Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.Die soziale Frage halx?n wir Europäer es zu verdanken, daß, so oft unser geistiger Reichtum in Nur von dieser Umbildung des Geschmacks ist die Rückkehr eines Teiles Wie aber nun, wenn der vaterländische Boden zur Ausstattung aller 4 Daß unser heimatlicher Boden für seine 47 Millionen Bewohner nicht Die soziale Frage halx?n wir Europäer es zu verdanken, daß, so oft unser geistiger Reichtum in Nur von dieser Umbildung des Geschmacks ist die Rückkehr eines Teiles Wie aber nun, wenn der vaterländische Boden zur Ausstattung aller 4 Daß unser heimatlicher Boden für seine 47 Millionen Bewohner nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207747"/> <fw type="header" place="top"> Die soziale Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_1238" prev="#ID_1237"> halx?n wir Europäer es zu verdanken, daß, so oft unser geistiger Reichtum in<lb/> Schwulst und der materielle in barbarischen Prunk, unser Streben in Sinn-,<lb/> zweck- und ziellose Geschäftigkeit, unser Schönheitsideal und unsre Umgangs¬<lb/> formen in Fratzen ausarten, wir uns auf uns selbst besinnen und den Weg<lb/> zur Natur zurückfinden. Zum drittenmale seit der Völkerwanderung ist die<lb/> europäische Menschheit bei diesem Wendepunkte angelangt. Zum drittenmale<lb/> erhebt sich von vielen Seiten der Ruf: Zurück zur Natur! Und mit vollem<lb/> Recht. Denn so sehr ist in weiten Kreisen der Sinn für das Naturgemäße<lb/> geschwunden, daß man sogar vielfach das Genießen verlernt hat, weil man nur<lb/> das für Genuß zu halten wagt, was die Mode dafür ausgiebt. Der Quar¬<lb/> taner, der sich zwingt, seine Vierpfennigzigarre für ein Genußmittel zu halte»,<lb/> obwohl sie ihm wie ^g. tostiäii schmeckt, ist der Typus des modernen Menschen.<lb/> Was uns not thut, wäre also: allmähliche Rückkehr des Geschmacks zum<lb/> Natürlichen; Einsicht in die Nichtigkeit des Konventionellen und der sogenannten<lb/> städtischen Genüsse; unbefangene Anerkennung jener Güter und Genüsse, die<lb/> uus die Natur darbietet, und die ein gebildeter Sinn zu vertiefen und zu<lb/> verklären vermag; Freude am Landleben und um ländlichen Beschäftigungen;<lb/> wo sogar das Bedürfnis nach reiner, frischer Luft, eine Äußerung des Triebes<lb/> der Selbsterhaltung, verloren gegangen ist, müßte mit einer förmlichen Erziehung<lb/> der Nase nachgeholfen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1239"> Nur von dieser Umbildung des Geschmacks ist die Rückkehr eines Teiles<lb/> der industriellen Bevölkerung muss Land, die Wiederherstellung des Klein¬<lb/> gewerbes und des Ackerbürgertums, die innige Verbindung von Gewerbe und<lb/> Landwirtschaft zu erwarten, die wir unter dem Ausdruck innere Kolonisation ver¬<lb/> stehen. säße wieder mit geringfügigen Ausnahmen jede Familie auf ihrer eignen<lb/> Scholle, und wäre die überwiegende Mehrzahl der Männer in den gesunden<lb/> und nützlichen Gewerben beschäftigt, so wäre damit für ein gesundes Volksleben<lb/> die breiteste Grundlage wiedergewonnen. Bei dein bessern Berdienste der<lb/> Männer fiele die industrielle Frauen- und .Kinderarbeit von selbst hinweg.<lb/> Frauen und Kinder würden deswegen nicht müßig gehen, da sie ja in Haus¬<lb/> wirtschaft und Garten genug zu thun fänden, während heutzutage viele ver¬<lb/> heiratete Arbeiter gar keine Hauswirtschaft haben, und demnach in diesen<lb/> Schichten zwar Eheleute und Kinder, aber streng genommen keine Familien<lb/> vorhanden sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1240"> Wie aber nun, wenn der vaterländische Boden zur Ausstattung aller<lb/> Volksgenossen mit Heimstätten nicht hinreicht?</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 4</head><lb/> <p xml:id="ID_1241" next="#ID_1242"> Daß unser heimatlicher Boden für seine 47 Millionen Bewohner nicht<lb/> mehr ausreiche, muß wohl die allgemeine Meinung sein, sonst wäre die<lb/> Kvlonialbewegnng bei unserm nichts weniger als romantischen und nbenteucr-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0452]
Die soziale Frage
halx?n wir Europäer es zu verdanken, daß, so oft unser geistiger Reichtum in
Schwulst und der materielle in barbarischen Prunk, unser Streben in Sinn-,
zweck- und ziellose Geschäftigkeit, unser Schönheitsideal und unsre Umgangs¬
formen in Fratzen ausarten, wir uns auf uns selbst besinnen und den Weg
zur Natur zurückfinden. Zum drittenmale seit der Völkerwanderung ist die
europäische Menschheit bei diesem Wendepunkte angelangt. Zum drittenmale
erhebt sich von vielen Seiten der Ruf: Zurück zur Natur! Und mit vollem
Recht. Denn so sehr ist in weiten Kreisen der Sinn für das Naturgemäße
geschwunden, daß man sogar vielfach das Genießen verlernt hat, weil man nur
das für Genuß zu halten wagt, was die Mode dafür ausgiebt. Der Quar¬
taner, der sich zwingt, seine Vierpfennigzigarre für ein Genußmittel zu halte»,
obwohl sie ihm wie ^g. tostiäii schmeckt, ist der Typus des modernen Menschen.
Was uns not thut, wäre also: allmähliche Rückkehr des Geschmacks zum
Natürlichen; Einsicht in die Nichtigkeit des Konventionellen und der sogenannten
städtischen Genüsse; unbefangene Anerkennung jener Güter und Genüsse, die
uus die Natur darbietet, und die ein gebildeter Sinn zu vertiefen und zu
verklären vermag; Freude am Landleben und um ländlichen Beschäftigungen;
wo sogar das Bedürfnis nach reiner, frischer Luft, eine Äußerung des Triebes
der Selbsterhaltung, verloren gegangen ist, müßte mit einer förmlichen Erziehung
der Nase nachgeholfen werden.
Nur von dieser Umbildung des Geschmacks ist die Rückkehr eines Teiles
der industriellen Bevölkerung muss Land, die Wiederherstellung des Klein¬
gewerbes und des Ackerbürgertums, die innige Verbindung von Gewerbe und
Landwirtschaft zu erwarten, die wir unter dem Ausdruck innere Kolonisation ver¬
stehen. säße wieder mit geringfügigen Ausnahmen jede Familie auf ihrer eignen
Scholle, und wäre die überwiegende Mehrzahl der Männer in den gesunden
und nützlichen Gewerben beschäftigt, so wäre damit für ein gesundes Volksleben
die breiteste Grundlage wiedergewonnen. Bei dein bessern Berdienste der
Männer fiele die industrielle Frauen- und .Kinderarbeit von selbst hinweg.
Frauen und Kinder würden deswegen nicht müßig gehen, da sie ja in Haus¬
wirtschaft und Garten genug zu thun fänden, während heutzutage viele ver¬
heiratete Arbeiter gar keine Hauswirtschaft haben, und demnach in diesen
Schichten zwar Eheleute und Kinder, aber streng genommen keine Familien
vorhanden sind.
Wie aber nun, wenn der vaterländische Boden zur Ausstattung aller
Volksgenossen mit Heimstätten nicht hinreicht?
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Daß unser heimatlicher Boden für seine 47 Millionen Bewohner nicht
mehr ausreiche, muß wohl die allgemeine Meinung sein, sonst wäre die
Kvlonialbewegnng bei unserm nichts weniger als romantischen und nbenteucr-
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