Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.Otto Ludwig in Leipzig von Adolf Stern it einem Schlage war im Oktober des Jahres 1839 der Ein¬ *) Dieser Aufsatz ist ein Bruchstück der Lebensbeschreibung Otto Ludwigs, die der neuen,
vou Neujahr 1891 ab im Verlage von F. W. Gruuow erscheinenden Gesamtausgabe seiner D. Red. Werke beigegeben werden wird. Otto Ludwig in Leipzig von Adolf Stern it einem Schlage war im Oktober des Jahres 1839 der Ein¬ *) Dieser Aufsatz ist ein Bruchstück der Lebensbeschreibung Otto Ludwigs, die der neuen,
vou Neujahr 1891 ab im Verlage von F. W. Gruuow erscheinenden Gesamtausgabe seiner D. Red. Werke beigegeben werden wird. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0039" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209272"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341853_209232/figures/grenzboten_341853_209232_209272_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Otto Ludwig in Leipzig<lb/><note type="byline"> von Adolf Stern</note></head><lb/> <p xml:id="ID_95" next="#ID_96"> it einem Schlage war im Oktober des Jahres 1839 der Ein¬<lb/> siedler von Eisfeld ans der Stille seines Heimatstädtchens in<lb/> das nach seinen Begriffen große und jedenfalls lebensvolle<lb/> Leipzig, der poetische lind musikalische Autodidakt an eiuen<lb/> Hauptbrennpnnkt des damaligen deutschen Litteratur- und Musik¬<lb/> lebens versetzt worden.*) An die Stelle des Gartenidylls, an dem er noch<lb/> - kaum wußte er selbst, wie fest — mit Sinnen und Seele hing, trat eine<lb/> bescheidene Stadtwohnung in einer schmalen Gasse des alten Leipzigs<lb/> lThvmasgäßcheil Ur. 111), an Stelle der unbeschränkten Selbstbestimmung,<lb/> in der der Strebende jahrelang seinen Träumen wie seinen Studien ohne jede<lb/> Weisung wie ohne festes Ziel nachgelebt hatte, sollte nach seiner eignen und<lb/> seiner Gönner Meinung die Unterordnung unter einen anerkannten und ge¬<lb/> feierte» Meister wie Felix Mendelssohn-Vartholdh treten. Als Otto Ludwig<lb/> vor seinem Landesherrn gestanden und als er sich, ein halbes Jahr später,<lb/> zur Fahrt nach Leipzig gerüstet hatte, war das Gefühl, endlich einen be¬<lb/> stimmten Pfad und hinter diesem eine lachende Lichtung zu erblicken, in ihm<lb/> mächtig gewesen. Angesichts der Neuheit und Fremdheit aller Umgebungen,<lb/> unter dem leisen Druck seiner notgedrungen veränderten Lebensweise, über¬<lb/> schlich den Thüringer, und nicht nur in den ersten Stunden und Tagen, ein<lb/> fröstelndes Bangen, ob der eben vor Angen geschaute Weg auch wirklich<lb/> gangbar, und die sonnige Lichtung nicht täuschendes Sumpfland sei. Der<lb/> Unverwöhnte sollte alsbald erfahren, daß es auch eine tiefreichende Ver¬<lb/> wöhnung der Entbehrung giebt, die drängenden neuen Eindrücken und Genüssen<lb/> nicht stand hält, der geistig Ringende sollte, ehe viel Zeit verging, ahnen,<lb/> daß er mit seiner Berufswahl, da er sich zum Musiker bestimmt hatte, einen<lb/> falschen Schritt gethan habe. Vor der Hand freilich versuchte Ludwig in dem<lb/> Strome zu schwimmen, in den er sich halb geworfen hatte, halb geworfen</p><lb/> <note xml:id="FID_11" place="foot"> *) Dieser Aufsatz ist ein Bruchstück der Lebensbeschreibung Otto Ludwigs, die der neuen,<lb/> vou Neujahr 1891 ab im Verlage von F. W. Gruuow erscheinenden Gesamtausgabe seiner<lb/><note type="byline"> D. Red.</note> Werke beigegeben werden wird. </note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0039]
[Abbildung]
Otto Ludwig in Leipzig
von Adolf Stern
it einem Schlage war im Oktober des Jahres 1839 der Ein¬
siedler von Eisfeld ans der Stille seines Heimatstädtchens in
das nach seinen Begriffen große und jedenfalls lebensvolle
Leipzig, der poetische lind musikalische Autodidakt an eiuen
Hauptbrennpnnkt des damaligen deutschen Litteratur- und Musik¬
lebens versetzt worden.*) An die Stelle des Gartenidylls, an dem er noch
- kaum wußte er selbst, wie fest — mit Sinnen und Seele hing, trat eine
bescheidene Stadtwohnung in einer schmalen Gasse des alten Leipzigs
lThvmasgäßcheil Ur. 111), an Stelle der unbeschränkten Selbstbestimmung,
in der der Strebende jahrelang seinen Träumen wie seinen Studien ohne jede
Weisung wie ohne festes Ziel nachgelebt hatte, sollte nach seiner eignen und
seiner Gönner Meinung die Unterordnung unter einen anerkannten und ge¬
feierte» Meister wie Felix Mendelssohn-Vartholdh treten. Als Otto Ludwig
vor seinem Landesherrn gestanden und als er sich, ein halbes Jahr später,
zur Fahrt nach Leipzig gerüstet hatte, war das Gefühl, endlich einen be¬
stimmten Pfad und hinter diesem eine lachende Lichtung zu erblicken, in ihm
mächtig gewesen. Angesichts der Neuheit und Fremdheit aller Umgebungen,
unter dem leisen Druck seiner notgedrungen veränderten Lebensweise, über¬
schlich den Thüringer, und nicht nur in den ersten Stunden und Tagen, ein
fröstelndes Bangen, ob der eben vor Angen geschaute Weg auch wirklich
gangbar, und die sonnige Lichtung nicht täuschendes Sumpfland sei. Der
Unverwöhnte sollte alsbald erfahren, daß es auch eine tiefreichende Ver¬
wöhnung der Entbehrung giebt, die drängenden neuen Eindrücken und Genüssen
nicht stand hält, der geistig Ringende sollte, ehe viel Zeit verging, ahnen,
daß er mit seiner Berufswahl, da er sich zum Musiker bestimmt hatte, einen
falschen Schritt gethan habe. Vor der Hand freilich versuchte Ludwig in dem
Strome zu schwimmen, in den er sich halb geworfen hatte, halb geworfen
*) Dieser Aufsatz ist ein Bruchstück der Lebensbeschreibung Otto Ludwigs, die der neuen,
vou Neujahr 1891 ab im Verlage von F. W. Gruuow erscheinenden Gesamtausgabe seiner
D. Red. Werke beigegeben werden wird.
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