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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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sucht worden! Der Besuch seitens des Kaisers -- das ist nicht miß-
zuverstehen, da hat er besucht! O heilige Einfalt! Wie ist man nur zu
Lessings, Goethes und Schillers Zeiten ohne diese erstaunlich feine Unter¬
scheidung ausgekommen? Nein, dieses seitens statt des Genetivs ist nichts
als der auf die höchste Spitze getriebene Mißbrauch eines an sich schon greu¬
lichen Modemortes, vor dem der Leser infolge unsrer Darlegung in Zukunft
hoffentlich einigen Abscheu empfinden wird.

Wie ist unsre Sprache greisenhaft geworden! Wenn man die Leitartikel
unsrer Zeitungen, politische wie volkswirtschaftliche, unsre neuen Gesetzentwürfe,
die Bekanntmachungen unsrer Behörden, die Satzungen unsrer Vereine und
Gesellschaften liest, so fragt man sich immer: Wie sollen die Menschen das nur
verstehen! Sie verstehen es auch gar uicht. Das Auge des Lesers fliegt über
die Zeilen hin, worin oft die einfachsten Gedanken, Forderungen, Bestimmungen
in einen Schwall von schleppenden, mit langgeschwünzten Wortungetümen voll¬
gepfropften und durch eingeschachtelte Attribute, Appositionen und Zwischen¬
sätze breitgezerrten Perioden eingewickelt sind (etwa wie Figura zeigt), er erhält
eine dunkle Ahnung davon, um was sichs handelt, aber klar wird ihm
nichts. Zu diesen: Wortschwall liefern aber die schwerfälligen neumodischen
Präpositionen eine" Hauptbeitrag. Die Schule sollte alles daran setzen,
in dem heranwachsenden Geschlecht wieder das Gefühl zu wecken für die
Kraft, die Fülle, die Vieldeutigkeit der echten alten Präpositionen, die unsrer
Sprache Leichtigkeit und Fluß gaben. Aber trägt nicht gerade die Schule beim
Übersetzen aus den fremden Sprachen, wo der Lehrer sich gar nicht genug
thun kann, um an die "Nüance," die ein oder ein u.<I in einem gewissen
Zusammenhange hat, hinanzukommen, vielleicht zur Züchtung jener Sprach-
nugetüme bei?

(Fvrtschnns, folgt)




Italienische Dichter

le Kenntnis der italienischen Litteratur, die in Deutschland vor
Zeiten um einzelnen Höfen und in den Kreisen der katholischen
Aristokratie ein unerläßliches Kennzeichen feinerer Bildung war,
aus der unsre Kunstdichter des siebzehnten Jahrhunderts und
wiederum die Romantiker einen Teil ihrer Vorstellungen und
Formen gewannen, ist in dem letzten halben Jahrhundert, in dem man doch
so vielen Anteil an der politischen Erhebung Italiens genommen hat, kaum


sucht worden! Der Besuch seitens des Kaisers — das ist nicht miß-
zuverstehen, da hat er besucht! O heilige Einfalt! Wie ist man nur zu
Lessings, Goethes und Schillers Zeiten ohne diese erstaunlich feine Unter¬
scheidung ausgekommen? Nein, dieses seitens statt des Genetivs ist nichts
als der auf die höchste Spitze getriebene Mißbrauch eines an sich schon greu¬
lichen Modemortes, vor dem der Leser infolge unsrer Darlegung in Zukunft
hoffentlich einigen Abscheu empfinden wird.

Wie ist unsre Sprache greisenhaft geworden! Wenn man die Leitartikel
unsrer Zeitungen, politische wie volkswirtschaftliche, unsre neuen Gesetzentwürfe,
die Bekanntmachungen unsrer Behörden, die Satzungen unsrer Vereine und
Gesellschaften liest, so fragt man sich immer: Wie sollen die Menschen das nur
verstehen! Sie verstehen es auch gar uicht. Das Auge des Lesers fliegt über
die Zeilen hin, worin oft die einfachsten Gedanken, Forderungen, Bestimmungen
in einen Schwall von schleppenden, mit langgeschwünzten Wortungetümen voll¬
gepfropften und durch eingeschachtelte Attribute, Appositionen und Zwischen¬
sätze breitgezerrten Perioden eingewickelt sind (etwa wie Figura zeigt), er erhält
eine dunkle Ahnung davon, um was sichs handelt, aber klar wird ihm
nichts. Zu diesen: Wortschwall liefern aber die schwerfälligen neumodischen
Präpositionen eine» Hauptbeitrag. Die Schule sollte alles daran setzen,
in dem heranwachsenden Geschlecht wieder das Gefühl zu wecken für die
Kraft, die Fülle, die Vieldeutigkeit der echten alten Präpositionen, die unsrer
Sprache Leichtigkeit und Fluß gaben. Aber trägt nicht gerade die Schule beim
Übersetzen aus den fremden Sprachen, wo der Lehrer sich gar nicht genug
thun kann, um an die „Nüance," die ein oder ein u.<I in einem gewissen
Zusammenhange hat, hinanzukommen, vielleicht zur Züchtung jener Sprach-
nugetüme bei?

(Fvrtschnns, folgt)




Italienische Dichter

le Kenntnis der italienischen Litteratur, die in Deutschland vor
Zeiten um einzelnen Höfen und in den Kreisen der katholischen
Aristokratie ein unerläßliches Kennzeichen feinerer Bildung war,
aus der unsre Kunstdichter des siebzehnten Jahrhunderts und
wiederum die Romantiker einen Teil ihrer Vorstellungen und
Formen gewannen, ist in dem letzten halben Jahrhundert, in dem man doch
so vielen Anteil an der politischen Erhebung Italiens genommen hat, kaum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/332>, abgerufen am 23.07.2024.