Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Humor und Komik in der griechischen Runst

Dies deutet auf die tiefe Kluft, die trotz der Gemeinsamkeit vieler Schicksale
und großer Interesse" zwischen uns und den Italienern vorhanden ist und die
weder unsre Reisenden noch unsre Kunst- und Literarhistoriker bis jetzt über¬
brückt haben. Der Schauder, den ein deutscher Sonderling wie Bogumil Goltz
vor dein gesamten Italien empfand, wirkt freilich nnr noch im Geheimen nach,
und die alten Sagen von welscher Falschheit und Hinterlist haben schon seit
Goethes italienischer Reise bessern Kunden Platz gemacht. Immerhin sind
Elemente im geselligen und geistigen Leben der hochbegabten Nation vorhanden,
für die gerade wir Deutschen schwer Verständnis gewinnen. Und daran wird
nichts geändert, auch wenn eine einzelne deutsche Künstlernatur sich lebhaft zu
eben diesen Elementen hingezogen fühlt.




Humor und Komik in der griechischen Kunst

er die Antikensammlung eines größern Museums durchwandert
und sich dabei, wie das unter hundert Besuchern neunundneunzig
thun, ans die großen Prachtsäle beschränkt, in denen die Werke
der antiken Skulptur.in Originalen oder Abgüssen beisammen
sind, ohne deu Schränken, worin die unscheinbareren Erzeugnisse
der Kleinkunst aufbewahrt sind, mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken,
der wird leicht den Eindruck mit fortnehmen, als habe die griechische Kunst,
so mannichfaltig auch die vou ihr behandelten Gebiete sind, so sehr auch ihre
Erzeugnisse die ganze Stufenleiter vom großartig Erhabnen zum leidenschaftlich
Bewegten, vom tragisch Ergreifenden zum lieblich Anmutigen durchlaufen, das
Element des Komischen nur sehr wenig in ihren Kreis gezogen. Aber eine
solche Annahme würde sehr fehlgehen. Bei der scharfen Beobachtungsgabe,
die den Südländer auszeichnet, fehlte den alten Hellenen der Sinn für das
Komische keineswegs, und ihre Litteratur erweist das ja zur Genüge. Die
derbe Komik des aristophanischen Lustspiels und die Possen der dorischen Ko¬
mödie legen nicht minder als der feine Witz eines Menander oder die Charakter¬
schilderungen Thevphrasts deutliches Zeugnis davon ab, wie reich die komische'
Erfindungsgabe, wie hervorstechend das Talent, komische Situationen zu ersinnen
und darzustellen oder einer Sache die komische Seite abzugewinnen, bei den
Griechen gewesen ist. Und auch der Bruder der Komik, der im Ernst und
selbst im Tragischen durchbrechende Humor, sehlt ihnen nicht. Zeige,? doch


Humor und Komik in der griechischen Runst

Dies deutet auf die tiefe Kluft, die trotz der Gemeinsamkeit vieler Schicksale
und großer Interesse» zwischen uns und den Italienern vorhanden ist und die
weder unsre Reisenden noch unsre Kunst- und Literarhistoriker bis jetzt über¬
brückt haben. Der Schauder, den ein deutscher Sonderling wie Bogumil Goltz
vor dein gesamten Italien empfand, wirkt freilich nnr noch im Geheimen nach,
und die alten Sagen von welscher Falschheit und Hinterlist haben schon seit
Goethes italienischer Reise bessern Kunden Platz gemacht. Immerhin sind
Elemente im geselligen und geistigen Leben der hochbegabten Nation vorhanden,
für die gerade wir Deutschen schwer Verständnis gewinnen. Und daran wird
nichts geändert, auch wenn eine einzelne deutsche Künstlernatur sich lebhaft zu
eben diesen Elementen hingezogen fühlt.




Humor und Komik in der griechischen Kunst

er die Antikensammlung eines größern Museums durchwandert
und sich dabei, wie das unter hundert Besuchern neunundneunzig
thun, ans die großen Prachtsäle beschränkt, in denen die Werke
der antiken Skulptur.in Originalen oder Abgüssen beisammen
sind, ohne deu Schränken, worin die unscheinbareren Erzeugnisse
der Kleinkunst aufbewahrt sind, mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken,
der wird leicht den Eindruck mit fortnehmen, als habe die griechische Kunst,
so mannichfaltig auch die vou ihr behandelten Gebiete sind, so sehr auch ihre
Erzeugnisse die ganze Stufenleiter vom großartig Erhabnen zum leidenschaftlich
Bewegten, vom tragisch Ergreifenden zum lieblich Anmutigen durchlaufen, das
Element des Komischen nur sehr wenig in ihren Kreis gezogen. Aber eine
solche Annahme würde sehr fehlgehen. Bei der scharfen Beobachtungsgabe,
die den Südländer auszeichnet, fehlte den alten Hellenen der Sinn für das
Komische keineswegs, und ihre Litteratur erweist das ja zur Genüge. Die
derbe Komik des aristophanischen Lustspiels und die Possen der dorischen Ko¬
mödie legen nicht minder als der feine Witz eines Menander oder die Charakter¬
schilderungen Thevphrasts deutliches Zeugnis davon ab, wie reich die komische'
Erfindungsgabe, wie hervorstechend das Talent, komische Situationen zu ersinnen
und darzustellen oder einer Sache die komische Seite abzugewinnen, bei den
Griechen gewesen ist. Und auch der Bruder der Komik, der im Ernst und
selbst im Tragischen durchbrechende Humor, sehlt ihnen nicht. Zeige,? doch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0336" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206981"/>
          <fw type="header" place="top"> Humor und Komik in der griechischen Runst</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_885" prev="#ID_884"> Dies deutet auf die tiefe Kluft, die trotz der Gemeinsamkeit vieler Schicksale<lb/>
und großer Interesse» zwischen uns und den Italienern vorhanden ist und die<lb/>
weder unsre Reisenden noch unsre Kunst- und Literarhistoriker bis jetzt über¬<lb/>
brückt haben. Der Schauder, den ein deutscher Sonderling wie Bogumil Goltz<lb/>
vor dein gesamten Italien empfand, wirkt freilich nnr noch im Geheimen nach,<lb/>
und die alten Sagen von welscher Falschheit und Hinterlist haben schon seit<lb/>
Goethes italienischer Reise bessern Kunden Platz gemacht. Immerhin sind<lb/>
Elemente im geselligen und geistigen Leben der hochbegabten Nation vorhanden,<lb/>
für die gerade wir Deutschen schwer Verständnis gewinnen. Und daran wird<lb/>
nichts geändert, auch wenn eine einzelne deutsche Künstlernatur sich lebhaft zu<lb/>
eben diesen Elementen hingezogen fühlt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Humor und Komik in der griechischen Kunst</head><lb/>
          <p xml:id="ID_886" next="#ID_887"> er die Antikensammlung eines größern Museums durchwandert<lb/>
und sich dabei, wie das unter hundert Besuchern neunundneunzig<lb/>
thun, ans die großen Prachtsäle beschränkt, in denen die Werke<lb/>
der antiken Skulptur.in Originalen oder Abgüssen beisammen<lb/>
sind, ohne deu Schränken, worin die unscheinbareren Erzeugnisse<lb/>
der Kleinkunst aufbewahrt sind, mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken,<lb/>
der wird leicht den Eindruck mit fortnehmen, als habe die griechische Kunst,<lb/>
so mannichfaltig auch die vou ihr behandelten Gebiete sind, so sehr auch ihre<lb/>
Erzeugnisse die ganze Stufenleiter vom großartig Erhabnen zum leidenschaftlich<lb/>
Bewegten, vom tragisch Ergreifenden zum lieblich Anmutigen durchlaufen, das<lb/>
Element des Komischen nur sehr wenig in ihren Kreis gezogen. Aber eine<lb/>
solche Annahme würde sehr fehlgehen. Bei der scharfen Beobachtungsgabe,<lb/>
die den Südländer auszeichnet, fehlte den alten Hellenen der Sinn für das<lb/>
Komische keineswegs, und ihre Litteratur erweist das ja zur Genüge. Die<lb/>
derbe Komik des aristophanischen Lustspiels und die Possen der dorischen Ko¬<lb/>
mödie legen nicht minder als der feine Witz eines Menander oder die Charakter¬<lb/>
schilderungen Thevphrasts deutliches Zeugnis davon ab, wie reich die komische'<lb/>
Erfindungsgabe, wie hervorstechend das Talent, komische Situationen zu ersinnen<lb/>
und darzustellen oder einer Sache die komische Seite abzugewinnen, bei den<lb/>
Griechen gewesen ist. Und auch der Bruder der Komik, der im Ernst und<lb/>
selbst im Tragischen durchbrechende Humor, sehlt ihnen nicht.  Zeige,? doch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0336] Humor und Komik in der griechischen Runst Dies deutet auf die tiefe Kluft, die trotz der Gemeinsamkeit vieler Schicksale und großer Interesse» zwischen uns und den Italienern vorhanden ist und die weder unsre Reisenden noch unsre Kunst- und Literarhistoriker bis jetzt über¬ brückt haben. Der Schauder, den ein deutscher Sonderling wie Bogumil Goltz vor dein gesamten Italien empfand, wirkt freilich nnr noch im Geheimen nach, und die alten Sagen von welscher Falschheit und Hinterlist haben schon seit Goethes italienischer Reise bessern Kunden Platz gemacht. Immerhin sind Elemente im geselligen und geistigen Leben der hochbegabten Nation vorhanden, für die gerade wir Deutschen schwer Verständnis gewinnen. Und daran wird nichts geändert, auch wenn eine einzelne deutsche Künstlernatur sich lebhaft zu eben diesen Elementen hingezogen fühlt. Humor und Komik in der griechischen Kunst er die Antikensammlung eines größern Museums durchwandert und sich dabei, wie das unter hundert Besuchern neunundneunzig thun, ans die großen Prachtsäle beschränkt, in denen die Werke der antiken Skulptur.in Originalen oder Abgüssen beisammen sind, ohne deu Schränken, worin die unscheinbareren Erzeugnisse der Kleinkunst aufbewahrt sind, mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken, der wird leicht den Eindruck mit fortnehmen, als habe die griechische Kunst, so mannichfaltig auch die vou ihr behandelten Gebiete sind, so sehr auch ihre Erzeugnisse die ganze Stufenleiter vom großartig Erhabnen zum leidenschaftlich Bewegten, vom tragisch Ergreifenden zum lieblich Anmutigen durchlaufen, das Element des Komischen nur sehr wenig in ihren Kreis gezogen. Aber eine solche Annahme würde sehr fehlgehen. Bei der scharfen Beobachtungsgabe, die den Südländer auszeichnet, fehlte den alten Hellenen der Sinn für das Komische keineswegs, und ihre Litteratur erweist das ja zur Genüge. Die derbe Komik des aristophanischen Lustspiels und die Possen der dorischen Ko¬ mödie legen nicht minder als der feine Witz eines Menander oder die Charakter¬ schilderungen Thevphrasts deutliches Zeugnis davon ab, wie reich die komische' Erfindungsgabe, wie hervorstechend das Talent, komische Situationen zu ersinnen und darzustellen oder einer Sache die komische Seite abzugewinnen, bei den Griechen gewesen ist. Und auch der Bruder der Komik, der im Ernst und selbst im Tragischen durchbrechende Humor, sehlt ihnen nicht. Zeige,? doch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/336
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/336>, abgerufen am 22.07.2024.