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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die rote Hahne
von Friedrich perle

s ist keine seltene Beobachtung, daß Menschen, die sich zu einer
eigentümlichen Denkweise bekennen und sich mit Gesinnungs-
genossen zu einer gesellschaftlichen Einheit verbinden, ihr be¬
sondres Dichten und Trachten durch ein für alle Beteiligten
verbindliches Sinnbild äußerlich veranschaulichen. Die Wahr¬
zeichen dieser Art sind jene echten Symbole, die die Sprache überbieten sollen,
und nicht bloß wie die abgeleiteten, die im Grunde nur Attribute sind, die
Sprache zu ersetzen bestimmt sind. Die ächten Sinnbilder sind daher auch,
zumal bei ihrem ersten Hervortreten, niemals innerlich unwahr oder gehaltlos.
Es mag sein, daß es sich mit der Sprache ursprünglich ebenso verhält, aber Worte
können sich immerhin einstellen, wo die Begriffe fehlen; das Sinnbild jedoch
kann schlechterdings nnr dann zustande kommen und sich in seiner Stellung
behaupten, wenn Erscheinung und Bedeutung etwas sinnfällig Gemeinsames
haben, wenn die Bedeutung als der Inhalt des Sinnbildes wirklich im Be¬
wußtsein besteht, und das Sinnbild die Kontrolle durch die Sinne verträgt,
es ununterbrochen ausgesetzt ist. Kurz, Sinnbilder plappern nicht, auch
sprechen sie eindringlicher als Worte.

Hiernach kann die bald prnnkhafte, bald leidenschaftliche, überall aber
herausfordernde Anhänglichkeit, die die Sozialdemokratie für ihr Sinnbild, die
rote Fahne, bekundet, als ein Anzeichen für den Ernst gelten, mit dem sie
auf die Verwirklichung ihrer Ziele hinarbeitet. In Deutschland ist der An¬
blicks des sozialrevolutivnären Feldzeichens während der Giltigkeitsdauer des
Sozialistengesetzes, also zwölf Jahre lang, dem friedlichen Bürger erspart ge¬
blieben, aber in demselben Augenblicke, wo dieses Gesetz ablief, in der Nacht
vom 30. September zum 1. Oktober vorigen Jahres, ist die rote Fahne in zahl¬
reichen Versammlungen ihrer Anhänger unter endlosem Jubel wieder empor¬
gestiegen. Wie etwas ganz Selbstverständliches nahm man es bereits hin, daß
rote Fahnen den Hciuptschmnck des Saales bildeten, worin vom 13. bis zum
18. Oktober des verflossenen Jahres der Parteitag zu Halle an der Saale
abgehalten wurde. In hop sixno nrori-unur, rief, auf die rote Fahne weisend,




Die rote Hahne
von Friedrich perle

s ist keine seltene Beobachtung, daß Menschen, die sich zu einer
eigentümlichen Denkweise bekennen und sich mit Gesinnungs-
genossen zu einer gesellschaftlichen Einheit verbinden, ihr be¬
sondres Dichten und Trachten durch ein für alle Beteiligten
verbindliches Sinnbild äußerlich veranschaulichen. Die Wahr¬
zeichen dieser Art sind jene echten Symbole, die die Sprache überbieten sollen,
und nicht bloß wie die abgeleiteten, die im Grunde nur Attribute sind, die
Sprache zu ersetzen bestimmt sind. Die ächten Sinnbilder sind daher auch,
zumal bei ihrem ersten Hervortreten, niemals innerlich unwahr oder gehaltlos.
Es mag sein, daß es sich mit der Sprache ursprünglich ebenso verhält, aber Worte
können sich immerhin einstellen, wo die Begriffe fehlen; das Sinnbild jedoch
kann schlechterdings nnr dann zustande kommen und sich in seiner Stellung
behaupten, wenn Erscheinung und Bedeutung etwas sinnfällig Gemeinsames
haben, wenn die Bedeutung als der Inhalt des Sinnbildes wirklich im Be¬
wußtsein besteht, und das Sinnbild die Kontrolle durch die Sinne verträgt,
es ununterbrochen ausgesetzt ist. Kurz, Sinnbilder plappern nicht, auch
sprechen sie eindringlicher als Worte.

Hiernach kann die bald prnnkhafte, bald leidenschaftliche, überall aber
herausfordernde Anhänglichkeit, die die Sozialdemokratie für ihr Sinnbild, die
rote Fahne, bekundet, als ein Anzeichen für den Ernst gelten, mit dem sie
auf die Verwirklichung ihrer Ziele hinarbeitet. In Deutschland ist der An¬
blicks des sozialrevolutivnären Feldzeichens während der Giltigkeitsdauer des
Sozialistengesetzes, also zwölf Jahre lang, dem friedlichen Bürger erspart ge¬
blieben, aber in demselben Augenblicke, wo dieses Gesetz ablief, in der Nacht
vom 30. September zum 1. Oktober vorigen Jahres, ist die rote Fahne in zahl¬
reichen Versammlungen ihrer Anhänger unter endlosem Jubel wieder empor¬
gestiegen. Wie etwas ganz Selbstverständliches nahm man es bereits hin, daß
rote Fahnen den Hciuptschmnck des Saales bildeten, worin vom 13. bis zum
18. Oktober des verflossenen Jahres der Parteitag zu Halle an der Saale
abgehalten wurde. In hop sixno nrori-unur, rief, auf die rote Fahne weisend,


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[0165] [Abbildung] Die rote Hahne von Friedrich perle s ist keine seltene Beobachtung, daß Menschen, die sich zu einer eigentümlichen Denkweise bekennen und sich mit Gesinnungs- genossen zu einer gesellschaftlichen Einheit verbinden, ihr be¬ sondres Dichten und Trachten durch ein für alle Beteiligten verbindliches Sinnbild äußerlich veranschaulichen. Die Wahr¬ zeichen dieser Art sind jene echten Symbole, die die Sprache überbieten sollen, und nicht bloß wie die abgeleiteten, die im Grunde nur Attribute sind, die Sprache zu ersetzen bestimmt sind. Die ächten Sinnbilder sind daher auch, zumal bei ihrem ersten Hervortreten, niemals innerlich unwahr oder gehaltlos. Es mag sein, daß es sich mit der Sprache ursprünglich ebenso verhält, aber Worte können sich immerhin einstellen, wo die Begriffe fehlen; das Sinnbild jedoch kann schlechterdings nnr dann zustande kommen und sich in seiner Stellung behaupten, wenn Erscheinung und Bedeutung etwas sinnfällig Gemeinsames haben, wenn die Bedeutung als der Inhalt des Sinnbildes wirklich im Be¬ wußtsein besteht, und das Sinnbild die Kontrolle durch die Sinne verträgt, es ununterbrochen ausgesetzt ist. Kurz, Sinnbilder plappern nicht, auch sprechen sie eindringlicher als Worte. Hiernach kann die bald prnnkhafte, bald leidenschaftliche, überall aber herausfordernde Anhänglichkeit, die die Sozialdemokratie für ihr Sinnbild, die rote Fahne, bekundet, als ein Anzeichen für den Ernst gelten, mit dem sie auf die Verwirklichung ihrer Ziele hinarbeitet. In Deutschland ist der An¬ blicks des sozialrevolutivnären Feldzeichens während der Giltigkeitsdauer des Sozialistengesetzes, also zwölf Jahre lang, dem friedlichen Bürger erspart ge¬ blieben, aber in demselben Augenblicke, wo dieses Gesetz ablief, in der Nacht vom 30. September zum 1. Oktober vorigen Jahres, ist die rote Fahne in zahl¬ reichen Versammlungen ihrer Anhänger unter endlosem Jubel wieder empor¬ gestiegen. Wie etwas ganz Selbstverständliches nahm man es bereits hin, daß rote Fahnen den Hciuptschmnck des Saales bildeten, worin vom 13. bis zum 18. Oktober des verflossenen Jahres der Parteitag zu Halle an der Saale abgehalten wurde. In hop sixno nrori-unur, rief, auf die rote Fahne weisend,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/165>, abgerufen am 22.07.2024.