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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Der deiUsche Sprachverein und die deutsche Schule

größter Tragweite verquicken. Wir wünschen das Zustandekommen desselben
mit aller Entschiedenheit und hoffen, daß sich hüben wie drüben die unerlä߬
liche Bereitwilligkeit, dem großen Ziele Opfer zu bringen, schließlich finden
werde. Möge der günstige Stern, der unsrer innern Politik in deu letzten
Wochen geleuchtet hat, auch nach anßen hin klärend und ermutigend wirken,
damit eintrete, wonach sich alle Patrioten in Deutschland sehnen: eine Ära
des Vertrauens zur Leitung unsers Staatslebens.




Der deutsche Sprachverein und die deutsche schule

roß sind die Forderungen, die heutzutage um das Lehrziel der
deutschen Schule gestellt werden, weitgehend die Hoffnungen, die
sie erfüllen soll. Nicht junge Römer und junge Griechen, sondern
junge Deutsche, gerüstet mit dem Stahlpanzer des Patriotismus
und nationaler Begeisterung, Vorkämpfer gegen deu Sozialismus
soll sie erziehen, die deutsche Jugend mit einer richtigen Schätzung der Ver¬
gangenheit und mit dem hellen Blick für das praktische Leben und die Zukunft
ausstatten. Ihre Aufgabe ist es, die reine deutsche Sprache sprechen und
schreiben zu lehren, aber auch ihre Zöglinge mit der Kenntnis fremder Sprachen
zu versehen, denn "die Welt um Ende des neunzehnten Jahrhunderts steht unter
dem Zeichen des Verkehrs. Er durchbricht die Schranken, die die Völker trennen,
und knüpft zwischen den Nationen neue Beziehungen an." Der Idealismus
soll der Jugend nicht verkümmert werden, anderseits die Mitgift, die ihr die
Schule zu gebe" hat, jener praktische Sinn sein, der zur Mitarbeit an der
Lösung der Aufgaben, die die Gesellschaft bewegen, befähigt.

Ein Zauberer und ein Schneider, erzählt der gute alte Oliver Goldsmith,
kamen einst zusammen und pflegten des Gespräches. Was für ein unglück¬
liches Geschöpf bin ich doch! rief der Schneider; wenn es den Leuten einfallen
sollte, ohne Kleider zu leben, dann wäre ich verloren. Ich verstehe kein andres
Handwerk, das mich Herausreißen könnte. Wahr, erwiderte der Tausend¬
künstler, ich bedaure dich aufrichtig; dem Himmel sei Dank, mit mir stehts
nicht so schlimm; denn wenn mich ein Kunststück im Stiche läßt, so stehen
mir noch hundert andre zu Gebote. Nun, wenn du jemals an den Vettelstab
kommst, so will ich dir schon helfen. Es kam eine Hungersnot über das
Land; der Schneider brachte sich durch, weil seine Kunden nicht nackt gehen


Der deiUsche Sprachverein und die deutsche Schule

größter Tragweite verquicken. Wir wünschen das Zustandekommen desselben
mit aller Entschiedenheit und hoffen, daß sich hüben wie drüben die unerlä߬
liche Bereitwilligkeit, dem großen Ziele Opfer zu bringen, schließlich finden
werde. Möge der günstige Stern, der unsrer innern Politik in deu letzten
Wochen geleuchtet hat, auch nach anßen hin klärend und ermutigend wirken,
damit eintrete, wonach sich alle Patrioten in Deutschland sehnen: eine Ära
des Vertrauens zur Leitung unsers Staatslebens.




Der deutsche Sprachverein und die deutsche schule

roß sind die Forderungen, die heutzutage um das Lehrziel der
deutschen Schule gestellt werden, weitgehend die Hoffnungen, die
sie erfüllen soll. Nicht junge Römer und junge Griechen, sondern
junge Deutsche, gerüstet mit dem Stahlpanzer des Patriotismus
und nationaler Begeisterung, Vorkämpfer gegen deu Sozialismus
soll sie erziehen, die deutsche Jugend mit einer richtigen Schätzung der Ver¬
gangenheit und mit dem hellen Blick für das praktische Leben und die Zukunft
ausstatten. Ihre Aufgabe ist es, die reine deutsche Sprache sprechen und
schreiben zu lehren, aber auch ihre Zöglinge mit der Kenntnis fremder Sprachen
zu versehen, denn „die Welt um Ende des neunzehnten Jahrhunderts steht unter
dem Zeichen des Verkehrs. Er durchbricht die Schranken, die die Völker trennen,
und knüpft zwischen den Nationen neue Beziehungen an." Der Idealismus
soll der Jugend nicht verkümmert werden, anderseits die Mitgift, die ihr die
Schule zu gebe» hat, jener praktische Sinn sein, der zur Mitarbeit an der
Lösung der Aufgaben, die die Gesellschaft bewegen, befähigt.

Ein Zauberer und ein Schneider, erzählt der gute alte Oliver Goldsmith,
kamen einst zusammen und pflegten des Gespräches. Was für ein unglück¬
liches Geschöpf bin ich doch! rief der Schneider; wenn es den Leuten einfallen
sollte, ohne Kleider zu leben, dann wäre ich verloren. Ich verstehe kein andres
Handwerk, das mich Herausreißen könnte. Wahr, erwiderte der Tausend¬
künstler, ich bedaure dich aufrichtig; dem Himmel sei Dank, mit mir stehts
nicht so schlimm; denn wenn mich ein Kunststück im Stiche läßt, so stehen
mir noch hundert andre zu Gebote. Nun, wenn du jemals an den Vettelstab
kommst, so will ich dir schon helfen. Es kam eine Hungersnot über das
Land; der Schneider brachte sich durch, weil seine Kunden nicht nackt gehen


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[0492] Der deiUsche Sprachverein und die deutsche Schule größter Tragweite verquicken. Wir wünschen das Zustandekommen desselben mit aller Entschiedenheit und hoffen, daß sich hüben wie drüben die unerlä߬ liche Bereitwilligkeit, dem großen Ziele Opfer zu bringen, schließlich finden werde. Möge der günstige Stern, der unsrer innern Politik in deu letzten Wochen geleuchtet hat, auch nach anßen hin klärend und ermutigend wirken, damit eintrete, wonach sich alle Patrioten in Deutschland sehnen: eine Ära des Vertrauens zur Leitung unsers Staatslebens. Der deutsche Sprachverein und die deutsche schule roß sind die Forderungen, die heutzutage um das Lehrziel der deutschen Schule gestellt werden, weitgehend die Hoffnungen, die sie erfüllen soll. Nicht junge Römer und junge Griechen, sondern junge Deutsche, gerüstet mit dem Stahlpanzer des Patriotismus und nationaler Begeisterung, Vorkämpfer gegen deu Sozialismus soll sie erziehen, die deutsche Jugend mit einer richtigen Schätzung der Ver¬ gangenheit und mit dem hellen Blick für das praktische Leben und die Zukunft ausstatten. Ihre Aufgabe ist es, die reine deutsche Sprache sprechen und schreiben zu lehren, aber auch ihre Zöglinge mit der Kenntnis fremder Sprachen zu versehen, denn „die Welt um Ende des neunzehnten Jahrhunderts steht unter dem Zeichen des Verkehrs. Er durchbricht die Schranken, die die Völker trennen, und knüpft zwischen den Nationen neue Beziehungen an." Der Idealismus soll der Jugend nicht verkümmert werden, anderseits die Mitgift, die ihr die Schule zu gebe» hat, jener praktische Sinn sein, der zur Mitarbeit an der Lösung der Aufgaben, die die Gesellschaft bewegen, befähigt. Ein Zauberer und ein Schneider, erzählt der gute alte Oliver Goldsmith, kamen einst zusammen und pflegten des Gespräches. Was für ein unglück¬ liches Geschöpf bin ich doch! rief der Schneider; wenn es den Leuten einfallen sollte, ohne Kleider zu leben, dann wäre ich verloren. Ich verstehe kein andres Handwerk, das mich Herausreißen könnte. Wahr, erwiderte der Tausend¬ künstler, ich bedaure dich aufrichtig; dem Himmel sei Dank, mit mir stehts nicht so schlimm; denn wenn mich ein Kunststück im Stiche läßt, so stehen mir noch hundert andre zu Gebote. Nun, wenn du jemals an den Vettelstab kommst, so will ich dir schon helfen. Es kam eine Hungersnot über das Land; der Schneider brachte sich durch, weil seine Kunden nicht nackt gehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/492>, abgerufen am 22.07.2024.