Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches tarier. Dieser Umstand allein würde freilich genügen, um den ganzen Freisinn, Auch in diesem Punkte müssen wir uns mit der Hoffnung begnügen, daß die 3 Es ließ sich erwarten, daß der Ausfall der Reichstagswahlen die konservativeren Maßgebliches und Unmaßgebliches tarier. Dieser Umstand allein würde freilich genügen, um den ganzen Freisinn, Auch in diesem Punkte müssen wir uns mit der Hoffnung begnügen, daß die 3 Es ließ sich erwarten, daß der Ausfall der Reichstagswahlen die konservativeren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0586" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207231"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1742" prev="#ID_1741"> tarier. Dieser Umstand allein würde freilich genügen, um den ganzen Freisinn,<lb/> nicht nur den der strengen Observanz, gegen eine solche Neuerung in Harnisch zu<lb/> bringen. Alles, was irgendwie an die vorhandne Gliederung der Gesellschaft, an<lb/> die Lebensinteressen bestimmter Gegenden und bestimmter Beschäftigungen erinnert,<lb/> fall ja einer Volksvertretung nach freisinniger Schablone fernbleiben. Da gilt n»r<lb/> der ideale Staatsbürger, noch besser der Weltbürger, der auch das Borurteil der<lb/> Nationalität abgestreift hat. Zwar widerspricht dem Lehrsatze die tägliche Er¬<lb/> fahrung. Die Wünsche der einzelnen Wahlkreise werden ohne jede Rücksicht auf<lb/> das Allgemeine verfochten, der Jurist versäumt nicht, seine Autorität gellend zu<lb/> machen, der abgefundene Eisenbahndirektor giebt keineswegs mit dem Überrock auch<lb/> seine fachmännischer Kenntnisse und Sondermeinungen in der Garderobe ab u, s. w.<lb/> Doch hindert das alles nicht, das Prinzip hochzuhalten, sich selbst in dem Aber¬<lb/> glauben zu bestärken, das; die bunte Menge schließlich der Inbegriff aller Weis¬<lb/> heit sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_1743"> Auch in diesem Punkte müssen wir uns mit der Hoffnung begnügen, daß die<lb/> Parteiführer selbst allmählich — sehr allmählich! — die Aufklärung verbreiten<lb/> werden. Und zwar können die sozialen Reformen in dieser Richtung viel Gutes<lb/> bewirke», so fraglich es ist, ob sie unmittelbar durch die gewünschten Erfolge werden<lb/> gekrönt werden. Die Demokratenhänptlinge müssen ebenso wie die Arbeiterführer<lb/> uni ihre Existenz kämpfen und wenden dasselbe Mittel an: Verhinderung oder<lb/> doch Diskreditirnng des Guten, indem sie unerreichbares Besseres fordern. Aber<lb/> sie befinden sich in weniger günstiger Lage. Denn wenn sie in ihrer Arbeiter¬<lb/> freundlichkeit so weit gehen, Einrichtungen zu befürworten, die den Arbeitgeber<lb/> konkurrenzunfähig machen würden, so können sie nicht, wie jene, uns den sozialen<lb/> Zukunftsstaat verweisen. Vielmehr liegt die Berechnung auf der Hund, daß ihnen<lb/> an der ehrlichen, soliden Industrie nichts gelegen ist, und daß sie sich darauf ver¬<lb/> lassen, ihre Freunde würde» sich durch Schleuderarbeit schon schadlos zu halten<lb/> wissen. Möchte» die Herren nur bei dieser Politik bleiben!</p><lb/> </div> <div n="3"> <head> 3</head><lb/> <p xml:id="ID_1744" next="#ID_1745"> Es ließ sich erwarten, daß der Ausfall der Reichstagswahlen die konservativeren<lb/> Politiker veranlassen würde, ihre mancherlei nicht mehr ganz neuen Vorschläge für eine<lb/> Reform des Reichstags und des Wahlrechts wieder aufzutischen. Der Kaiser, der<lb/> Kanzler und die Minister hegen schwerlich dergleichen Pläne; und sollte ein solcher zur<lb/> Ausführung gelangen, so würde man sich sehr bald davon überzeugen, daß der Satz von<lb/> der UnVollkommenheit alles Irdischen von keiner Art Wesen stärker gilt als von den<lb/> Staatsverfassungen, und daß die mit der Oktroirung einer neuen verbundenen Arbeiten,<lb/> Ärgernisse, Kämpfe und Gefahren der Mühe nicht lohnten. Dagegen lohnt es der<lb/> Mühe, einmal auf den Grundfehler hinzuweisen, um dem alle modernen Verfassungen<lb/> ohne Ausnahme leiden: die übermäßige Zenlralisatio». Sie ist bekanntlich aus der<lb/> Reaktion gegen die tibermäßige Zersplitterung hervorgegangen. Allein nicht bloß<lb/> die Gerechtigkeit, sondern auch die Stnatsklugheit sollte den Politikern verbieten,<lb/> ihre Augen vor den guten Seiten der antiken und der mittelalterlichen Klein¬<lb/> staaterei zu verschließen. Auf den richtigen Bevbachttlngsstandpnnkt hat vorm Jahre<lb/> Ronald Keßler in diesen Blättern in der Abhandlung über die richtige Größe der<lb/> Staaten hingewiesen. Nur muß das dort gesagte noch dahin ausgedehnt werden,<lb/> daß der kleine Mann nur solcher Gemeinwesen lebendiges Glied sein kann, die so<lb/> klein sind, daß sie nach modernen Begriffen den Namen eines Staates gar nicht</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0586]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
tarier. Dieser Umstand allein würde freilich genügen, um den ganzen Freisinn,
nicht nur den der strengen Observanz, gegen eine solche Neuerung in Harnisch zu
bringen. Alles, was irgendwie an die vorhandne Gliederung der Gesellschaft, an
die Lebensinteressen bestimmter Gegenden und bestimmter Beschäftigungen erinnert,
fall ja einer Volksvertretung nach freisinniger Schablone fernbleiben. Da gilt n»r
der ideale Staatsbürger, noch besser der Weltbürger, der auch das Borurteil der
Nationalität abgestreift hat. Zwar widerspricht dem Lehrsatze die tägliche Er¬
fahrung. Die Wünsche der einzelnen Wahlkreise werden ohne jede Rücksicht auf
das Allgemeine verfochten, der Jurist versäumt nicht, seine Autorität gellend zu
machen, der abgefundene Eisenbahndirektor giebt keineswegs mit dem Überrock auch
seine fachmännischer Kenntnisse und Sondermeinungen in der Garderobe ab u, s. w.
Doch hindert das alles nicht, das Prinzip hochzuhalten, sich selbst in dem Aber¬
glauben zu bestärken, das; die bunte Menge schließlich der Inbegriff aller Weis¬
heit sei.
Auch in diesem Punkte müssen wir uns mit der Hoffnung begnügen, daß die
Parteiführer selbst allmählich — sehr allmählich! — die Aufklärung verbreiten
werden. Und zwar können die sozialen Reformen in dieser Richtung viel Gutes
bewirke», so fraglich es ist, ob sie unmittelbar durch die gewünschten Erfolge werden
gekrönt werden. Die Demokratenhänptlinge müssen ebenso wie die Arbeiterführer
uni ihre Existenz kämpfen und wenden dasselbe Mittel an: Verhinderung oder
doch Diskreditirnng des Guten, indem sie unerreichbares Besseres fordern. Aber
sie befinden sich in weniger günstiger Lage. Denn wenn sie in ihrer Arbeiter¬
freundlichkeit so weit gehen, Einrichtungen zu befürworten, die den Arbeitgeber
konkurrenzunfähig machen würden, so können sie nicht, wie jene, uns den sozialen
Zukunftsstaat verweisen. Vielmehr liegt die Berechnung auf der Hund, daß ihnen
an der ehrlichen, soliden Industrie nichts gelegen ist, und daß sie sich darauf ver¬
lassen, ihre Freunde würde» sich durch Schleuderarbeit schon schadlos zu halten
wissen. Möchte» die Herren nur bei dieser Politik bleiben!
3
Es ließ sich erwarten, daß der Ausfall der Reichstagswahlen die konservativeren
Politiker veranlassen würde, ihre mancherlei nicht mehr ganz neuen Vorschläge für eine
Reform des Reichstags und des Wahlrechts wieder aufzutischen. Der Kaiser, der
Kanzler und die Minister hegen schwerlich dergleichen Pläne; und sollte ein solcher zur
Ausführung gelangen, so würde man sich sehr bald davon überzeugen, daß der Satz von
der UnVollkommenheit alles Irdischen von keiner Art Wesen stärker gilt als von den
Staatsverfassungen, und daß die mit der Oktroirung einer neuen verbundenen Arbeiten,
Ärgernisse, Kämpfe und Gefahren der Mühe nicht lohnten. Dagegen lohnt es der
Mühe, einmal auf den Grundfehler hinzuweisen, um dem alle modernen Verfassungen
ohne Ausnahme leiden: die übermäßige Zenlralisatio». Sie ist bekanntlich aus der
Reaktion gegen die tibermäßige Zersplitterung hervorgegangen. Allein nicht bloß
die Gerechtigkeit, sondern auch die Stnatsklugheit sollte den Politikern verbieten,
ihre Augen vor den guten Seiten der antiken und der mittelalterlichen Klein¬
staaterei zu verschließen. Auf den richtigen Bevbachttlngsstandpnnkt hat vorm Jahre
Ronald Keßler in diesen Blättern in der Abhandlung über die richtige Größe der
Staaten hingewiesen. Nur muß das dort gesagte noch dahin ausgedehnt werden,
daß der kleine Mann nur solcher Gemeinwesen lebendiges Glied sein kann, die so
klein sind, daß sie nach modernen Begriffen den Namen eines Staates gar nicht
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |