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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Sozialdemokratie auf dem Sande
und die evangelische Airche

le Nachrichten über die Ergebnisse der letzten Reichstagswahl
haben gewiß bei allen Freunden des Vaterlandes tiefes Bedauern
erregt. Im Vordergrunde des Interesses stehen natürlich die
Erfolge der Sozialdemokraten. Nicht bloß in den Städten haben
sie immer weitere Kreise der Bevölkerung mit ihren tollen Ideen
angesteckt, sondern auch ans dein platten Lande, das ihnen sonst verschlossen
war, sind sie mit ansehnlichen Ziffern aufgetreten. Es liegt in dem Evangelium
der Sozialdemokratin ein wunderbarer Zauber für die Faulen, die Leicht¬
sinnigen, die Zurückgekommenen, und an solchen fehlt es auch auf dem platten
Lande nicht.

Der unsinnige Kleiderluxus, das kostspielige Wirtshausleben, dem auch
das Landvolk mit jedem Jahre mehr verfällt, der Leichtsinn in der Ehe¬
schließung und bei andern wichtigen Geschäften haben seit zwanzig Jahren eine
allmähliche Verarmung weiter Kreise unsrer Landbevölkerung zur Folge gehabt.
Statt sich nach der Decke strecken, will es jeder dem andern zuvorthun, sucht er
andern und sich seine wahre Lage zu verheimlichen; er verfällt dem Wucherer,
der ihn nach einigen Jahren kaltblütig abschlachtet und aus dem Hause wirft.
So gehen ganze Dörfer, ganze Gegenden zu Grunde. Wer dann solche auf
die Straße geworfene Proletarier zu seiner Gefolgschaft haben wird, läßt sich
laicht voraussehen.

Es ist eine Lebensfrage für unser Land, daß der kleine und mittlere
Bauernstand, der eigentliche Kern des Volkes, der mit seinem frischen Blute
"und den andern Ständen immer wieder neue Kräfte zuführt, in seinem Be


Grenzdvton I 1"W 56


Die Sozialdemokratie auf dem Sande
und die evangelische Airche

le Nachrichten über die Ergebnisse der letzten Reichstagswahl
haben gewiß bei allen Freunden des Vaterlandes tiefes Bedauern
erregt. Im Vordergrunde des Interesses stehen natürlich die
Erfolge der Sozialdemokraten. Nicht bloß in den Städten haben
sie immer weitere Kreise der Bevölkerung mit ihren tollen Ideen
angesteckt, sondern auch ans dein platten Lande, das ihnen sonst verschlossen
war, sind sie mit ansehnlichen Ziffern aufgetreten. Es liegt in dem Evangelium
der Sozialdemokratin ein wunderbarer Zauber für die Faulen, die Leicht¬
sinnigen, die Zurückgekommenen, und an solchen fehlt es auch auf dem platten
Lande nicht.

Der unsinnige Kleiderluxus, das kostspielige Wirtshausleben, dem auch
das Landvolk mit jedem Jahre mehr verfällt, der Leichtsinn in der Ehe¬
schließung und bei andern wichtigen Geschäften haben seit zwanzig Jahren eine
allmähliche Verarmung weiter Kreise unsrer Landbevölkerung zur Folge gehabt.
Statt sich nach der Decke strecken, will es jeder dem andern zuvorthun, sucht er
andern und sich seine wahre Lage zu verheimlichen; er verfällt dem Wucherer,
der ihn nach einigen Jahren kaltblütig abschlachtet und aus dem Hause wirft.
So gehen ganze Dörfer, ganze Gegenden zu Grunde. Wer dann solche auf
die Straße geworfene Proletarier zu seiner Gefolgschaft haben wird, läßt sich
laicht voraussehen.

Es ist eine Lebensfrage für unser Land, daß der kleine und mittlere
Bauernstand, der eigentliche Kern des Volkes, der mit seinem frischen Blute
"und den andern Ständen immer wieder neue Kräfte zuführt, in seinem Be


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[0449] [Abbildung] Die Sozialdemokratie auf dem Sande und die evangelische Airche le Nachrichten über die Ergebnisse der letzten Reichstagswahl haben gewiß bei allen Freunden des Vaterlandes tiefes Bedauern erregt. Im Vordergrunde des Interesses stehen natürlich die Erfolge der Sozialdemokraten. Nicht bloß in den Städten haben sie immer weitere Kreise der Bevölkerung mit ihren tollen Ideen angesteckt, sondern auch ans dein platten Lande, das ihnen sonst verschlossen war, sind sie mit ansehnlichen Ziffern aufgetreten. Es liegt in dem Evangelium der Sozialdemokratin ein wunderbarer Zauber für die Faulen, die Leicht¬ sinnigen, die Zurückgekommenen, und an solchen fehlt es auch auf dem platten Lande nicht. Der unsinnige Kleiderluxus, das kostspielige Wirtshausleben, dem auch das Landvolk mit jedem Jahre mehr verfällt, der Leichtsinn in der Ehe¬ schließung und bei andern wichtigen Geschäften haben seit zwanzig Jahren eine allmähliche Verarmung weiter Kreise unsrer Landbevölkerung zur Folge gehabt. Statt sich nach der Decke strecken, will es jeder dem andern zuvorthun, sucht er andern und sich seine wahre Lage zu verheimlichen; er verfällt dem Wucherer, der ihn nach einigen Jahren kaltblütig abschlachtet und aus dem Hause wirft. So gehen ganze Dörfer, ganze Gegenden zu Grunde. Wer dann solche auf die Straße geworfene Proletarier zu seiner Gefolgschaft haben wird, läßt sich laicht voraussehen. Es ist eine Lebensfrage für unser Land, daß der kleine und mittlere Bauernstand, der eigentliche Kern des Volkes, der mit seinem frischen Blute "und den andern Ständen immer wieder neue Kräfte zuführt, in seinem Be Grenzdvton I 1«W 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/449>, abgerufen am 22.07.2024.