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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Das deutsch-englische Abkommen

Unmöglich kann die deutsche Regierung, wenn anders sie nicht allen
Glauben an unsre koloniale Zukunft verloren hat, diese Landabtretung und
dieses Versprechen Englands als gleichwertige Gegenleistungen aufgefaßt haben.
Als letzter Erklärungsgrund bleibt mir die Erhaltung und Stärkung der
Friedensaussichten durch die erneute und befestigte Freundschaft mit dem see¬
mächtigen Inselstaat. In der That drohten die kolonialen Eifersüchteleien die
thatsächliche Bundesgenossenschaft der beiden Großmächte in allem, was mit
der weltbewegenden Frage des nächsten europäischen Krieges zusanimeuhängt,
einigermaßen zu gefährden, und die heißblütigen Franzosen wiegten sich schon
in neuen Hoffnungen, wie sie sich denn jetzt über das Ausgleichswerk laut
oder insgeheim entrüsten und ärgern. Warum aber, fragen wir mit gebührender
Bescheidenheit, mußten wir die Zeche so teuer bezahlen? Haben uns die Eng¬
länder weniger nötig, als wir sie? Wir lassen das unentschieden; etwas andres
aber müssen wir aussprechen. In England steht das Volk in allen kolonialen
Angelegenheiten einmütig hinter der Negierung. Wir haben es eben erlebt,
wie dort während der entscheidmigsvollen Verhandlungen gegen das koloniale
Vordringen Deutschlands geeifert worden ist, namentlich von dem Manne, der
nnr mit vielen Vorbehalten den Ruhm verdient, mit dem die freigebige Mitwelt
ihn geschmückt hat, von Stanley; in England versteht man sich dank einer
jahrhundertelangen Erfahrung darauf, auch Zuknnftswerte zu berechnen und
zu würdigen; in England hat man fast ausnahmslos so viel nationalen Anstand,
die todesmutigen Vorkämpfer des kolonialen Gedankens nicht mit wüsten
Schmühreden und elenden Verdächtigungen zu verfolgen; kurz, in England ist
dem Staatsmanne gewährt, was Bismarck für seine kolonialen Absichten nicht
entbehren zu können glaubte, der zuverlässige Rückhalt an einer verständnis-
vollen öffentlichen Meinung. Von dein deutschen Gegenbilde dürfen wir wohl
schweigen.

Nun aber den Blick mutig empor! Wir haben kaum etwas Wesentliches
gewonnen und jedenfalls in Afrika viel verloren; aber dafür haben wir unsern
Besitz sicher und sturmfest unter Dach und Fach gebracht. An uns ist es nun,
daraus zu machen, was daraus zu machen ist, und das ist auch nach allen Ab¬
zügen noch unendlich viel. Wir haben der "Freundschaft Englands" ein vielleicht
unvermeidliches Opfer gebracht und -- wir wollens wünschen und hoffen --
damit vielleicht die Bürgschaft gewonnen, daß diese Freundschaft auch einmal
dauern werde. Unsre Friedenspolitik hat sich aller Welt aufs neue offenbart
und die Verantwortlichkeit unsrer unruhigen Nachbarn in West und Ost erhöht,
wenn unsre hehre Aufgabe scheitern sollte.


Das deutsch-englische Abkommen geht von dein Grundsätze aus, daß
uns die "Freundschaft Englands" nicht verloren gehen dürfe.


Das deutsch-englische Abkommen

Unmöglich kann die deutsche Regierung, wenn anders sie nicht allen
Glauben an unsre koloniale Zukunft verloren hat, diese Landabtretung und
dieses Versprechen Englands als gleichwertige Gegenleistungen aufgefaßt haben.
Als letzter Erklärungsgrund bleibt mir die Erhaltung und Stärkung der
Friedensaussichten durch die erneute und befestigte Freundschaft mit dem see¬
mächtigen Inselstaat. In der That drohten die kolonialen Eifersüchteleien die
thatsächliche Bundesgenossenschaft der beiden Großmächte in allem, was mit
der weltbewegenden Frage des nächsten europäischen Krieges zusanimeuhängt,
einigermaßen zu gefährden, und die heißblütigen Franzosen wiegten sich schon
in neuen Hoffnungen, wie sie sich denn jetzt über das Ausgleichswerk laut
oder insgeheim entrüsten und ärgern. Warum aber, fragen wir mit gebührender
Bescheidenheit, mußten wir die Zeche so teuer bezahlen? Haben uns die Eng¬
länder weniger nötig, als wir sie? Wir lassen das unentschieden; etwas andres
aber müssen wir aussprechen. In England steht das Volk in allen kolonialen
Angelegenheiten einmütig hinter der Negierung. Wir haben es eben erlebt,
wie dort während der entscheidmigsvollen Verhandlungen gegen das koloniale
Vordringen Deutschlands geeifert worden ist, namentlich von dem Manne, der
nnr mit vielen Vorbehalten den Ruhm verdient, mit dem die freigebige Mitwelt
ihn geschmückt hat, von Stanley; in England versteht man sich dank einer
jahrhundertelangen Erfahrung darauf, auch Zuknnftswerte zu berechnen und
zu würdigen; in England hat man fast ausnahmslos so viel nationalen Anstand,
die todesmutigen Vorkämpfer des kolonialen Gedankens nicht mit wüsten
Schmühreden und elenden Verdächtigungen zu verfolgen; kurz, in England ist
dem Staatsmanne gewährt, was Bismarck für seine kolonialen Absichten nicht
entbehren zu können glaubte, der zuverlässige Rückhalt an einer verständnis-
vollen öffentlichen Meinung. Von dein deutschen Gegenbilde dürfen wir wohl
schweigen.

Nun aber den Blick mutig empor! Wir haben kaum etwas Wesentliches
gewonnen und jedenfalls in Afrika viel verloren; aber dafür haben wir unsern
Besitz sicher und sturmfest unter Dach und Fach gebracht. An uns ist es nun,
daraus zu machen, was daraus zu machen ist, und das ist auch nach allen Ab¬
zügen noch unendlich viel. Wir haben der „Freundschaft Englands" ein vielleicht
unvermeidliches Opfer gebracht und — wir wollens wünschen und hoffen —
damit vielleicht die Bürgschaft gewonnen, daß diese Freundschaft auch einmal
dauern werde. Unsre Friedenspolitik hat sich aller Welt aufs neue offenbart
und die Verantwortlichkeit unsrer unruhigen Nachbarn in West und Ost erhöht,
wenn unsre hehre Aufgabe scheitern sollte.


Das deutsch-englische Abkommen geht von dein Grundsätze aus, daß
uns die „Freundschaft Englands" nicht verloren gehen dürfe.


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[0619] Das deutsch-englische Abkommen Unmöglich kann die deutsche Regierung, wenn anders sie nicht allen Glauben an unsre koloniale Zukunft verloren hat, diese Landabtretung und dieses Versprechen Englands als gleichwertige Gegenleistungen aufgefaßt haben. Als letzter Erklärungsgrund bleibt mir die Erhaltung und Stärkung der Friedensaussichten durch die erneute und befestigte Freundschaft mit dem see¬ mächtigen Inselstaat. In der That drohten die kolonialen Eifersüchteleien die thatsächliche Bundesgenossenschaft der beiden Großmächte in allem, was mit der weltbewegenden Frage des nächsten europäischen Krieges zusanimeuhängt, einigermaßen zu gefährden, und die heißblütigen Franzosen wiegten sich schon in neuen Hoffnungen, wie sie sich denn jetzt über das Ausgleichswerk laut oder insgeheim entrüsten und ärgern. Warum aber, fragen wir mit gebührender Bescheidenheit, mußten wir die Zeche so teuer bezahlen? Haben uns die Eng¬ länder weniger nötig, als wir sie? Wir lassen das unentschieden; etwas andres aber müssen wir aussprechen. In England steht das Volk in allen kolonialen Angelegenheiten einmütig hinter der Negierung. Wir haben es eben erlebt, wie dort während der entscheidmigsvollen Verhandlungen gegen das koloniale Vordringen Deutschlands geeifert worden ist, namentlich von dem Manne, der nnr mit vielen Vorbehalten den Ruhm verdient, mit dem die freigebige Mitwelt ihn geschmückt hat, von Stanley; in England versteht man sich dank einer jahrhundertelangen Erfahrung darauf, auch Zuknnftswerte zu berechnen und zu würdigen; in England hat man fast ausnahmslos so viel nationalen Anstand, die todesmutigen Vorkämpfer des kolonialen Gedankens nicht mit wüsten Schmühreden und elenden Verdächtigungen zu verfolgen; kurz, in England ist dem Staatsmanne gewährt, was Bismarck für seine kolonialen Absichten nicht entbehren zu können glaubte, der zuverlässige Rückhalt an einer verständnis- vollen öffentlichen Meinung. Von dein deutschen Gegenbilde dürfen wir wohl schweigen. Nun aber den Blick mutig empor! Wir haben kaum etwas Wesentliches gewonnen und jedenfalls in Afrika viel verloren; aber dafür haben wir unsern Besitz sicher und sturmfest unter Dach und Fach gebracht. An uns ist es nun, daraus zu machen, was daraus zu machen ist, und das ist auch nach allen Ab¬ zügen noch unendlich viel. Wir haben der „Freundschaft Englands" ein vielleicht unvermeidliches Opfer gebracht und — wir wollens wünschen und hoffen — damit vielleicht die Bürgschaft gewonnen, daß diese Freundschaft auch einmal dauern werde. Unsre Friedenspolitik hat sich aller Welt aufs neue offenbart und die Verantwortlichkeit unsrer unruhigen Nachbarn in West und Ost erhöht, wenn unsre hehre Aufgabe scheitern sollte. Das deutsch-englische Abkommen geht von dein Grundsätze aus, daß uns die „Freundschaft Englands" nicht verloren gehen dürfe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/619>, abgerufen am 26.12.2024.