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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Lord Tennysons neueste Lyrik

nicht unwesentlich getrübt. Aber die Periode seines Lebens, die sie berühren,
war eben die unerfreulichste von allen. Ranke sah ihn, als er dem Ende seiner
Laufbahn nahe war, und er stellt ihm das ehrenvollste Zeugnis aus: "Mir
hat er immer den Ausdruck des Ernstes, der Tiefe, der vollkommenen Hin¬
gebung an seinen Beruf und seine Pflicht gemacht. Von Frivolität habe ich
nie eine Spur erblickt."




Lord Tennysons neueste Lyrik
von Lrnst Groth

taatliche Auszeichnungen, Lorbeerkränze und Preiskrönungen
gaben in frühern Jahrhunderten den Künstlern und Dichtern
etwas Unfehlbares und Unverletzliches: heutzutage pflegen der¬
artige öffentliche Anerkennungen nicht nur bei den unbarmherzige!!
Kunstlichtern, sondern auch bei den Lesern, die sich ein kritisches
Urteil von oben herab nicht vorschreiben lassen, von vornherein Argwohn und
Widerspruch hervorzurufen. In Deutschland und Frankreich, wo in den letzten
Jahren vielleicht manche Veranlassung zur Unzufriedenheit über staatliche Ein¬
griffe dieser Art gegeben worden sein mag, gehen einige Heißsporne der litte¬
rarischen Kritik sogar so weit, von den Behörden zu verlangen, daß sie in
der litterarische!: Kirche bei der Beurteilung einer schriftstellerischen oder künst¬
lerischen Arbeit nicht den Mund aufmachen und selbst dann "mit frommem
Schauder vor den ewigen Gesetzen der schöpferischen Phantasie" den Rückzug
antreten, wenn sie die öffentliche Ruhe und Sittlichkeit durch irgend ein Erzeugnis
für gefährdet halten. Auch in England tritt diese Ansicht immer lauter zu Tage.

Und doch ist es gut und heilsam, wenn der Staat auch in diesen Dingen
ein kräftiges Wort mitredet, wenn zuweilen eine feste Hand riicksichtslos zu¬
greift und deu ungesunden Auswüchsen und Giftkränteru den Garaus macht,
die unreifer Übermut, lächerliche Nachahmung und offenbare Narrheit zeitigen.
Denn die Kunst und die Litteratur haben nicht nur ernste Pflichten gegen
sich selbst, sondern unzweifelhaft auch gegen den Gesellschaftskörpcr, der sie
trägt, nährt und schützt. Wenn trotzdem eine litterarische Richtung diesem
Körper Schaden zufügt und seine sittlichen Lebensbedingungen zu untergraben
droht, so muß sie sichs gefallen lassen, daß man sie von Staats wegen ver¬
urteilt und in die gehörigen Schranken zurückweist. Das ist die negative
Seite in dein Verhältnis zwischen Staat und Litteratur. Der Eingriff kau"
für den Schriftsteller unangenehm und verhängnisvoll werden, unter den be¬
stehenden Verhältnissen aber lange nicht so verhängnisvoll, als wenn der


Grenzboten I 1891 53
Lord Tennysons neueste Lyrik

nicht unwesentlich getrübt. Aber die Periode seines Lebens, die sie berühren,
war eben die unerfreulichste von allen. Ranke sah ihn, als er dem Ende seiner
Laufbahn nahe war, und er stellt ihm das ehrenvollste Zeugnis aus: „Mir
hat er immer den Ausdruck des Ernstes, der Tiefe, der vollkommenen Hin¬
gebung an seinen Beruf und seine Pflicht gemacht. Von Frivolität habe ich
nie eine Spur erblickt."




Lord Tennysons neueste Lyrik
von Lrnst Groth

taatliche Auszeichnungen, Lorbeerkränze und Preiskrönungen
gaben in frühern Jahrhunderten den Künstlern und Dichtern
etwas Unfehlbares und Unverletzliches: heutzutage pflegen der¬
artige öffentliche Anerkennungen nicht nur bei den unbarmherzige!!
Kunstlichtern, sondern auch bei den Lesern, die sich ein kritisches
Urteil von oben herab nicht vorschreiben lassen, von vornherein Argwohn und
Widerspruch hervorzurufen. In Deutschland und Frankreich, wo in den letzten
Jahren vielleicht manche Veranlassung zur Unzufriedenheit über staatliche Ein¬
griffe dieser Art gegeben worden sein mag, gehen einige Heißsporne der litte¬
rarischen Kritik sogar so weit, von den Behörden zu verlangen, daß sie in
der litterarische!: Kirche bei der Beurteilung einer schriftstellerischen oder künst¬
lerischen Arbeit nicht den Mund aufmachen und selbst dann „mit frommem
Schauder vor den ewigen Gesetzen der schöpferischen Phantasie" den Rückzug
antreten, wenn sie die öffentliche Ruhe und Sittlichkeit durch irgend ein Erzeugnis
für gefährdet halten. Auch in England tritt diese Ansicht immer lauter zu Tage.

Und doch ist es gut und heilsam, wenn der Staat auch in diesen Dingen
ein kräftiges Wort mitredet, wenn zuweilen eine feste Hand riicksichtslos zu¬
greift und deu ungesunden Auswüchsen und Giftkränteru den Garaus macht,
die unreifer Übermut, lächerliche Nachahmung und offenbare Narrheit zeitigen.
Denn die Kunst und die Litteratur haben nicht nur ernste Pflichten gegen
sich selbst, sondern unzweifelhaft auch gegen den Gesellschaftskörpcr, der sie
trägt, nährt und schützt. Wenn trotzdem eine litterarische Richtung diesem
Körper Schaden zufügt und seine sittlichen Lebensbedingungen zu untergraben
droht, so muß sie sichs gefallen lassen, daß man sie von Staats wegen ver¬
urteilt und in die gehörigen Schranken zurückweist. Das ist die negative
Seite in dein Verhältnis zwischen Staat und Litteratur. Der Eingriff kau»
für den Schriftsteller unangenehm und verhängnisvoll werden, unter den be¬
stehenden Verhältnissen aber lange nicht so verhängnisvoll, als wenn der


Grenzboten I 1891 53
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[0425] Lord Tennysons neueste Lyrik nicht unwesentlich getrübt. Aber die Periode seines Lebens, die sie berühren, war eben die unerfreulichste von allen. Ranke sah ihn, als er dem Ende seiner Laufbahn nahe war, und er stellt ihm das ehrenvollste Zeugnis aus: „Mir hat er immer den Ausdruck des Ernstes, der Tiefe, der vollkommenen Hin¬ gebung an seinen Beruf und seine Pflicht gemacht. Von Frivolität habe ich nie eine Spur erblickt." Lord Tennysons neueste Lyrik von Lrnst Groth taatliche Auszeichnungen, Lorbeerkränze und Preiskrönungen gaben in frühern Jahrhunderten den Künstlern und Dichtern etwas Unfehlbares und Unverletzliches: heutzutage pflegen der¬ artige öffentliche Anerkennungen nicht nur bei den unbarmherzige!! Kunstlichtern, sondern auch bei den Lesern, die sich ein kritisches Urteil von oben herab nicht vorschreiben lassen, von vornherein Argwohn und Widerspruch hervorzurufen. In Deutschland und Frankreich, wo in den letzten Jahren vielleicht manche Veranlassung zur Unzufriedenheit über staatliche Ein¬ griffe dieser Art gegeben worden sein mag, gehen einige Heißsporne der litte¬ rarischen Kritik sogar so weit, von den Behörden zu verlangen, daß sie in der litterarische!: Kirche bei der Beurteilung einer schriftstellerischen oder künst¬ lerischen Arbeit nicht den Mund aufmachen und selbst dann „mit frommem Schauder vor den ewigen Gesetzen der schöpferischen Phantasie" den Rückzug antreten, wenn sie die öffentliche Ruhe und Sittlichkeit durch irgend ein Erzeugnis für gefährdet halten. Auch in England tritt diese Ansicht immer lauter zu Tage. Und doch ist es gut und heilsam, wenn der Staat auch in diesen Dingen ein kräftiges Wort mitredet, wenn zuweilen eine feste Hand riicksichtslos zu¬ greift und deu ungesunden Auswüchsen und Giftkränteru den Garaus macht, die unreifer Übermut, lächerliche Nachahmung und offenbare Narrheit zeitigen. Denn die Kunst und die Litteratur haben nicht nur ernste Pflichten gegen sich selbst, sondern unzweifelhaft auch gegen den Gesellschaftskörpcr, der sie trägt, nährt und schützt. Wenn trotzdem eine litterarische Richtung diesem Körper Schaden zufügt und seine sittlichen Lebensbedingungen zu untergraben droht, so muß sie sichs gefallen lassen, daß man sie von Staats wegen ver¬ urteilt und in die gehörigen Schranken zurückweist. Das ist die negative Seite in dein Verhältnis zwischen Staat und Litteratur. Der Eingriff kau» für den Schriftsteller unangenehm und verhängnisvoll werden, unter den be¬ stehenden Verhältnissen aber lange nicht so verhängnisvoll, als wenn der Grenzboten I 1891 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/425>, abgerufen am 03.07.2024.