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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Das Tabaksdöschen
Line Rokokostudie

meer den narkotischen Reizmitteln, mit denen im siebzehnten Jahr¬
hundert die moderne Menschheit gesegnet oder, wie andre meinen,
verderbt und vergiftet wurde, darf sich der Tabak einer besonders
ehrenvollen Geschichte rühmen. Zahllos ist die Schar seiner An¬
hänger geworden; ihr lauter Lobgesang hat zu allen Zeiten die
Stimmen der Gegner gewaltig übertönt. Die mannichfachen Einwirkungen des
Zauberkrautes auf das Leben des ihm tributpflichtig gewordenen Abendlandes
sind oft Stoff für den Denker geworden und haben von den verschiedensten
Seiten her Beleuchtung gefunden. Die "Tabakologie," wie man scherzhaft
sagte, hat in gleicher Weise die ernste Aufmerksamkeit des Mediziners, des
Volkswirtes und des Historikers gefesselt. Auf die Höhe universalhistvrischer
Würdigung führte gegen die Neige des vorigen Jahrhunderts die Betrachtung
der bekannte und in seiner Zeit wegen seines Freimuth gefürchtete Göttinger
Publizist und Historiker A. L. v. Schlözer, eiuer der Puten der neueren
Geschichtsforschung. "Geschichte des Tabaks" -- schreibt er in seinem Brief¬
wechsel -- wäre immer für die Welthistorie ein wenigstens ebenso interessantes
Sujet als "Geschichte des großen Tamerlans" oder als "Geschichte des alten
assyrischen Kaisertums." Diese Anschauung -- so hoffte er -- werde sich
"trotz des Widerstandes der Anno-Domini-Männer" noch Bahn brechen. Als
Schlözer diese Zeilen schrieb, hatte der Tabak bereits eine ruhmvolle Ver¬
gangenheit hinter sich, auf ein reichliches Jahrhundert festbegrüudeter und
immer weiter ausgebreiteter Herrschaft schaute er zurück. sein Vordringen
im siebzehnten Jahrhundert hatte noch mannichfache, aber schließlich doch ohn¬
mächtige Hemmnisse zu überwinden; das achtzehnte Jahrhundert huldigte ihm
unbedingt und trug stolz seine Zeichen. Mag man darin einen Beweis für
die glückliche Beschränktheit oder, wie härtere Urteile lauten, für die Nüchtern¬
heit, Plattheit, Gedankenarmut jenes Geschlechtes erblicken: nie sind dem Tabak
reichere, zum Teil jetzt noch nicht ganz verwelkte Nuhmeskränze gewunden
worden als im Zeitalter der Perücke und des Neifrocks.

In zwei Gestalten hat der Tabak die Herzen des vorigen Jahrhunderts
erobert. Nacheinander aufgetreten und nebeneinander in Herrschaft verblieben
sind der Knaster und der Nappee. Durch den Nachahmungstrieb gewecktes,




Das Tabaksdöschen
Line Rokokostudie

meer den narkotischen Reizmitteln, mit denen im siebzehnten Jahr¬
hundert die moderne Menschheit gesegnet oder, wie andre meinen,
verderbt und vergiftet wurde, darf sich der Tabak einer besonders
ehrenvollen Geschichte rühmen. Zahllos ist die Schar seiner An¬
hänger geworden; ihr lauter Lobgesang hat zu allen Zeiten die
Stimmen der Gegner gewaltig übertönt. Die mannichfachen Einwirkungen des
Zauberkrautes auf das Leben des ihm tributpflichtig gewordenen Abendlandes
sind oft Stoff für den Denker geworden und haben von den verschiedensten
Seiten her Beleuchtung gefunden. Die „Tabakologie," wie man scherzhaft
sagte, hat in gleicher Weise die ernste Aufmerksamkeit des Mediziners, des
Volkswirtes und des Historikers gefesselt. Auf die Höhe universalhistvrischer
Würdigung führte gegen die Neige des vorigen Jahrhunderts die Betrachtung
der bekannte und in seiner Zeit wegen seines Freimuth gefürchtete Göttinger
Publizist und Historiker A. L. v. Schlözer, eiuer der Puten der neueren
Geschichtsforschung. „Geschichte des Tabaks" — schreibt er in seinem Brief¬
wechsel — wäre immer für die Welthistorie ein wenigstens ebenso interessantes
Sujet als „Geschichte des großen Tamerlans" oder als „Geschichte des alten
assyrischen Kaisertums." Diese Anschauung — so hoffte er — werde sich
„trotz des Widerstandes der Anno-Domini-Männer" noch Bahn brechen. Als
Schlözer diese Zeilen schrieb, hatte der Tabak bereits eine ruhmvolle Ver¬
gangenheit hinter sich, auf ein reichliches Jahrhundert festbegrüudeter und
immer weiter ausgebreiteter Herrschaft schaute er zurück. sein Vordringen
im siebzehnten Jahrhundert hatte noch mannichfache, aber schließlich doch ohn¬
mächtige Hemmnisse zu überwinden; das achtzehnte Jahrhundert huldigte ihm
unbedingt und trug stolz seine Zeichen. Mag man darin einen Beweis für
die glückliche Beschränktheit oder, wie härtere Urteile lauten, für die Nüchtern¬
heit, Plattheit, Gedankenarmut jenes Geschlechtes erblicken: nie sind dem Tabak
reichere, zum Teil jetzt noch nicht ganz verwelkte Nuhmeskränze gewunden
worden als im Zeitalter der Perücke und des Neifrocks.

In zwei Gestalten hat der Tabak die Herzen des vorigen Jahrhunderts
erobert. Nacheinander aufgetreten und nebeneinander in Herrschaft verblieben
sind der Knaster und der Nappee. Durch den Nachahmungstrieb gewecktes,


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[0330] [Abbildung] Das Tabaksdöschen Line Rokokostudie meer den narkotischen Reizmitteln, mit denen im siebzehnten Jahr¬ hundert die moderne Menschheit gesegnet oder, wie andre meinen, verderbt und vergiftet wurde, darf sich der Tabak einer besonders ehrenvollen Geschichte rühmen. Zahllos ist die Schar seiner An¬ hänger geworden; ihr lauter Lobgesang hat zu allen Zeiten die Stimmen der Gegner gewaltig übertönt. Die mannichfachen Einwirkungen des Zauberkrautes auf das Leben des ihm tributpflichtig gewordenen Abendlandes sind oft Stoff für den Denker geworden und haben von den verschiedensten Seiten her Beleuchtung gefunden. Die „Tabakologie," wie man scherzhaft sagte, hat in gleicher Weise die ernste Aufmerksamkeit des Mediziners, des Volkswirtes und des Historikers gefesselt. Auf die Höhe universalhistvrischer Würdigung führte gegen die Neige des vorigen Jahrhunderts die Betrachtung der bekannte und in seiner Zeit wegen seines Freimuth gefürchtete Göttinger Publizist und Historiker A. L. v. Schlözer, eiuer der Puten der neueren Geschichtsforschung. „Geschichte des Tabaks" — schreibt er in seinem Brief¬ wechsel — wäre immer für die Welthistorie ein wenigstens ebenso interessantes Sujet als „Geschichte des großen Tamerlans" oder als „Geschichte des alten assyrischen Kaisertums." Diese Anschauung — so hoffte er — werde sich „trotz des Widerstandes der Anno-Domini-Männer" noch Bahn brechen. Als Schlözer diese Zeilen schrieb, hatte der Tabak bereits eine ruhmvolle Ver¬ gangenheit hinter sich, auf ein reichliches Jahrhundert festbegrüudeter und immer weiter ausgebreiteter Herrschaft schaute er zurück. sein Vordringen im siebzehnten Jahrhundert hatte noch mannichfache, aber schließlich doch ohn¬ mächtige Hemmnisse zu überwinden; das achtzehnte Jahrhundert huldigte ihm unbedingt und trug stolz seine Zeichen. Mag man darin einen Beweis für die glückliche Beschränktheit oder, wie härtere Urteile lauten, für die Nüchtern¬ heit, Plattheit, Gedankenarmut jenes Geschlechtes erblicken: nie sind dem Tabak reichere, zum Teil jetzt noch nicht ganz verwelkte Nuhmeskränze gewunden worden als im Zeitalter der Perücke und des Neifrocks. In zwei Gestalten hat der Tabak die Herzen des vorigen Jahrhunderts erobert. Nacheinander aufgetreten und nebeneinander in Herrschaft verblieben sind der Knaster und der Nappee. Durch den Nachahmungstrieb gewecktes,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/330>, abgerufen am 22.07.2024.