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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Einheit

chon seit Jahresfrist ist von dem sich wieder starker regenden
Sondergeist im deutschen Baterlande, von den erneuten An¬
läufen des Partikularismus gegen das Gefüge des Reiches die
Rede. Einzelne Vorkommnisse des öffentlichen Lebens hie und
dn warfen unerwartet grelle Lichter auf den Drachen des Zwie¬
spalts, der mit gierigen und giftigem Zahn aus dem Dunkel fuhr, und zeigten,
daß der Schlummer des alten Ungetüms, weit entfernt, es allmählich in den
Schlaf des Todes überzuführen, vielmehr dazu gedient hat, ihm die Kräfte
zu neuen Heldenthaten zu stärken.

Es giebt nun Blätter im lieben Deutschland, die nach jeder Aufdeckung
derartiger Vorstöße mit gut gemachtem Erstaunen sich nach den vermeintlichen
Übclthätern umsehen, ohne sie jemals gewahr zu werden, die Angegriffenen
dabei mit verdächtigem Eifer verteidigen und Wohl gar, den Spieß umdrehend,
auf die unliebsamen Berichterstatter als ewig nörgelnde und überall Unrat
witternde Friedensstörer hinweisen. Hervorragend in dieser Kunst des Lengnens
und Abwälzen? ist namentlich ein vielgelesenes Münchner Blatt, und da es
auf weite Kreise Süddeutschlands seinen Einfluß übt, so verlohnt es sich viel¬
leicht, an der Hand von Thatsachen die Unschuldsbeteuerungen der betreffenden
Zeitung einmal ans ihren wahren Wert zu prüfen. Hierbei habe ich Münchner
Verhältnisse nicht bloß deshalb vorwiegend im Auge, weil ich diese aus eigner
Anschauung kenne, sondern weil München naturgemäß im Vordergründe aller
zentrifugalen Bestrebungen steht.

Allen ist wohl noch der Fall erinnerlich, daß eine in Preußen rechts¬
verbindlich geschlossene Ehe von dem höchsten bairischen Gerichtshofe für uu-
giltig erklärt wurde, und daß, als sich norddeutsche Stimmen erlaubten, ein


Grenzboleii I 1891 73


Die deutsche Einheit

chon seit Jahresfrist ist von dem sich wieder starker regenden
Sondergeist im deutschen Baterlande, von den erneuten An¬
läufen des Partikularismus gegen das Gefüge des Reiches die
Rede. Einzelne Vorkommnisse des öffentlichen Lebens hie und
dn warfen unerwartet grelle Lichter auf den Drachen des Zwie¬
spalts, der mit gierigen und giftigem Zahn aus dem Dunkel fuhr, und zeigten,
daß der Schlummer des alten Ungetüms, weit entfernt, es allmählich in den
Schlaf des Todes überzuführen, vielmehr dazu gedient hat, ihm die Kräfte
zu neuen Heldenthaten zu stärken.

Es giebt nun Blätter im lieben Deutschland, die nach jeder Aufdeckung
derartiger Vorstöße mit gut gemachtem Erstaunen sich nach den vermeintlichen
Übclthätern umsehen, ohne sie jemals gewahr zu werden, die Angegriffenen
dabei mit verdächtigem Eifer verteidigen und Wohl gar, den Spieß umdrehend,
auf die unliebsamen Berichterstatter als ewig nörgelnde und überall Unrat
witternde Friedensstörer hinweisen. Hervorragend in dieser Kunst des Lengnens
und Abwälzen? ist namentlich ein vielgelesenes Münchner Blatt, und da es
auf weite Kreise Süddeutschlands seinen Einfluß übt, so verlohnt es sich viel¬
leicht, an der Hand von Thatsachen die Unschuldsbeteuerungen der betreffenden
Zeitung einmal ans ihren wahren Wert zu prüfen. Hierbei habe ich Münchner
Verhältnisse nicht bloß deshalb vorwiegend im Auge, weil ich diese aus eigner
Anschauung kenne, sondern weil München naturgemäß im Vordergründe aller
zentrifugalen Bestrebungen steht.

Allen ist wohl noch der Fall erinnerlich, daß eine in Preußen rechts¬
verbindlich geschlossene Ehe von dem höchsten bairischen Gerichtshofe für uu-
giltig erklärt wurde, und daß, als sich norddeutsche Stimmen erlaubten, ein


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[0585] [Abbildung] Die deutsche Einheit chon seit Jahresfrist ist von dem sich wieder starker regenden Sondergeist im deutschen Baterlande, von den erneuten An¬ läufen des Partikularismus gegen das Gefüge des Reiches die Rede. Einzelne Vorkommnisse des öffentlichen Lebens hie und dn warfen unerwartet grelle Lichter auf den Drachen des Zwie¬ spalts, der mit gierigen und giftigem Zahn aus dem Dunkel fuhr, und zeigten, daß der Schlummer des alten Ungetüms, weit entfernt, es allmählich in den Schlaf des Todes überzuführen, vielmehr dazu gedient hat, ihm die Kräfte zu neuen Heldenthaten zu stärken. Es giebt nun Blätter im lieben Deutschland, die nach jeder Aufdeckung derartiger Vorstöße mit gut gemachtem Erstaunen sich nach den vermeintlichen Übclthätern umsehen, ohne sie jemals gewahr zu werden, die Angegriffenen dabei mit verdächtigem Eifer verteidigen und Wohl gar, den Spieß umdrehend, auf die unliebsamen Berichterstatter als ewig nörgelnde und überall Unrat witternde Friedensstörer hinweisen. Hervorragend in dieser Kunst des Lengnens und Abwälzen? ist namentlich ein vielgelesenes Münchner Blatt, und da es auf weite Kreise Süddeutschlands seinen Einfluß übt, so verlohnt es sich viel¬ leicht, an der Hand von Thatsachen die Unschuldsbeteuerungen der betreffenden Zeitung einmal ans ihren wahren Wert zu prüfen. Hierbei habe ich Münchner Verhältnisse nicht bloß deshalb vorwiegend im Auge, weil ich diese aus eigner Anschauung kenne, sondern weil München naturgemäß im Vordergründe aller zentrifugalen Bestrebungen steht. Allen ist wohl noch der Fall erinnerlich, daß eine in Preußen rechts¬ verbindlich geschlossene Ehe von dem höchsten bairischen Gerichtshofe für uu- giltig erklärt wurde, und daß, als sich norddeutsche Stimmen erlaubten, ein Grenzboleii I 1891 73

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/585>, abgerufen am 22.07.2024.