Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.kundigen, der gewissenhafte Lehrer, obwohl er natürlich anch so ein Urteil über den Freilich, es ist eine sehr dankbare Aufgabe, gegen die armen "Gymnasial- Man wolle mir verzeihen, daß ich warm geworden bin. Aber so kränkende Litteratur Gcschichtsel, MiswersinudeueS und Mißverständliches nus der Geschichte, gesammelt und Das Wort Geschichtsel ist wie so mancher bezeichnende Ausdruck eine Erfin¬ kundigen, der gewissenhafte Lehrer, obwohl er natürlich anch so ein Urteil über den Freilich, es ist eine sehr dankbare Aufgabe, gegen die armen „Gymnasial- Man wolle mir verzeihen, daß ich warm geworden bin. Aber so kränkende Litteratur Gcschichtsel, MiswersinudeueS und Mißverständliches nus der Geschichte, gesammelt und Das Wort Geschichtsel ist wie so mancher bezeichnende Ausdruck eine Erfin¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209671"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1232" prev="#ID_1231"> kundigen, der gewissenhafte Lehrer, obwohl er natürlich anch so ein Urteil über den<lb/> betreffenden Schiller hat, doch sein Notizbuch befragt, um genanen Bescheid geben<lb/> zu Rinnen. Denn er kann doch unmöglich, besonders bei überfüllten Klassen, immer<lb/> genau im Kopfe haben, wie die schriftlichen Arbeiten des Schillers ausgefallen sind,<lb/> wie er gewohnlich übersetzt und was er sonst geleistet hat. Das alles aber ist<lb/> doch bei der Frage der Versetzung, nach der sich der Vater erkundigen will, mit<lb/> ius Auge zu fassen. Ist es nicht komisch, daß selbst solche Dinge dem Lehrer zum<lb/> Vorwurf gemacht werden?</p><lb/> <p xml:id="ID_1233"> Freilich, es ist eine sehr dankbare Aufgabe, gegen die armen „Gymnasial-<lb/> philolvgeu" loszuziehen, das liebe Publikum hält natürlich alles für bare Münze.<lb/> Jeder hat mit dem oder jenem Lehrer irgend einmal eine trübe Erfahrung ge¬<lb/> macht, und das Unrecht war dabei natürlich stets allein ans der Seite des Lehrers;<lb/> der Herr Sohn hat es ja selbst so erzählt!</p><lb/> <p xml:id="ID_1234"> Man wolle mir verzeihen, daß ich warm geworden bin. Aber so kränkende<lb/> Vorwürfe, wie sie jener Aufsatz wieder erhoben hat, Vorwürfe, die, wie ich gern<lb/> zugeben null, nicht auf Böswilligkeit, aber sicher auf vollständiger Unkenntnis der<lb/> Verhältnisse beruhen und doch überall Zustimmung finden, müssen mit Entschiedenheit<lb/><note type="byline"> R L</note> zurückgewiesen werden. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Litteratur</head><lb/> <p xml:id="ID_1235"> Gcschichtsel, MiswersinudeueS und Mißverständliches nus der Geschichte, gesammelt und<lb/> erklärt von Simon Widmann. Paderborn, Schimiugh</p><lb/> <p xml:id="ID_1236"> Das Wort Geschichtsel ist wie so mancher bezeichnende Ausdruck eine Erfin¬<lb/> dung Fr. L. Jahns, und bedeutete ihn: „Dichtgeschichteu und Falschgeschichten,"<lb/> also Erdichtetes und Verfälschtes. Welchen Ballast vou falschen Nachrichten die<lb/> Weltgeschichte von altersher mitschleppt, und wie der Tag die von der Forschung<lb/> gerissenen Lücken in solcher Schwärzerware immer aufs neue ausfüllt, ist bekannt,<lb/> aber ein Katalog fehlte bisher. Der Versuch, ein recht eigentlich schwarzes Buch<lb/> der Geschichtschreibung anzulegen, muß daher als sehr löblich bezeichnet werden.<lb/> Daß es nicht ans den ersten Wurf ganz vollständig ausfallen konnte, ist selbstver¬<lb/> ständlich, und der Verfasser täuscht sich darüber nicht, bittet vielmehr um „Winke,<lb/> Berichtigungen, Beiträge." Er hat den Begriff weit gefaßt. Neben absichtlichen<lb/> Erfindungen und Entstellungen berücksichtigt er die vielen etymologischen Kunststücke,<lb/> die ohne rechte Kenntnis der Sprachen, der Geschichte, der Sitten, oft nur um<lb/> einer vorgefaßten Meinung, einer Liebliugsphautasie zu schmeicheln, ausgeführt<lb/> worden sind, die Schöpfungen der Sage, die allmählichen Veränderungen, die ein<lb/> Wort im Vvlksmnnde erfährt, und die zu einem ganz andern, als dem ursprüng¬<lb/> lichen Sinne führen, die unrichtigen Vorstellungen, die sich an Bezeichnungen aus<lb/> fremden Sprachen knüpfen u. s. w. Auch deu „Setzerkvbold" klagt er an, und<lb/> der rächt sich sofort ans derselben Seite (19), indem er das „Münchner Kindi,"<lb/> das bekanntlich ein Mönch ist, „ein (anstatt »im«) Münchner Stadtwappen" halten<lb/> läßt, und bei Erwähnung des Frankfurter Doms das Hauptwort verschluckt. Was<lb/> werden aber die Freisinnigen dazu sagen, daß Seite 205 „deutsche Zunft (statt<lb/> Zucht) und Sitte" in Gegensatz zu „französischer Unzucht und Unsitte" gebracht ist?</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0438]
kundigen, der gewissenhafte Lehrer, obwohl er natürlich anch so ein Urteil über den
betreffenden Schiller hat, doch sein Notizbuch befragt, um genanen Bescheid geben
zu Rinnen. Denn er kann doch unmöglich, besonders bei überfüllten Klassen, immer
genau im Kopfe haben, wie die schriftlichen Arbeiten des Schillers ausgefallen sind,
wie er gewohnlich übersetzt und was er sonst geleistet hat. Das alles aber ist
doch bei der Frage der Versetzung, nach der sich der Vater erkundigen will, mit
ius Auge zu fassen. Ist es nicht komisch, daß selbst solche Dinge dem Lehrer zum
Vorwurf gemacht werden?
Freilich, es ist eine sehr dankbare Aufgabe, gegen die armen „Gymnasial-
philolvgeu" loszuziehen, das liebe Publikum hält natürlich alles für bare Münze.
Jeder hat mit dem oder jenem Lehrer irgend einmal eine trübe Erfahrung ge¬
macht, und das Unrecht war dabei natürlich stets allein ans der Seite des Lehrers;
der Herr Sohn hat es ja selbst so erzählt!
Man wolle mir verzeihen, daß ich warm geworden bin. Aber so kränkende
Vorwürfe, wie sie jener Aufsatz wieder erhoben hat, Vorwürfe, die, wie ich gern
zugeben null, nicht auf Böswilligkeit, aber sicher auf vollständiger Unkenntnis der
Verhältnisse beruhen und doch überall Zustimmung finden, müssen mit Entschiedenheit
R L zurückgewiesen werden.
Litteratur
Gcschichtsel, MiswersinudeueS und Mißverständliches nus der Geschichte, gesammelt und
erklärt von Simon Widmann. Paderborn, Schimiugh
Das Wort Geschichtsel ist wie so mancher bezeichnende Ausdruck eine Erfin¬
dung Fr. L. Jahns, und bedeutete ihn: „Dichtgeschichteu und Falschgeschichten,"
also Erdichtetes und Verfälschtes. Welchen Ballast vou falschen Nachrichten die
Weltgeschichte von altersher mitschleppt, und wie der Tag die von der Forschung
gerissenen Lücken in solcher Schwärzerware immer aufs neue ausfüllt, ist bekannt,
aber ein Katalog fehlte bisher. Der Versuch, ein recht eigentlich schwarzes Buch
der Geschichtschreibung anzulegen, muß daher als sehr löblich bezeichnet werden.
Daß es nicht ans den ersten Wurf ganz vollständig ausfallen konnte, ist selbstver¬
ständlich, und der Verfasser täuscht sich darüber nicht, bittet vielmehr um „Winke,
Berichtigungen, Beiträge." Er hat den Begriff weit gefaßt. Neben absichtlichen
Erfindungen und Entstellungen berücksichtigt er die vielen etymologischen Kunststücke,
die ohne rechte Kenntnis der Sprachen, der Geschichte, der Sitten, oft nur um
einer vorgefaßten Meinung, einer Liebliugsphautasie zu schmeicheln, ausgeführt
worden sind, die Schöpfungen der Sage, die allmählichen Veränderungen, die ein
Wort im Vvlksmnnde erfährt, und die zu einem ganz andern, als dem ursprüng¬
lichen Sinne führen, die unrichtigen Vorstellungen, die sich an Bezeichnungen aus
fremden Sprachen knüpfen u. s. w. Auch deu „Setzerkvbold" klagt er an, und
der rächt sich sofort ans derselben Seite (19), indem er das „Münchner Kindi,"
das bekanntlich ein Mönch ist, „ein (anstatt »im«) Münchner Stadtwappen" halten
läßt, und bei Erwähnung des Frankfurter Doms das Hauptwort verschluckt. Was
werden aber die Freisinnigen dazu sagen, daß Seite 205 „deutsche Zunft (statt
Zucht) und Sitte" in Gegensatz zu „französischer Unzucht und Unsitte" gebracht ist?
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