Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Aussicht, die man erwartet hatte, und ich wollte schon verdrossen wieder den Berg So ging es uns damals mit unserm heutigen Geburtstagskinde. Als die Donner Und nun feiert das deutsche Volt seinen Geburtstag zum erstenmale als den Ein Kommentar zu Goethe aus dem sechzehnten Jahrhundert. Am ^Mzlwte" II 1890 6
Maßgebliches und Unmaßgebliches Aussicht, die man erwartet hatte, und ich wollte schon verdrossen wieder den Berg So ging es uns damals mit unserm heutigen Geburtstagskinde. Als die Donner Und nun feiert das deutsche Volt seinen Geburtstag zum erstenmale als den Ein Kommentar zu Goethe aus dem sechzehnten Jahrhundert. Am ^Mzlwte„ II 1890 6
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0049" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207344"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_126" prev="#ID_125"> Aussicht, die man erwartet hatte, und ich wollte schon verdrossen wieder den Berg<lb/> hinunter fahren. Auf einmal drang die Sonne siegreich durchs Gewölk, wie bei¬<lb/> seite geschobene Schleier wich eine Nebeldecke nach der andern, eine Wolkenwand<lb/> nach der andern. Dn stand riesengroß, unheimlich nah, der Monte Niso, ein rechter<lb/> Bismarck unter den Bergen. Da sah das Ange entzückt die Schneefelder des Mont<lb/> Paradis, hinter drin sich noch ein größerer, der Montblanc, verbirgt. Da kam<lb/> die majestätische, langgezogene Kette des Monte Rosa mit ihren steilen Abstürzen<lb/> nach Süden zum Vorschein. Heller und immer Heller wurde die Aussicht. Ein<lb/> Entzücken nach dem andern faßte den Beschauer, und als Breithorn und Lyskamm<lb/> ihre Gletscher und Schneefelder im schönsten Rosa erstrahlen ließen, da wollte sich<lb/> das entzückte Ange fast vor Wonne schließen. Der Blick war zu schön für ein<lb/> menschliches Auge.</p><lb/> <p xml:id="ID_127"> So ging es uns damals mit unserm heutigen Geburtstagskinde. Als die Donner<lb/> von Königgrätz verhallt wnreu, da wich mehr als eine Wolke des Vorurteils von unsern<lb/> Augen; als er auf der Rückkehr vom Kriegsschauplatze nach Berlin voll Zuversicht<lb/> sagte, er werde in wenigen Jahren der populärste Mann Deutschlands werden, dn<lb/> Wichte ich, daß es so sein würde, und als er dann im großen Kriege so treu mit<lb/> der Feder zu wahren wusste, Ums das Schwert gewonnen halte, als er das deutsche<lb/> Reich wieder anstehe» ließ, stärker und herrlicher, als es je gewesen war, als er dann<lb/> in den Friedensjahren mit festem Blick auf den Feind an der Seine die Geschicke<lb/> Deutschlands zu leiten wußte, da war auch die letzte Wolke des Unmuts verflogen.<lb/> Freude, reine Freude über den großen Mann erfüllte uns, Freude um dem in neuer<lb/> und größerer Herrlichkeit erstandenen Reiche. Nicht bloß seine Erfolge, nein, noch<lb/> wehr haben wir die weise Ausnutzung seiner Erfolge bewundert. Es war eine Lust<lb/> für jeden, daß er sagen konnte: Er ist unser.</p><lb/> <p xml:id="ID_128"> Und nun feiert das deutsche Volt seinen Geburtstag zum erstenmale als den<lb/> ^nes Privatmannes! Was es von ihm denkt und wie es ihm zu danken weiß, hat<lb/> ^ vor fünf Jahren bewiesen. Auch meine bescheidne Stimme will sich in den<lb/> Chorus der Dankbarkeit mischen, der in der Öffentlichkeit wie im Stillen dem ver¬<lb/> abschiedeten Reichskanzler, dem deutschesten Deutsche» unsers Jahrhunderts, heute<lb/> ^'schallt. Ist mein Leben auch in Dunkel und Dämmerung dahingegangen, danken<lb/> ^'lit ich dem teuern Manne, daß er mir solche Frende an meinem Vaterlande ver¬<lb/> gafft Hai. Gott Schutze ihn!</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Ein Kommentar zu Goethe aus dem sechzehnten Jahrhundert.</head> <p xml:id="ID_129" next="#ID_130"> Am<lb/> Mai 1776 schreibt Goethe an Fra» von Stein! „Zinn erstenmal im Garten<lb/> ^schlafen, und nun Erdlnlin für ewig." Diese Stelle hat zwar Fielitz (!, 35)<lb/> ^sue Kommentar gebracht, aber so viel ich weiß, wird das Wort „Erdlnlin" auch<lb/> andern nicht verstanden; alle Hilfsmittel lassen im Stich, und doch wäre es<lb/> Meressm,^ z„ wissen, was Goethe mit dieser Bezeichnung gemeint hat. Ich glaube<lb/> Ne Spur gefunden zu haben, die zur Erklärung führt. Martinus Mvutanus<lb/> ^"sie im „Andern Theil der Garten geselschafft" Kapitel 5 „ein schöne hislori<lb/> ^u einer frawen mit zweien tindlin," ein Märchen, das Motive verschiedner<lb/> N'^^" zusammenfasst. Eine Stiefmutter sucht die ihr verhaßte Stieftochter<lb/> d^^'sein mit Hilfe der andern, Rümelin, zu verderben, indem sie mit Beiden in<lb/> den 6^ und beim Hölzsuchen Margrellin allein läßt. Diese belauscht aber<lb/> . ' -plan und findet sich zweimal aus dem Walde heim, da sie heimlich „segnet,"<lb/> so, »sprewer« (Spreu) ans den Weg streut; das drittemal aber hat sie Hanf-<lb/> ^ gestreut, und der wird von den Vöglein aufgepickt. Grellin sucht vergebens<lb/> '</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> ^Mzlwte„ II 1890 6</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0049]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Aussicht, die man erwartet hatte, und ich wollte schon verdrossen wieder den Berg
hinunter fahren. Auf einmal drang die Sonne siegreich durchs Gewölk, wie bei¬
seite geschobene Schleier wich eine Nebeldecke nach der andern, eine Wolkenwand
nach der andern. Dn stand riesengroß, unheimlich nah, der Monte Niso, ein rechter
Bismarck unter den Bergen. Da sah das Ange entzückt die Schneefelder des Mont
Paradis, hinter drin sich noch ein größerer, der Montblanc, verbirgt. Da kam
die majestätische, langgezogene Kette des Monte Rosa mit ihren steilen Abstürzen
nach Süden zum Vorschein. Heller und immer Heller wurde die Aussicht. Ein
Entzücken nach dem andern faßte den Beschauer, und als Breithorn und Lyskamm
ihre Gletscher und Schneefelder im schönsten Rosa erstrahlen ließen, da wollte sich
das entzückte Ange fast vor Wonne schließen. Der Blick war zu schön für ein
menschliches Auge.
So ging es uns damals mit unserm heutigen Geburtstagskinde. Als die Donner
von Königgrätz verhallt wnreu, da wich mehr als eine Wolke des Vorurteils von unsern
Augen; als er auf der Rückkehr vom Kriegsschauplatze nach Berlin voll Zuversicht
sagte, er werde in wenigen Jahren der populärste Mann Deutschlands werden, dn
Wichte ich, daß es so sein würde, und als er dann im großen Kriege so treu mit
der Feder zu wahren wusste, Ums das Schwert gewonnen halte, als er das deutsche
Reich wieder anstehe» ließ, stärker und herrlicher, als es je gewesen war, als er dann
in den Friedensjahren mit festem Blick auf den Feind an der Seine die Geschicke
Deutschlands zu leiten wußte, da war auch die letzte Wolke des Unmuts verflogen.
Freude, reine Freude über den großen Mann erfüllte uns, Freude um dem in neuer
und größerer Herrlichkeit erstandenen Reiche. Nicht bloß seine Erfolge, nein, noch
wehr haben wir die weise Ausnutzung seiner Erfolge bewundert. Es war eine Lust
für jeden, daß er sagen konnte: Er ist unser.
Und nun feiert das deutsche Volt seinen Geburtstag zum erstenmale als den
^nes Privatmannes! Was es von ihm denkt und wie es ihm zu danken weiß, hat
^ vor fünf Jahren bewiesen. Auch meine bescheidne Stimme will sich in den
Chorus der Dankbarkeit mischen, der in der Öffentlichkeit wie im Stillen dem ver¬
abschiedeten Reichskanzler, dem deutschesten Deutsche» unsers Jahrhunderts, heute
^'schallt. Ist mein Leben auch in Dunkel und Dämmerung dahingegangen, danken
^'lit ich dem teuern Manne, daß er mir solche Frende an meinem Vaterlande ver¬
gafft Hai. Gott Schutze ihn!
Ein Kommentar zu Goethe aus dem sechzehnten Jahrhundert. Am
Mai 1776 schreibt Goethe an Fra» von Stein! „Zinn erstenmal im Garten
^schlafen, und nun Erdlnlin für ewig." Diese Stelle hat zwar Fielitz (!, 35)
^sue Kommentar gebracht, aber so viel ich weiß, wird das Wort „Erdlnlin" auch
andern nicht verstanden; alle Hilfsmittel lassen im Stich, und doch wäre es
Meressm,^ z„ wissen, was Goethe mit dieser Bezeichnung gemeint hat. Ich glaube
Ne Spur gefunden zu haben, die zur Erklärung führt. Martinus Mvutanus
^"sie im „Andern Theil der Garten geselschafft" Kapitel 5 „ein schöne hislori
^u einer frawen mit zweien tindlin," ein Märchen, das Motive verschiedner
N'^^" zusammenfasst. Eine Stiefmutter sucht die ihr verhaßte Stieftochter
d^^'sein mit Hilfe der andern, Rümelin, zu verderben, indem sie mit Beiden in
den 6^ und beim Hölzsuchen Margrellin allein läßt. Diese belauscht aber
. ' -plan und findet sich zweimal aus dem Walde heim, da sie heimlich „segnet,"
so, »sprewer« (Spreu) ans den Weg streut; das drittemal aber hat sie Hanf-
^ gestreut, und der wird von den Vöglein aufgepickt. Grellin sucht vergebens
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^Mzlwte„ II 1890 6
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