Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Höhe herab, was will es dann besagen, ob England die letzten Paar Koloniechen,
deren Preis uns ja selbst bei der größten Freundschaft nichts ist, in Feind¬
schaft nur als willkommene Beute an sich nimmt und unsern kaum erblühten
Handel wieder in seine Interessen zwingt? Ob Freund oder Feind: England
ist einer treuen Bundesgenossenschaft weder würdig noch wert. Würdig nicht,
weil es seine Politik auf Prinzipien aufbaut, die ihren Grund in dem merkan¬
tilsten Erwerbssinn haben; wert uicht, weil wir selbst im günstigsten Falle nur
die Zahler der Zeche sein würden.

So bleibt nur noch die sentimentale Seite der Sache. Wir gehen hier¬
auf nicht ein; denn gute und echte Vaterlandsliebe ist wie rechte Politik
nüchtern wie das tägliche Brod, das wir essen. Das Gefühl führt da irre,
und in unsern Augen ist es kein schönes Spiel, was mit dem deutschen Volke
getrieben wird, wenn man ihm Helgoland mundgerecht machen will. Auch ist
es uns wohlbekannt und muß den ernstgesinnten Mann, der sein Vaterland
über alles liebt, mit tiefstem Schmerze und großer Beschämung erfüllen, daß
unser Volk in charakterloser Hohlheit aus dem französischen Fahrwasser des
achtzehnten Jahrhunderts nunmehr glücklich in das cmglomaue des neunzehnten
geraten ist; daß unsre höchsten Klassen sich rühmen, bei allem Patriotismus,
doch möglichst englisch zu erscheinen, englisch sich zu kleiden, englische Ein¬
richtungen nachzumachen, ja mit den eignen Kindern und Geschwistern eng¬
lisch zu sprechen, englisch zu korrespvndiren; englische Rücksichtslosigkeit und
Rüpelhaftigkeit olle zu finden (den eignen Landsleuten gegenüber!), kurz: in
Anschauung und Sitte diesmal nicht den "Erbfeind" -- ihn nur noch in der
Kunst -- sondern den Briten nachzuüffeu, und es ist möglich, daß die Anglo-
mcmie bei dem Abkommen ihre Hand im Spiele gehabt hat. Aber es wäre
verschwendete Zeit, darauf einzugehen. Daß wir uns auf jener stolzen nationalen
Höhe, auf die wir uns mit Blut und Eisen hinaufgekämpft hatten, nicht lange
halteir würden, mußte jedem klar sein, der seine "deutsche Geschichte" kennt;
nur schmerzt es bitterlich, 1870/71 in Jugendfrische erlebt zu haben und
-- so bald ein neues Olmütz darauf folgen zu sehen.


3

Das deutsche Reich hat, wie uns versichert wird, durch sein opfervolles
Abkommen über Ostafrika die "zuverlässige Freundschaft" Englands erkauft.
Wir aber forschen in einer zweihundertjährigen Vergangenheit vergeblich nach
greifbaren Beweisen solcher "Freundschaft." Deutsche und Engländer haben
oft genug neben einander und fast niemals gegen einander gefochten, doch niemals
hat England, wenn es die Früchte gemeinschaftlicher Siege zu ernten galt, etwas
andres zu Rate gezogen, als fein mit kaltblütigster Selbstsucht erwogenes Interesse,
und unbedenklich hat es den Bundesgenossen im Stiche gelassen, sobald ihm


Höhe herab, was will es dann besagen, ob England die letzten Paar Koloniechen,
deren Preis uns ja selbst bei der größten Freundschaft nichts ist, in Feind¬
schaft nur als willkommene Beute an sich nimmt und unsern kaum erblühten
Handel wieder in seine Interessen zwingt? Ob Freund oder Feind: England
ist einer treuen Bundesgenossenschaft weder würdig noch wert. Würdig nicht,
weil es seine Politik auf Prinzipien aufbaut, die ihren Grund in dem merkan¬
tilsten Erwerbssinn haben; wert uicht, weil wir selbst im günstigsten Falle nur
die Zahler der Zeche sein würden.

So bleibt nur noch die sentimentale Seite der Sache. Wir gehen hier¬
auf nicht ein; denn gute und echte Vaterlandsliebe ist wie rechte Politik
nüchtern wie das tägliche Brod, das wir essen. Das Gefühl führt da irre,
und in unsern Augen ist es kein schönes Spiel, was mit dem deutschen Volke
getrieben wird, wenn man ihm Helgoland mundgerecht machen will. Auch ist
es uns wohlbekannt und muß den ernstgesinnten Mann, der sein Vaterland
über alles liebt, mit tiefstem Schmerze und großer Beschämung erfüllen, daß
unser Volk in charakterloser Hohlheit aus dem französischen Fahrwasser des
achtzehnten Jahrhunderts nunmehr glücklich in das cmglomaue des neunzehnten
geraten ist; daß unsre höchsten Klassen sich rühmen, bei allem Patriotismus,
doch möglichst englisch zu erscheinen, englisch sich zu kleiden, englische Ein¬
richtungen nachzumachen, ja mit den eignen Kindern und Geschwistern eng¬
lisch zu sprechen, englisch zu korrespvndiren; englische Rücksichtslosigkeit und
Rüpelhaftigkeit olle zu finden (den eignen Landsleuten gegenüber!), kurz: in
Anschauung und Sitte diesmal nicht den „Erbfeind" — ihn nur noch in der
Kunst — sondern den Briten nachzuüffeu, und es ist möglich, daß die Anglo-
mcmie bei dem Abkommen ihre Hand im Spiele gehabt hat. Aber es wäre
verschwendete Zeit, darauf einzugehen. Daß wir uns auf jener stolzen nationalen
Höhe, auf die wir uns mit Blut und Eisen hinaufgekämpft hatten, nicht lange
halteir würden, mußte jedem klar sein, der seine „deutsche Geschichte" kennt;
nur schmerzt es bitterlich, 1870/71 in Jugendfrische erlebt zu haben und
— so bald ein neues Olmütz darauf folgen zu sehen.


3

Das deutsche Reich hat, wie uns versichert wird, durch sein opfervolles
Abkommen über Ostafrika die „zuverlässige Freundschaft" Englands erkauft.
Wir aber forschen in einer zweihundertjährigen Vergangenheit vergeblich nach
greifbaren Beweisen solcher „Freundschaft." Deutsche und Engländer haben
oft genug neben einander und fast niemals gegen einander gefochten, doch niemals
hat England, wenn es die Früchte gemeinschaftlicher Siege zu ernten galt, etwas
andres zu Rate gezogen, als fein mit kaltblütigster Selbstsucht erwogenes Interesse,
und unbedenklich hat es den Bundesgenossen im Stiche gelassen, sobald ihm


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0624" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207919"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <p xml:id="ID_1731" prev="#ID_1730"> Höhe herab, was will es dann besagen, ob England die letzten Paar Koloniechen,<lb/>
deren Preis uns ja selbst bei der größten Freundschaft nichts ist, in Feind¬<lb/>
schaft nur als willkommene Beute an sich nimmt und unsern kaum erblühten<lb/>
Handel wieder in seine Interessen zwingt? Ob Freund oder Feind: England<lb/>
ist einer treuen Bundesgenossenschaft weder würdig noch wert. Würdig nicht,<lb/>
weil es seine Politik auf Prinzipien aufbaut, die ihren Grund in dem merkan¬<lb/>
tilsten Erwerbssinn haben; wert uicht, weil wir selbst im günstigsten Falle nur<lb/>
die Zahler der Zeche sein würden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1732"> So bleibt nur noch die sentimentale Seite der Sache. Wir gehen hier¬<lb/>
auf nicht ein; denn gute und echte Vaterlandsliebe ist wie rechte Politik<lb/>
nüchtern wie das tägliche Brod, das wir essen. Das Gefühl führt da irre,<lb/>
und in unsern Augen ist es kein schönes Spiel, was mit dem deutschen Volke<lb/>
getrieben wird, wenn man ihm Helgoland mundgerecht machen will. Auch ist<lb/>
es uns wohlbekannt und muß den ernstgesinnten Mann, der sein Vaterland<lb/>
über alles liebt, mit tiefstem Schmerze und großer Beschämung erfüllen, daß<lb/>
unser Volk in charakterloser Hohlheit aus dem französischen Fahrwasser des<lb/>
achtzehnten Jahrhunderts nunmehr glücklich in das cmglomaue des neunzehnten<lb/>
geraten ist; daß unsre höchsten Klassen sich rühmen, bei allem Patriotismus,<lb/>
doch möglichst englisch zu erscheinen, englisch sich zu kleiden, englische Ein¬<lb/>
richtungen nachzumachen, ja mit den eignen Kindern und Geschwistern eng¬<lb/>
lisch zu sprechen, englisch zu korrespvndiren; englische Rücksichtslosigkeit und<lb/>
Rüpelhaftigkeit olle zu finden (den eignen Landsleuten gegenüber!), kurz: in<lb/>
Anschauung und Sitte diesmal nicht den &#x201E;Erbfeind" &#x2014; ihn nur noch in der<lb/>
Kunst &#x2014; sondern den Briten nachzuüffeu, und es ist möglich, daß die Anglo-<lb/>
mcmie bei dem Abkommen ihre Hand im Spiele gehabt hat. Aber es wäre<lb/>
verschwendete Zeit, darauf einzugehen. Daß wir uns auf jener stolzen nationalen<lb/>
Höhe, auf die wir uns mit Blut und Eisen hinaufgekämpft hatten, nicht lange<lb/>
halteir würden, mußte jedem klar sein, der seine &#x201E;deutsche Geschichte" kennt;<lb/>
nur schmerzt es bitterlich, 1870/71 in Jugendfrische erlebt zu haben und<lb/>
&#x2014; so bald ein neues Olmütz darauf folgen zu sehen.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 3</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1733" next="#ID_1734"> Das deutsche Reich hat, wie uns versichert wird, durch sein opfervolles<lb/>
Abkommen über Ostafrika die &#x201E;zuverlässige Freundschaft" Englands erkauft.<lb/>
Wir aber forschen in einer zweihundertjährigen Vergangenheit vergeblich nach<lb/>
greifbaren Beweisen solcher &#x201E;Freundschaft." Deutsche und Engländer haben<lb/>
oft genug neben einander und fast niemals gegen einander gefochten, doch niemals<lb/>
hat England, wenn es die Früchte gemeinschaftlicher Siege zu ernten galt, etwas<lb/>
andres zu Rate gezogen, als fein mit kaltblütigster Selbstsucht erwogenes Interesse,<lb/>
und unbedenklich hat es den Bundesgenossen im Stiche gelassen, sobald ihm</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0624] Höhe herab, was will es dann besagen, ob England die letzten Paar Koloniechen, deren Preis uns ja selbst bei der größten Freundschaft nichts ist, in Feind¬ schaft nur als willkommene Beute an sich nimmt und unsern kaum erblühten Handel wieder in seine Interessen zwingt? Ob Freund oder Feind: England ist einer treuen Bundesgenossenschaft weder würdig noch wert. Würdig nicht, weil es seine Politik auf Prinzipien aufbaut, die ihren Grund in dem merkan¬ tilsten Erwerbssinn haben; wert uicht, weil wir selbst im günstigsten Falle nur die Zahler der Zeche sein würden. So bleibt nur noch die sentimentale Seite der Sache. Wir gehen hier¬ auf nicht ein; denn gute und echte Vaterlandsliebe ist wie rechte Politik nüchtern wie das tägliche Brod, das wir essen. Das Gefühl führt da irre, und in unsern Augen ist es kein schönes Spiel, was mit dem deutschen Volke getrieben wird, wenn man ihm Helgoland mundgerecht machen will. Auch ist es uns wohlbekannt und muß den ernstgesinnten Mann, der sein Vaterland über alles liebt, mit tiefstem Schmerze und großer Beschämung erfüllen, daß unser Volk in charakterloser Hohlheit aus dem französischen Fahrwasser des achtzehnten Jahrhunderts nunmehr glücklich in das cmglomaue des neunzehnten geraten ist; daß unsre höchsten Klassen sich rühmen, bei allem Patriotismus, doch möglichst englisch zu erscheinen, englisch sich zu kleiden, englische Ein¬ richtungen nachzumachen, ja mit den eignen Kindern und Geschwistern eng¬ lisch zu sprechen, englisch zu korrespvndiren; englische Rücksichtslosigkeit und Rüpelhaftigkeit olle zu finden (den eignen Landsleuten gegenüber!), kurz: in Anschauung und Sitte diesmal nicht den „Erbfeind" — ihn nur noch in der Kunst — sondern den Briten nachzuüffeu, und es ist möglich, daß die Anglo- mcmie bei dem Abkommen ihre Hand im Spiele gehabt hat. Aber es wäre verschwendete Zeit, darauf einzugehen. Daß wir uns auf jener stolzen nationalen Höhe, auf die wir uns mit Blut und Eisen hinaufgekämpft hatten, nicht lange halteir würden, mußte jedem klar sein, der seine „deutsche Geschichte" kennt; nur schmerzt es bitterlich, 1870/71 in Jugendfrische erlebt zu haben und — so bald ein neues Olmütz darauf folgen zu sehen. 3 Das deutsche Reich hat, wie uns versichert wird, durch sein opfervolles Abkommen über Ostafrika die „zuverlässige Freundschaft" Englands erkauft. Wir aber forschen in einer zweihundertjährigen Vergangenheit vergeblich nach greifbaren Beweisen solcher „Freundschaft." Deutsche und Engländer haben oft genug neben einander und fast niemals gegen einander gefochten, doch niemals hat England, wenn es die Früchte gemeinschaftlicher Siege zu ernten galt, etwas andres zu Rate gezogen, als fein mit kaltblütigster Selbstsucht erwogenes Interesse, und unbedenklich hat es den Bundesgenossen im Stiche gelassen, sobald ihm

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/624
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/624>, abgerufen am 26.06.2024.