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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Der Zusammenschluß aller Grdnungsparteien

eit einiger Zeit wird wieder in den verschiedensten Tonarten die
Melodie von dem notwendigen Zusammenschluß aller Ordnuugs-
partcien gegenüber der Socialdemokratie gesungen. Blätter der
verschiedensten Richtung fordern dazu aus, man möge doch endlich
die geringfügigen Unterschiede, die die auf dem Boden des be¬
stehenden Staates stehenden Parteien von einander trennen, ans sich beruhen
lassen und sich zusammenscharen gegenüber dein gemeinsamen Feinde. Wir
kennen das Lied schon seit Jahren. Nach jeder Reichstagswahl, die wieder
einmal das Anwachsen der sozialdemokratischen Bewegung gezeigt hatte, erscholl
der Ruf zum Zusammentreten aller staatserhaltenden Elemente -- wie sollte
er denn diesmal fehlen, wo sich innerhalb dreier Jahre die Zahl der sozial¬
demokratischen Stimmen um 650Ä00 vermehrt hatte?

Wir stehen nicht an, es offen auszusprechen, daß wir keinen Irrtum für
verderblicher halten als den, der ans diesem Schlagwort spricht.

Glaubt man denn wirklich, daß man mit der Parole "Zusammenschluß
aller staatserhaltenden Elemente" der Sozialdemokratie anch nur einen Anhänger
abwendig machen, daß man mit ihr ein weiteres Vordringen der staatsfeind¬
lichen Partei verhindern könne? Gesetzt, es wäre das nach unserm Dafür¬
halten unmögliche möglich, angenommen, es ließe sich im ganzen Reiche eine
Art erweitertes Kartell erzielen, das alle Nichtsozialdemokraten umfaßte, was
würde die Folge fein? Es könnte allerdings das eintreten, was z. B. im
Königreich Sachsen dank dem dort bis zu einem gewissen Grade durchgeführten
Zusammenschluß der Ordnnngsparteien bei den letzten Wahlen und in noch
vollkommnerer Weise bei den Wahlen im Jahre 1887 erreicht worden ist,
nämlich daß die Sozialdemokratie verhindert würde, eine Anzahl von Wahl¬
fitzen zu erobern, die ihr sonst zufallen würden. Aber das wäre doch nichts


Gveuzbotcn I 1891 13


Der Zusammenschluß aller Grdnungsparteien

eit einiger Zeit wird wieder in den verschiedensten Tonarten die
Melodie von dem notwendigen Zusammenschluß aller Ordnuugs-
partcien gegenüber der Socialdemokratie gesungen. Blätter der
verschiedensten Richtung fordern dazu aus, man möge doch endlich
die geringfügigen Unterschiede, die die auf dem Boden des be¬
stehenden Staates stehenden Parteien von einander trennen, ans sich beruhen
lassen und sich zusammenscharen gegenüber dein gemeinsamen Feinde. Wir
kennen das Lied schon seit Jahren. Nach jeder Reichstagswahl, die wieder
einmal das Anwachsen der sozialdemokratischen Bewegung gezeigt hatte, erscholl
der Ruf zum Zusammentreten aller staatserhaltenden Elemente — wie sollte
er denn diesmal fehlen, wo sich innerhalb dreier Jahre die Zahl der sozial¬
demokratischen Stimmen um 650Ä00 vermehrt hatte?

Wir stehen nicht an, es offen auszusprechen, daß wir keinen Irrtum für
verderblicher halten als den, der ans diesem Schlagwort spricht.

Glaubt man denn wirklich, daß man mit der Parole „Zusammenschluß
aller staatserhaltenden Elemente" der Sozialdemokratie anch nur einen Anhänger
abwendig machen, daß man mit ihr ein weiteres Vordringen der staatsfeind¬
lichen Partei verhindern könne? Gesetzt, es wäre das nach unserm Dafür¬
halten unmögliche möglich, angenommen, es ließe sich im ganzen Reiche eine
Art erweitertes Kartell erzielen, das alle Nichtsozialdemokraten umfaßte, was
würde die Folge fein? Es könnte allerdings das eintreten, was z. B. im
Königreich Sachsen dank dem dort bis zu einem gewissen Grade durchgeführten
Zusammenschluß der Ordnnngsparteien bei den letzten Wahlen und in noch
vollkommnerer Weise bei den Wahlen im Jahre 1887 erreicht worden ist,
nämlich daß die Sozialdemokratie verhindert würde, eine Anzahl von Wahl¬
fitzen zu erobern, die ihr sonst zufallen würden. Aber das wäre doch nichts


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[0105] [Abbildung] Der Zusammenschluß aller Grdnungsparteien eit einiger Zeit wird wieder in den verschiedensten Tonarten die Melodie von dem notwendigen Zusammenschluß aller Ordnuugs- partcien gegenüber der Socialdemokratie gesungen. Blätter der verschiedensten Richtung fordern dazu aus, man möge doch endlich die geringfügigen Unterschiede, die die auf dem Boden des be¬ stehenden Staates stehenden Parteien von einander trennen, ans sich beruhen lassen und sich zusammenscharen gegenüber dein gemeinsamen Feinde. Wir kennen das Lied schon seit Jahren. Nach jeder Reichstagswahl, die wieder einmal das Anwachsen der sozialdemokratischen Bewegung gezeigt hatte, erscholl der Ruf zum Zusammentreten aller staatserhaltenden Elemente — wie sollte er denn diesmal fehlen, wo sich innerhalb dreier Jahre die Zahl der sozial¬ demokratischen Stimmen um 650Ä00 vermehrt hatte? Wir stehen nicht an, es offen auszusprechen, daß wir keinen Irrtum für verderblicher halten als den, der ans diesem Schlagwort spricht. Glaubt man denn wirklich, daß man mit der Parole „Zusammenschluß aller staatserhaltenden Elemente" der Sozialdemokratie anch nur einen Anhänger abwendig machen, daß man mit ihr ein weiteres Vordringen der staatsfeind¬ lichen Partei verhindern könne? Gesetzt, es wäre das nach unserm Dafür¬ halten unmögliche möglich, angenommen, es ließe sich im ganzen Reiche eine Art erweitertes Kartell erzielen, das alle Nichtsozialdemokraten umfaßte, was würde die Folge fein? Es könnte allerdings das eintreten, was z. B. im Königreich Sachsen dank dem dort bis zu einem gewissen Grade durchgeführten Zusammenschluß der Ordnnngsparteien bei den letzten Wahlen und in noch vollkommnerer Weise bei den Wahlen im Jahre 1887 erreicht worden ist, nämlich daß die Sozialdemokratie verhindert würde, eine Anzahl von Wahl¬ fitzen zu erobern, die ihr sonst zufallen würden. Aber das wäre doch nichts Gveuzbotcn I 1891 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/105>, abgerufen am 22.07.2024.