Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Kennzeichenlehre Giovanni Morellis

BeHandlungsweisen war, fürchte ich, die wundervolle (Gestalt der Desdemona nicht
möglich, oder sie stand so sehr außerhalb des Stückes; darum verdenke ich es
Shakespeare nicht, sich ans der einen Seite aufgegeben zu haben, um sich auf der
andern doppelt wieder zu gewinnen.

Aber -- der Brief wird ein Buch, wenn ich so fortschreibe. Ich mache
mir daher selber einen Schlagbaum, indem ich plötzlich einlenke in tausend Grüße
von Haus zu Hans und Sie bitte, gut zu bleiben


Ihrem herzlich ergebenen
Otto Ludwig.


Die Kennzeichenlehre Giovanni Morellis
von Adolf Rosenberg

le Vertreter der Kunstwissenschaft Pflegen wir Stolz darauf hin¬
zuweisen, daß ihre Wissenschaft, obwohl sie die jüngste unter
ihren ehrwürdigen Schwestern ist, es doch in viel kürzrer Zeit als
jede andre zu einem festen System, zu einer sichern Methode ge¬
bracht habe. Zu Anfange der siebziger Jahre noch verächtlich
behandelt und als unbefugter Eindringling in das heilige Gehege der Fakultäten
angesehen, hat sich heute die Kunstwissenschaft wohl an allen Universitäten und
technischen Hochschule" des deutschen Reichs, Österreichs und der Schweiz Sitz
und Stimme erobert, und niemand wagt es mehr, ihren Jüngern die Würde
des ordentlichen Professorentums vorzuenthalten. Während aber der Kampf um
die äußere Anerkennung siegreich zu Ende geführt worden ist, sieht es im Innern
des wissenschaftlichen Gebäudes uoch mißlich und unsicher genug aus, fast so
wüst und unsicher als in jener schrecklichen dilettantischen Zeit, wo Kugler,
Schnaase und Waagen noch als Autoritäten galten, von denen es keine Appellation
llab, und wo das glänzende Doppelgestirn Crowe und Calvacaselle noch nicht
zur Erleuchtung aller Freunde und vermeintlichen.Kenner der italienischen Malerei
Ausgegangen war. Trotz ihres steifleinenen Gewandes und ihrer trocknen Gelehrsam¬
keit benahmen sich die Verfasser der 5le^v llistor/ ok?iüntiiiZ' in Itiüy (18V6)
und der Kistor/ ok l^lutin^ in "ortlr IKll/ (1871, deutsche Übersetzung 18V"
bis 1874), als Umsturzmänner von Grund ans, die mit kaltblütigster Rücksichts-
losigkeit alte Ideale zerstörten und auf deu Trümmern neue aufrichteten. Ihre
Vertrauenswürdigkeit und ihr gesetzgeberisches Ansetzn stiegen, besonders in
Deutschland, so hoch, daß bis zum Ende der siebziger Jahre niemand eine" ernst¬
haften Versuch machte, die von ihnen mit kühler Diktntormiene vorgetragenen An-


Die Kennzeichenlehre Giovanni Morellis

BeHandlungsweisen war, fürchte ich, die wundervolle (Gestalt der Desdemona nicht
möglich, oder sie stand so sehr außerhalb des Stückes; darum verdenke ich es
Shakespeare nicht, sich ans der einen Seite aufgegeben zu haben, um sich auf der
andern doppelt wieder zu gewinnen.

Aber — der Brief wird ein Buch, wenn ich so fortschreibe. Ich mache
mir daher selber einen Schlagbaum, indem ich plötzlich einlenke in tausend Grüße
von Haus zu Hans und Sie bitte, gut zu bleiben


Ihrem herzlich ergebenen
Otto Ludwig.


Die Kennzeichenlehre Giovanni Morellis
von Adolf Rosenberg

le Vertreter der Kunstwissenschaft Pflegen wir Stolz darauf hin¬
zuweisen, daß ihre Wissenschaft, obwohl sie die jüngste unter
ihren ehrwürdigen Schwestern ist, es doch in viel kürzrer Zeit als
jede andre zu einem festen System, zu einer sichern Methode ge¬
bracht habe. Zu Anfange der siebziger Jahre noch verächtlich
behandelt und als unbefugter Eindringling in das heilige Gehege der Fakultäten
angesehen, hat sich heute die Kunstwissenschaft wohl an allen Universitäten und
technischen Hochschule» des deutschen Reichs, Österreichs und der Schweiz Sitz
und Stimme erobert, und niemand wagt es mehr, ihren Jüngern die Würde
des ordentlichen Professorentums vorzuenthalten. Während aber der Kampf um
die äußere Anerkennung siegreich zu Ende geführt worden ist, sieht es im Innern
des wissenschaftlichen Gebäudes uoch mißlich und unsicher genug aus, fast so
wüst und unsicher als in jener schrecklichen dilettantischen Zeit, wo Kugler,
Schnaase und Waagen noch als Autoritäten galten, von denen es keine Appellation
llab, und wo das glänzende Doppelgestirn Crowe und Calvacaselle noch nicht
zur Erleuchtung aller Freunde und vermeintlichen.Kenner der italienischen Malerei
Ausgegangen war. Trotz ihres steifleinenen Gewandes und ihrer trocknen Gelehrsam¬
keit benahmen sich die Verfasser der 5le^v llistor/ ok?iüntiiiZ' in Itiüy (18V6)
und der Kistor/ ok l^lutin^ in «ortlr IKll/ (1871, deutsche Übersetzung 18V»
bis 1874), als Umsturzmänner von Grund ans, die mit kaltblütigster Rücksichts-
losigkeit alte Ideale zerstörten und auf deu Trümmern neue aufrichteten. Ihre
Vertrauenswürdigkeit und ihr gesetzgeberisches Ansetzn stiegen, besonders in
Deutschland, so hoch, daß bis zum Ende der siebziger Jahre niemand eine» ernst¬
haften Versuch machte, die von ihnen mit kühler Diktntormiene vorgetragenen An-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0439" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207084"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Kennzeichenlehre Giovanni Morellis</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1170" prev="#ID_1169"> BeHandlungsweisen war, fürchte ich, die wundervolle (Gestalt der Desdemona nicht<lb/>
möglich, oder sie stand so sehr außerhalb des Stückes; darum verdenke ich es<lb/>
Shakespeare nicht, sich ans der einen Seite aufgegeben zu haben, um sich auf der<lb/>
andern doppelt wieder zu gewinnen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1171"> Aber &#x2014; der Brief wird ein Buch, wenn ich so fortschreibe. Ich mache<lb/>
mir daher selber einen Schlagbaum, indem ich plötzlich einlenke in tausend Grüße<lb/>
von Haus zu Hans und Sie bitte, gut zu bleiben</p><lb/>
            <note type="closer"> Ihrem herzlich ergebenen<lb/><note type="bibl"> Otto Ludwig.</note></note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Kennzeichenlehre Giovanni Morellis<lb/><note type="byline"> von Adolf Rosenberg</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_1172" next="#ID_1173"> le Vertreter der Kunstwissenschaft Pflegen wir Stolz darauf hin¬<lb/>
zuweisen, daß ihre Wissenschaft, obwohl sie die jüngste unter<lb/>
ihren ehrwürdigen Schwestern ist, es doch in viel kürzrer Zeit als<lb/>
jede andre zu einem festen System, zu einer sichern Methode ge¬<lb/>
bracht habe. Zu Anfange der siebziger Jahre noch verächtlich<lb/>
behandelt und als unbefugter Eindringling in das heilige Gehege der Fakultäten<lb/>
angesehen, hat sich heute die Kunstwissenschaft wohl an allen Universitäten und<lb/>
technischen Hochschule» des deutschen Reichs, Österreichs und der Schweiz Sitz<lb/>
und Stimme erobert, und niemand wagt es mehr, ihren Jüngern die Würde<lb/>
des ordentlichen Professorentums vorzuenthalten. Während aber der Kampf um<lb/>
die äußere Anerkennung siegreich zu Ende geführt worden ist, sieht es im Innern<lb/>
des wissenschaftlichen Gebäudes uoch mißlich und unsicher genug aus, fast so<lb/>
wüst und unsicher als in jener schrecklichen dilettantischen Zeit, wo Kugler,<lb/>
Schnaase und Waagen noch als Autoritäten galten, von denen es keine Appellation<lb/>
llab, und wo das glänzende Doppelgestirn Crowe und Calvacaselle noch nicht<lb/>
zur Erleuchtung aller Freunde und vermeintlichen.Kenner der italienischen Malerei<lb/>
Ausgegangen war. Trotz ihres steifleinenen Gewandes und ihrer trocknen Gelehrsam¬<lb/>
keit benahmen sich die Verfasser der 5le^v llistor/ ok?iüntiiiZ' in Itiüy (18V6)<lb/>
und der Kistor/ ok l^lutin^ in «ortlr IKll/ (1871, deutsche Übersetzung 18V»<lb/>
bis 1874), als Umsturzmänner von Grund ans, die mit kaltblütigster Rücksichts-<lb/>
losigkeit alte Ideale zerstörten und auf deu Trümmern neue aufrichteten. Ihre<lb/>
Vertrauenswürdigkeit und ihr gesetzgeberisches Ansetzn stiegen, besonders in<lb/>
Deutschland, so hoch, daß bis zum Ende der siebziger Jahre niemand eine» ernst¬<lb/>
haften Versuch machte, die von ihnen mit kühler Diktntormiene vorgetragenen An-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0439] Die Kennzeichenlehre Giovanni Morellis BeHandlungsweisen war, fürchte ich, die wundervolle (Gestalt der Desdemona nicht möglich, oder sie stand so sehr außerhalb des Stückes; darum verdenke ich es Shakespeare nicht, sich ans der einen Seite aufgegeben zu haben, um sich auf der andern doppelt wieder zu gewinnen. Aber — der Brief wird ein Buch, wenn ich so fortschreibe. Ich mache mir daher selber einen Schlagbaum, indem ich plötzlich einlenke in tausend Grüße von Haus zu Hans und Sie bitte, gut zu bleiben Ihrem herzlich ergebenen Otto Ludwig. Die Kennzeichenlehre Giovanni Morellis von Adolf Rosenberg le Vertreter der Kunstwissenschaft Pflegen wir Stolz darauf hin¬ zuweisen, daß ihre Wissenschaft, obwohl sie die jüngste unter ihren ehrwürdigen Schwestern ist, es doch in viel kürzrer Zeit als jede andre zu einem festen System, zu einer sichern Methode ge¬ bracht habe. Zu Anfange der siebziger Jahre noch verächtlich behandelt und als unbefugter Eindringling in das heilige Gehege der Fakultäten angesehen, hat sich heute die Kunstwissenschaft wohl an allen Universitäten und technischen Hochschule» des deutschen Reichs, Österreichs und der Schweiz Sitz und Stimme erobert, und niemand wagt es mehr, ihren Jüngern die Würde des ordentlichen Professorentums vorzuenthalten. Während aber der Kampf um die äußere Anerkennung siegreich zu Ende geführt worden ist, sieht es im Innern des wissenschaftlichen Gebäudes uoch mißlich und unsicher genug aus, fast so wüst und unsicher als in jener schrecklichen dilettantischen Zeit, wo Kugler, Schnaase und Waagen noch als Autoritäten galten, von denen es keine Appellation llab, und wo das glänzende Doppelgestirn Crowe und Calvacaselle noch nicht zur Erleuchtung aller Freunde und vermeintlichen.Kenner der italienischen Malerei Ausgegangen war. Trotz ihres steifleinenen Gewandes und ihrer trocknen Gelehrsam¬ keit benahmen sich die Verfasser der 5le^v llistor/ ok?iüntiiiZ' in Itiüy (18V6) und der Kistor/ ok l^lutin^ in «ortlr IKll/ (1871, deutsche Übersetzung 18V» bis 1874), als Umsturzmänner von Grund ans, die mit kaltblütigster Rücksichts- losigkeit alte Ideale zerstörten und auf deu Trümmern neue aufrichteten. Ihre Vertrauenswürdigkeit und ihr gesetzgeberisches Ansetzn stiegen, besonders in Deutschland, so hoch, daß bis zum Ende der siebziger Jahre niemand eine» ernst¬ haften Versuch machte, die von ihnen mit kühler Diktntormiene vorgetragenen An-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/439
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/439>, abgerufen am 23.07.2024.