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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Modernes Zeugniswesen

ränlein Marie Meder war ein Jahr lang in meinem Hanse als
Stütze meiner Frau. Sie half derselben ^es stand wirklich
"derselben" das in allen im Hanse vorkommenden ''
Arbeiten,
hielt treu ans Ordnung im ganzen Hansbetrieb und war eine
zuverlässige Hüterin und Leiterin meiner Kinder. Ich kann
Fräulein Meyer aus Grund dieser meiner Erfahrungen nur angelegentlichst
empfehlen." Dieses Zeugnis, von einem meiner Fachgenossen I>r. ^ ausgestellt,
war meiner Frau von einem jungen Madchen, das ihre Dienste im "Daheim"
angeboten hatte, noch mit einigen andern ähnlich lautenden Zeugnissen ans
adlichen Häusern zugesandt worden. Während meine optimistisch angehauchte
gute Frau ein freudiges "Heureka" anstimmte -- sie hatte ja ans den vielen
Anzeigen gerade diese herausgefunden ^, hatte ich, skeptisch, wie ich leider
dnrch Erfahrungen geworden bin, das "ut jenes schon an dem Briefe des
Fräuleins auszusetzen. Die Schreiber in hielt den Gebrauch eines Linienblattes
für überflüssig. Schief und krumm eilten die Zeilen über das Papier, die
Buchstaben glichen wenig den gleichmäßigen, anmutigen Schriftzügen meiner
lieben Frau, der Stil entsprach daher nicht den Ansprüchen, die ich an eine
ehemalige "höhere Tochter" ans guter Familie stellen zu dürfen glaubte, "ut
mein Backfisch von Tochter, die ich zur Beurteilung einiger zweifelhaften Necht-
schreibefälle gegen die Mutter zu Hilfe rief, die sich zur Entschuldigung ihres
Schützlings auf Puttkammer berief, schwor hoch und heilig, daß verschiedne
Wörter auch nach der neue" Mchtschreibelehre anders geschrieben würden.
Kurz und gut, meine Schriftbenrteilnng ergab ganz das Gegenteil von dem,
was das Zeugnis sagte.

Um aber den Wünschen meiner Fran entgegenzukommen, schlug ich eine
Erkundigung ""mittelbar beim Kollege" .V vor. Gesagt, gethan. Hier ist die
Abschrift dieses Privatzeuguisses: "Fräulein Meyer ist allerdings ein Jahr
laug i" meinem Hanse gewesen, doch kann ich dieselbe >so!s nicht empfehlen.
Sie besticht anfangs dnrch ihr gewandtes Wesen "ut ihr gutes Aus¬
sehen, auch ist sie geschickt im Schneidern, doch stellte sich bald heraus,
daß sie oft unzuverlässig "eben der Wahrheit herging und manches ableugnete,
was ihr geradezu nachzuweisen war. Auch suchte sich Fräulein M. unlieb-
samen Einfluß auf das andre Personal zu verschaffen, kurz Nur waren




Modernes Zeugniswesen

ränlein Marie Meder war ein Jahr lang in meinem Hanse als
Stütze meiner Frau. Sie half derselben ^es stand wirklich
„derselben" das in allen im Hanse vorkommenden ''
Arbeiten,
hielt treu ans Ordnung im ganzen Hansbetrieb und war eine
zuverlässige Hüterin und Leiterin meiner Kinder. Ich kann
Fräulein Meyer aus Grund dieser meiner Erfahrungen nur angelegentlichst
empfehlen." Dieses Zeugnis, von einem meiner Fachgenossen I>r. ^ ausgestellt,
war meiner Frau von einem jungen Madchen, das ihre Dienste im „Daheim"
angeboten hatte, noch mit einigen andern ähnlich lautenden Zeugnissen ans
adlichen Häusern zugesandt worden. Während meine optimistisch angehauchte
gute Frau ein freudiges „Heureka" anstimmte — sie hatte ja ans den vielen
Anzeigen gerade diese herausgefunden ^, hatte ich, skeptisch, wie ich leider
dnrch Erfahrungen geworden bin, das »ut jenes schon an dem Briefe des
Fräuleins auszusetzen. Die Schreiber in hielt den Gebrauch eines Linienblattes
für überflüssig. Schief und krumm eilten die Zeilen über das Papier, die
Buchstaben glichen wenig den gleichmäßigen, anmutigen Schriftzügen meiner
lieben Frau, der Stil entsprach daher nicht den Ansprüchen, die ich an eine
ehemalige „höhere Tochter" ans guter Familie stellen zu dürfen glaubte, »ut
mein Backfisch von Tochter, die ich zur Beurteilung einiger zweifelhaften Necht-
schreibefälle gegen die Mutter zu Hilfe rief, die sich zur Entschuldigung ihres
Schützlings auf Puttkammer berief, schwor hoch und heilig, daß verschiedne
Wörter auch nach der neue» Mchtschreibelehre anders geschrieben würden.
Kurz und gut, meine Schriftbenrteilnng ergab ganz das Gegenteil von dem,
was das Zeugnis sagte.

Um aber den Wünschen meiner Fran entgegenzukommen, schlug ich eine
Erkundigung »»mittelbar beim Kollege» .V vor. Gesagt, gethan. Hier ist die
Abschrift dieses Privatzeuguisses: „Fräulein Meyer ist allerdings ein Jahr
laug i» meinem Hanse gewesen, doch kann ich dieselbe >so!s nicht empfehlen.
Sie besticht anfangs dnrch ihr gewandtes Wesen »ut ihr gutes Aus¬
sehen, auch ist sie geschickt im Schneidern, doch stellte sich bald heraus,
daß sie oft unzuverlässig »eben der Wahrheit herging und manches ableugnete,
was ihr geradezu nachzuweisen war. Auch suchte sich Fräulein M. unlieb-
samen Einfluß auf das andre Personal zu verschaffen, kurz Nur waren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/476>, abgerufen am 03.07.2024.