Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Gemütes, Klarheit des Geistes, Deutlichkeit der Anschauung, Bestimmtheit des Aus¬ Pflichtexemplare. Die Verpflichtung zur Ablieferung von Pflichtexem¬ Die Moral unsrer Novellisten. Welches Glück, daß die Landleute -M Maßgebliches und Unmaßgebliches Gemütes, Klarheit des Geistes, Deutlichkeit der Anschauung, Bestimmtheit des Aus¬ Pflichtexemplare. Die Verpflichtung zur Ablieferung von Pflichtexem¬ Die Moral unsrer Novellisten. Welches Glück, daß die Landleute -M <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207629"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_919" prev="#ID_918"> Gemütes, Klarheit des Geistes, Deutlichkeit der Anschauung, Bestimmtheit des Aus¬<lb/> druckes, verständiger Lebensgenuß, Maßhalten in allen Dingen, seelisches Gleich¬<lb/> gewicht. In der kühlen und klaren geistigen Atmosphäre der Alten gedeiht<lb/> keinerlei Art von Fanatismus, Mysticismus und Aberglauben; weder amerikanische<lb/> Dollarjagd, noch albernes Gigerltnm, noch anarchisches Durcheinander; sie leidet<lb/> weder Gespenster noch Fratzen. Was nützen uns die Fortschritte der Naturwissen¬<lb/> schaften und der Technik, wenn wir dabei Barbaren werden, bei deuen der<lb/> Schönheitssinn durch Modefratzen, die Humanität durch wüsten Rassen- und<lb/> Klassenkrieg verdrängt wird, und die über dem Ringen ums nackte Leben den Zu¬<lb/> hält verlieren, der das Leben lebenSwert macht? (Darüber hat Graf Wnrmbraudt<lb/> am 26. April sehr schön im österreichischen Abgeordnetenhause gesprochen.) Was<lb/> nützen uus die wunderbarsten Maschinen unsrer Techniker und die unzähligen<lb/> neuen Methyle und Tolnvle unsrer Chemiker, wenn wir cinfhören, Menschen zu<lb/> sein? Die Menschen sind nicht da, um Maschinen zu bauen und neue Arzenei¬<lb/> oder Färbstoffe zu entdecken, sondern alle Maschinen und Stoffe haben nnr inso¬<lb/> fern Wert, als sie dem Menschen zu seiner Sclbstvollendnug dienen. Mit der<lb/> Verbannung der alten Sprachen aus den Schulen würde eine der kräftigsten Nah¬<lb/> rungen der gesunden Menschennatur schwinden. Mag sein, daß vou hundert<lb/> Abiturienten sich höchstens zehn an den alten Klassikern die oben genannten Vor¬<lb/> züge, aneignen. Aber wenige Körnchen Salz reichen hin, die ganze Suppe zu<lb/> würzen, nud wir »vollen das attische Salz so wenig missen, wie das des Evan¬<lb/> geliums.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Pflichtexemplare.</head> <p xml:id="ID_920"> Die Verpflichtung zur Ablieferung von Pflichtexem¬<lb/> plaren an die Bibliotheken hat schon zu vielen Bedenken Anlaß gegeben; einen<lb/> ganz neuen Gesichtspunkt für diese Verpflichtung gewährt aber folgender Fall. Ein<lb/> Buchhändler stellte ein Album vou Ansichten seines Wohnortes zusammen, indem<lb/> er eine Anzahl von Photographien in eine Mappe legte, und rückte eine Anzeige<lb/> liber dies Album in öffentlichen Blättern ein. Hierdurch bekam eine Bibliotheks-<lb/> verwaltnng Kenntnis davon und begehrte die Ablieferung dieses Albums, die auch<lb/> auf Ersuche» der Biblivtheksverwnltnng der zuständige Regierungspräsident dnrch<lb/> die Ortspolizciverwaltung dem Buchhändler aufgeben ließ. Dieser wurde gegen<lb/> diese Auflage klagbar, wurde aber mit der Klage abgewiesen, da es sich nicht um<lb/> eine polizeiliche Verfügung im Sinne des ez 127 des preußischen Gesetzes über<lb/> die allgemeine Landesverwaltung, sondern nur um eine exelutivische Beitreibung<lb/> einer öffentlichen Abgabe zur Unterhaltung öffentlicher Anstalten handle, bezüglich<lb/> deren Beitreibung der Rechtsweg nur insoweit zulässig sei, als behauptet werden<lb/> solle, die Abgabe sei bereits entrichtet oder es handle sich um keine öffentliche Ab¬<lb/> gabe. Hiernach möchte es also nur von dem Ermessen der Biblivtheksverwaltungen<lb/> abhängen, welche Artikel aus dem Geschäfte eines Buchhändlers sie als unter<lb/> die den Bestimmungen über Ablieferung des Pflichtexemplars fallenden Gegenstände<lb/> rechnen wollen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Die Moral unsrer Novellisten.</head> <p xml:id="ID_921" next="#ID_922"> Welches Glück, daß die Landleute -M<lb/> keine, die Köchinnen und Arbeiter nnr schlechte Romane lesen! Denn die schlechten<lb/> Romane, d. h. die Fabrikerzeugnisse ohne Kunstwert, mögen zwar durch ^u-<lb/> süllung der Phantasie mit überflüssigen oder schlechten Bildern schaden, aber sie<lb/> pflanzen wenigstens keine falschen Grundsätze ein; dazu sind sie zu dumm und zu<lb/> gedankenlos. Die wirklichen Künstler aber unter deu Novellisten und Dramatikern<lb/> scheinen, soweit wir es bei unsrer mangelhaften Kenntnis dieses Litteraturzweige-'</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0334]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Gemütes, Klarheit des Geistes, Deutlichkeit der Anschauung, Bestimmtheit des Aus¬
druckes, verständiger Lebensgenuß, Maßhalten in allen Dingen, seelisches Gleich¬
gewicht. In der kühlen und klaren geistigen Atmosphäre der Alten gedeiht
keinerlei Art von Fanatismus, Mysticismus und Aberglauben; weder amerikanische
Dollarjagd, noch albernes Gigerltnm, noch anarchisches Durcheinander; sie leidet
weder Gespenster noch Fratzen. Was nützen uns die Fortschritte der Naturwissen¬
schaften und der Technik, wenn wir dabei Barbaren werden, bei deuen der
Schönheitssinn durch Modefratzen, die Humanität durch wüsten Rassen- und
Klassenkrieg verdrängt wird, und die über dem Ringen ums nackte Leben den Zu¬
hält verlieren, der das Leben lebenSwert macht? (Darüber hat Graf Wnrmbraudt
am 26. April sehr schön im österreichischen Abgeordnetenhause gesprochen.) Was
nützen uus die wunderbarsten Maschinen unsrer Techniker und die unzähligen
neuen Methyle und Tolnvle unsrer Chemiker, wenn wir cinfhören, Menschen zu
sein? Die Menschen sind nicht da, um Maschinen zu bauen und neue Arzenei¬
oder Färbstoffe zu entdecken, sondern alle Maschinen und Stoffe haben nnr inso¬
fern Wert, als sie dem Menschen zu seiner Sclbstvollendnug dienen. Mit der
Verbannung der alten Sprachen aus den Schulen würde eine der kräftigsten Nah¬
rungen der gesunden Menschennatur schwinden. Mag sein, daß vou hundert
Abiturienten sich höchstens zehn an den alten Klassikern die oben genannten Vor¬
züge, aneignen. Aber wenige Körnchen Salz reichen hin, die ganze Suppe zu
würzen, nud wir »vollen das attische Salz so wenig missen, wie das des Evan¬
geliums.
Pflichtexemplare. Die Verpflichtung zur Ablieferung von Pflichtexem¬
plaren an die Bibliotheken hat schon zu vielen Bedenken Anlaß gegeben; einen
ganz neuen Gesichtspunkt für diese Verpflichtung gewährt aber folgender Fall. Ein
Buchhändler stellte ein Album vou Ansichten seines Wohnortes zusammen, indem
er eine Anzahl von Photographien in eine Mappe legte, und rückte eine Anzeige
liber dies Album in öffentlichen Blättern ein. Hierdurch bekam eine Bibliotheks-
verwaltnng Kenntnis davon und begehrte die Ablieferung dieses Albums, die auch
auf Ersuche» der Biblivtheksverwnltnng der zuständige Regierungspräsident dnrch
die Ortspolizciverwaltung dem Buchhändler aufgeben ließ. Dieser wurde gegen
diese Auflage klagbar, wurde aber mit der Klage abgewiesen, da es sich nicht um
eine polizeiliche Verfügung im Sinne des ez 127 des preußischen Gesetzes über
die allgemeine Landesverwaltung, sondern nur um eine exelutivische Beitreibung
einer öffentlichen Abgabe zur Unterhaltung öffentlicher Anstalten handle, bezüglich
deren Beitreibung der Rechtsweg nur insoweit zulässig sei, als behauptet werden
solle, die Abgabe sei bereits entrichtet oder es handle sich um keine öffentliche Ab¬
gabe. Hiernach möchte es also nur von dem Ermessen der Biblivtheksverwaltungen
abhängen, welche Artikel aus dem Geschäfte eines Buchhändlers sie als unter
die den Bestimmungen über Ablieferung des Pflichtexemplars fallenden Gegenstände
rechnen wollen.
Die Moral unsrer Novellisten. Welches Glück, daß die Landleute -M
keine, die Köchinnen und Arbeiter nnr schlechte Romane lesen! Denn die schlechten
Romane, d. h. die Fabrikerzeugnisse ohne Kunstwert, mögen zwar durch ^u-
süllung der Phantasie mit überflüssigen oder schlechten Bildern schaden, aber sie
pflanzen wenigstens keine falschen Grundsätze ein; dazu sind sie zu dumm und zu
gedankenlos. Die wirklichen Künstler aber unter deu Novellisten und Dramatikern
scheinen, soweit wir es bei unsrer mangelhaften Kenntnis dieses Litteraturzweige-'
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