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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Lino Reichstagsphantasie

unes zu den höchsten staatsmännischen Ehren erhoben hat, vermag ich das
Bedauern, ahnliche Stufen nicht als Soldat mir erstritten zu haben, nicht
ganz zu unterdrücken. Verzeihen Eure Majestät am Heiligen Abend einem
Manne, der gewohnt ist, an christlichen Gedenktagen auf seine Vergangenheit
zu blicken, diese Aussprache persönlicher Empfindungen. Ich wäre vielleicht
ein unbrauchbarer General geworden, aber nach meiner eignen Neigung hätte
ich lieber Schlachten für Eure Majestät gewonnen, wie die Generäle, die das
Denkmal zieren, als diplomatische Kampagnen. Nach Gottes Willen und nach
Eurer Majestät Gnade habe ich die Aussicht, in Schrift und Erz genannt zu
werden, wenn die Nachwelt die Erinnerung an Eurer Majestät glorreiche
Regierung verewigt. Aber die herzliche Anhänglichkeit, die ich, unabhängig
von der Treue jedes ehrlichen Edelmannes für seineu Landesherrn. für Eurer
Majestät Person fühle, der Schmerz und die Sorge, die ich darüber empfinde,
daß ich Eurer Majestät nicht immer nach Wunsch lind nicht mehr mit voller
Kraft dienen kann, werden in keinem Denkmal Ausdruck finden können; und
doch ist es nur dieses persönliche Gefühl in letzter Instanz, welches die Diener
ihren, Monarchen, die Soldaten ihrem Führer, auf Wegen wie Friedrich II.
und Eure Majestät nach Gottes Ratschluß gegangen sind, in rücksichtsloser
Hingebung nachzieht. Meine Arbeitskraft entspricht nicht mehr meinem Willen,
aber der Wille wird bis zum letzten Atem Eurer Majestät gehören.


von Bismarck


Line Reichstagsphantasie

er sich vorurteilslos die parlamentarische Entwicklung unsers
Volkes betrachtet, der wird die eigentümliche Thatsache erkennen,
daß das Ansehen des Reichstags, das Interesse für ihn in dem
Grade gesunken ist, als das an den Wahlen gestiegen ist. Fast
alle Parteien, jede auf ihre Art, sind nicht mit den Einzel-
leistuugen des Reichstags, das deutsche Volk nicht mit seiner Gesamtleistung
zufrieden. So auf der einen Seite. Auf der andern ist die Wahlbeweguug
lauter, oft wilder lind unsittlicher geworden, die Leidenschaften sind unver¬
hältnismäßig geweckt und gesteigert wurden. Das läßt sich bei den letzten drei
Wahlen deutlich beobachten, so verschiedene Ergebnisse sie auch zeigten. Die
von 1884 und 1800 brachten ein Überwiegen der Linken und des Zentrums,
die vou 1887 der Liberalen und der .Konservativen, Thatsachen, die umsomehr


Lino Reichstagsphantasie

unes zu den höchsten staatsmännischen Ehren erhoben hat, vermag ich das
Bedauern, ahnliche Stufen nicht als Soldat mir erstritten zu haben, nicht
ganz zu unterdrücken. Verzeihen Eure Majestät am Heiligen Abend einem
Manne, der gewohnt ist, an christlichen Gedenktagen auf seine Vergangenheit
zu blicken, diese Aussprache persönlicher Empfindungen. Ich wäre vielleicht
ein unbrauchbarer General geworden, aber nach meiner eignen Neigung hätte
ich lieber Schlachten für Eure Majestät gewonnen, wie die Generäle, die das
Denkmal zieren, als diplomatische Kampagnen. Nach Gottes Willen und nach
Eurer Majestät Gnade habe ich die Aussicht, in Schrift und Erz genannt zu
werden, wenn die Nachwelt die Erinnerung an Eurer Majestät glorreiche
Regierung verewigt. Aber die herzliche Anhänglichkeit, die ich, unabhängig
von der Treue jedes ehrlichen Edelmannes für seineu Landesherrn. für Eurer
Majestät Person fühle, der Schmerz und die Sorge, die ich darüber empfinde,
daß ich Eurer Majestät nicht immer nach Wunsch lind nicht mehr mit voller
Kraft dienen kann, werden in keinem Denkmal Ausdruck finden können; und
doch ist es nur dieses persönliche Gefühl in letzter Instanz, welches die Diener
ihren, Monarchen, die Soldaten ihrem Führer, auf Wegen wie Friedrich II.
und Eure Majestät nach Gottes Ratschluß gegangen sind, in rücksichtsloser
Hingebung nachzieht. Meine Arbeitskraft entspricht nicht mehr meinem Willen,
aber der Wille wird bis zum letzten Atem Eurer Majestät gehören.


von Bismarck


Line Reichstagsphantasie

er sich vorurteilslos die parlamentarische Entwicklung unsers
Volkes betrachtet, der wird die eigentümliche Thatsache erkennen,
daß das Ansehen des Reichstags, das Interesse für ihn in dem
Grade gesunken ist, als das an den Wahlen gestiegen ist. Fast
alle Parteien, jede auf ihre Art, sind nicht mit den Einzel-
leistuugen des Reichstags, das deutsche Volk nicht mit seiner Gesamtleistung
zufrieden. So auf der einen Seite. Auf der andern ist die Wahlbeweguug
lauter, oft wilder lind unsittlicher geworden, die Leidenschaften sind unver¬
hältnismäßig geweckt und gesteigert wurden. Das läßt sich bei den letzten drei
Wahlen deutlich beobachten, so verschiedene Ergebnisse sie auch zeigten. Die
von 1884 und 1800 brachten ein Überwiegen der Linken und des Zentrums,
die vou 1887 der Liberalen und der .Konservativen, Thatsachen, die umsomehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/12>, abgerufen am 26.06.2024.