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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Aber wie das alles im einzelnen eingerichtet werden sollte, das ist eine
Frage, die, von allen Seiten ernstlich überlegt, leicht zu beantworten sein
würde. Daß etwas in dieser Richtung geschehe, ist notwendig. Geht alles
in der bisherigen Weise seinen Gang weiter, so wird der Nation mit Aus¬
nahme von wenigen bald das Verständnis für die Bedeutung des klassischen
Altertums vollends verloren gehen. Das wäre aber gleichbedeutend mit dem
Ende unsrer humanistischen Bildung.

Uralt und namentlich bei uns heimisch ist die Sage von dem Schäfer,
der im Besitz der Springwurzel war, und den eine verzauberte Königstochter
in einen Berg führte, dessen Inneres ihm die Wurzel erschloß. Da war er
so entzückt und geblendet von den Kostbarkeiten, die er dort sah, daß er, soviel
er nur konnte, davon zusammenraffte, aber die Springwurzel mitzunehmen ver¬
gaß, obgleich ihm die Fee zurief: Vergiß das Beste nicht! Seine Reichtümer
brachte er nach Hause, aber den Eingang in das Innere des Berges konnte
er nicht wiederfinden.

Wie viele kostbare Schätze uns auch das klassische Altertum schon gebracht
hat, wir haben von ihnen keinen dauernden Gewinn, wenn uns das Beste
fehlt, der Schlüssel, der es uns und unsern Nachkommen ermöglicht, immer
von neuem wieder in das Innere des Berges zu dringen, immer wieder neue
Schätze zu heben. Dieses Beste, die Wunderblume, die anzeigt, wo Schätze
verborgen sind, das ist die Lebendigerhaltung des Verständnisses und der Be¬
geisterung für die Herrlichkeit des klassischen Altertums. Sie muß gehütet
werden, soll uus jenes uuverloreu bleiben.




Daudet als Humorist und Satiriker
von Gelo Buchwald

er erste Roman, der Daudets Namen weit über die Grenzen
seines Vaterlandes hinaustrug, "Fromont^un. und Rister hör.",
verdankt seinen großen Erfolg außer andern trefflichen Eigen¬
schaften dem bei französischen Erzählern nicht gerade häufig vor¬
handenen Humor. Besonders gefiel die Figur des verbummelten
Schauspielers Delvbellc, der sich in seiner schäbigen Existenz an seinem frühern,
nur von seiner Einbildung geschaffenen Ruhm aufrichtet, von der Zukunft
uoch große Erfolge erwartet, sich von der sauern Arbeit seiner Frau und seiner


Aber wie das alles im einzelnen eingerichtet werden sollte, das ist eine
Frage, die, von allen Seiten ernstlich überlegt, leicht zu beantworten sein
würde. Daß etwas in dieser Richtung geschehe, ist notwendig. Geht alles
in der bisherigen Weise seinen Gang weiter, so wird der Nation mit Aus¬
nahme von wenigen bald das Verständnis für die Bedeutung des klassischen
Altertums vollends verloren gehen. Das wäre aber gleichbedeutend mit dem
Ende unsrer humanistischen Bildung.

Uralt und namentlich bei uns heimisch ist die Sage von dem Schäfer,
der im Besitz der Springwurzel war, und den eine verzauberte Königstochter
in einen Berg führte, dessen Inneres ihm die Wurzel erschloß. Da war er
so entzückt und geblendet von den Kostbarkeiten, die er dort sah, daß er, soviel
er nur konnte, davon zusammenraffte, aber die Springwurzel mitzunehmen ver¬
gaß, obgleich ihm die Fee zurief: Vergiß das Beste nicht! Seine Reichtümer
brachte er nach Hause, aber den Eingang in das Innere des Berges konnte
er nicht wiederfinden.

Wie viele kostbare Schätze uns auch das klassische Altertum schon gebracht
hat, wir haben von ihnen keinen dauernden Gewinn, wenn uns das Beste
fehlt, der Schlüssel, der es uns und unsern Nachkommen ermöglicht, immer
von neuem wieder in das Innere des Berges zu dringen, immer wieder neue
Schätze zu heben. Dieses Beste, die Wunderblume, die anzeigt, wo Schätze
verborgen sind, das ist die Lebendigerhaltung des Verständnisses und der Be¬
geisterung für die Herrlichkeit des klassischen Altertums. Sie muß gehütet
werden, soll uus jenes uuverloreu bleiben.




Daudet als Humorist und Satiriker
von Gelo Buchwald

er erste Roman, der Daudets Namen weit über die Grenzen
seines Vaterlandes hinaustrug, „Fromont^un. und Rister hör.",
verdankt seinen großen Erfolg außer andern trefflichen Eigen¬
schaften dem bei französischen Erzählern nicht gerade häufig vor¬
handenen Humor. Besonders gefiel die Figur des verbummelten
Schauspielers Delvbellc, der sich in seiner schäbigen Existenz an seinem frühern,
nur von seiner Einbildung geschaffenen Ruhm aufrichtet, von der Zukunft
uoch große Erfolge erwartet, sich von der sauern Arbeit seiner Frau und seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/187>, abgerufen am 22.07.2024.