über sich aner¬
kennt, der der Kultur, der Humanität spottet und mir noch die nackte, rohe
Gewalt gelten läßt. Wenn auch heute die fünf Millionen Soldaten Europas
abgerüstet würden, der Friede wäre deshalb noch nicht da. Auch ohne
Schlachten würgt heute der eine den andern im Namen des vermeintlichen
nationalen Rechtes. Militarismus und Nationalismus, die harten Brüder,
gehen Hund in Hand und lachen der gepriesenen europäischen Zivilisation.
Vielleicht setzen sie dereinst den Sozialismus zu ihrem Erben ein.




Zur Jubelfeier des Weimarischen Theaters

in stark hervortretender Zug unsrer rasch lebende» Zeit ist die
Festlust, die sich auch in der Mode verrät, bedeutende Ereignisse
des vorige» Jahrhunderts bei der Wiederkehr des Tages feierlich
zu begehen. Manche dieser Feste sind rein örtlich, und wer möchte
es einer Stadt verdenken, sich an einem solchen Erinnernngs-
tage mit Kränzen zu schmücken, ihn mit Gesang und Rede, mit der un¬
entbehrlichen Freude des Mahles und erhebenden Selbstbewußtsein zu feiern?


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[0183] niederer gegenübersteht. Es wird zur Barbarei dort, wo der Zwang gegen eine ebenbürtige oder gar überlegene Nation geübt wird. Ich glaube, daß, wer die öffentliche Sitte, das Empfinden der Massen vor einem, vor zwei Menschenaltern in Europa kannte und sie mit dem Em¬ pfinden von heute vergleicht, zu dem Ergebnis kommen wird, daß eine merkliche Verfeinerung, Veredlung nicht stattgefunden habe, vielmehr eine Verrohung zu spüren sei. Verhetzung erzeugt Verrohung. Erst war es die Demo¬ kratie der Revolutionszeit und des Republikanismus, die Stand gegen Stand hetzte, dann haben in neuester Zeit der Svzinlismns und der Nationalismus die Hetzerrolle übernommen. In Europa besteht die von der Presse besorgte sogenannte politische Arbeit bellte vorwiegend in der Verhetzung der Völker und Volksklassen gegen einander. Seit die Völker unmittelbar an der Politik teilnehmen, was man politische Freiheit nennt, wächst in Europa der Haß, der Kampf in erschreckendem Maße und mit ihnen natürlich die Verrohung des öffentlichen Empfindens. Es ist eng geworden in dem alten Europa, und die Menge der Menschen, der modernen Menschen namentlich, findet nicht mehr den nötigen Raum für die Befriedigung der modernen Bedürfnisse. Aber nicht das allein treibt zu Kampf und Haß. Der berechtigte Egoismus der Völker artet in einen Nationalismus aus, der keine Schranke mehr über sich aner¬ kennt, der der Kultur, der Humanität spottet und mir noch die nackte, rohe Gewalt gelten läßt. Wenn auch heute die fünf Millionen Soldaten Europas abgerüstet würden, der Friede wäre deshalb noch nicht da. Auch ohne Schlachten würgt heute der eine den andern im Namen des vermeintlichen nationalen Rechtes. Militarismus und Nationalismus, die harten Brüder, gehen Hund in Hand und lachen der gepriesenen europäischen Zivilisation. Vielleicht setzen sie dereinst den Sozialismus zu ihrem Erben ein. Zur Jubelfeier des Weimarischen Theaters in stark hervortretender Zug unsrer rasch lebende» Zeit ist die Festlust, die sich auch in der Mode verrät, bedeutende Ereignisse des vorige» Jahrhunderts bei der Wiederkehr des Tages feierlich zu begehen. Manche dieser Feste sind rein örtlich, und wer möchte es einer Stadt verdenken, sich an einem solchen Erinnernngs- tage mit Kränzen zu schmücken, ihn mit Gesang und Rede, mit der un¬ entbehrlichen Freude des Mahles und erhebenden Selbstbewußtsein zu feiern?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/183>, abgerufen am 04.07.2024.