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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Französisch,: Abneigung gegen England

richtig verstanden und ehrlich ausgeführt werden, eine Epoche in der ganzen
Welt. Es ist ein mächtiger Augenblick, wo der deutsche Kaiser den Fehde¬
handschuh aufnimmt, den das noch ungelöste Rätsel der sozialen Frage der
lebenden Menschheit hingeworfen hat. Es ist ein kaiserlicher und jugendlicher
Mut, der es wagt, den Dingen ernst ins Gesicht zu sehen und Reformen an¬
zubahnen, um der Nation und der Welt den innern Frieden zu sichern, und
wo er schon erschüttert scheint, wiederzugeben. Es ist aber auch eine Probe
tiefer staatsmänuischer Weisheit, die wir in diesem ersten Schritte zu sehen
haben, und alles deutet darauf hin, daß das Wort zur Wahrheit werden wird:
"Wilhelm II. wird Kaiser und Kanzler zugleich sein."

Das deutsche Volk wird diese befreiende That seines jungen Kaisers nicht
vergessen, sie wird für alle Zeiten einen Edelstein in dem Glänze seiner Krone
bilden, den kein Sieg ans dem Schlachtfelde verdunkeln kann.




Französische Abneigung gegen England

uter Ludwig Philipp kam in der Welt der Zeitungsleser, die wir
nicht ohne Grund die "öffentliche Meinung," aber mit sehr wenig
Recht das "Volk" nennen, der Ausdruck "die Westmächte" auf, mit
dein man England und Frankreich bezeichnete, und mit dem man
später, unter Napoleon dem Dritten und Palmerston, vorzüglich
seit dem Krimkriege und während des polnischen Aufstandes von 1863, die Vor¬
stellung verband, diese Staaten seien gewissermaßen ein siamesisches Zwillingspaar
mit einunddemselben Blute und Leben, durch ähnliche Verfassungen und gleiche
politische Interessen untrennbar verbunden, denselben Feinden gegenübergestellt,
"zwei Seelen und ein Gedanke." Beobachter, die sich die Geschichte der beiden
Volker vergegenwärtigten und ihre eigentlichen Interessen prüften, mußten in
dieser Erscheinung etwas Unnatürliches, fast ein Wunder, jedenfalls eine Thatsache
erblicken, die für den Augenblick zwar nicht in Abrede zu stellen war, aber keinen
langen Bestand verhieß. Jahrhunderte hindurch hatten England und Frankreich
sich mit verhältnismäßig kurzen Unterbrechungen blutig befehdet. Von Wilhelm
dem Eroberer und der Schlacht bei Hastings abgesehen, in der französisch ge¬
wordene Normannen das Sachsenvvlk in England niederwarfen und sich zur
herrschenden Rasse auf dessen Boden erhoben, tauchen, wen" wir zurückblicken,


Französisch,: Abneigung gegen England

richtig verstanden und ehrlich ausgeführt werden, eine Epoche in der ganzen
Welt. Es ist ein mächtiger Augenblick, wo der deutsche Kaiser den Fehde¬
handschuh aufnimmt, den das noch ungelöste Rätsel der sozialen Frage der
lebenden Menschheit hingeworfen hat. Es ist ein kaiserlicher und jugendlicher
Mut, der es wagt, den Dingen ernst ins Gesicht zu sehen und Reformen an¬
zubahnen, um der Nation und der Welt den innern Frieden zu sichern, und
wo er schon erschüttert scheint, wiederzugeben. Es ist aber auch eine Probe
tiefer staatsmänuischer Weisheit, die wir in diesem ersten Schritte zu sehen
haben, und alles deutet darauf hin, daß das Wort zur Wahrheit werden wird:
„Wilhelm II. wird Kaiser und Kanzler zugleich sein."

Das deutsche Volk wird diese befreiende That seines jungen Kaisers nicht
vergessen, sie wird für alle Zeiten einen Edelstein in dem Glänze seiner Krone
bilden, den kein Sieg ans dem Schlachtfelde verdunkeln kann.




Französische Abneigung gegen England

uter Ludwig Philipp kam in der Welt der Zeitungsleser, die wir
nicht ohne Grund die „öffentliche Meinung," aber mit sehr wenig
Recht das „Volk" nennen, der Ausdruck „die Westmächte" auf, mit
dein man England und Frankreich bezeichnete, und mit dem man
später, unter Napoleon dem Dritten und Palmerston, vorzüglich
seit dem Krimkriege und während des polnischen Aufstandes von 1863, die Vor¬
stellung verband, diese Staaten seien gewissermaßen ein siamesisches Zwillingspaar
mit einunddemselben Blute und Leben, durch ähnliche Verfassungen und gleiche
politische Interessen untrennbar verbunden, denselben Feinden gegenübergestellt,
„zwei Seelen und ein Gedanke." Beobachter, die sich die Geschichte der beiden
Volker vergegenwärtigten und ihre eigentlichen Interessen prüften, mußten in
dieser Erscheinung etwas Unnatürliches, fast ein Wunder, jedenfalls eine Thatsache
erblicken, die für den Augenblick zwar nicht in Abrede zu stellen war, aber keinen
langen Bestand verhieß. Jahrhunderte hindurch hatten England und Frankreich
sich mit verhältnismäßig kurzen Unterbrechungen blutig befehdet. Von Wilhelm
dem Eroberer und der Schlacht bei Hastings abgesehen, in der französisch ge¬
wordene Normannen das Sachsenvvlk in England niederwarfen und sich zur
herrschenden Rasse auf dessen Boden erhoben, tauchen, wen» wir zurückblicken,


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[0310] Französisch,: Abneigung gegen England richtig verstanden und ehrlich ausgeführt werden, eine Epoche in der ganzen Welt. Es ist ein mächtiger Augenblick, wo der deutsche Kaiser den Fehde¬ handschuh aufnimmt, den das noch ungelöste Rätsel der sozialen Frage der lebenden Menschheit hingeworfen hat. Es ist ein kaiserlicher und jugendlicher Mut, der es wagt, den Dingen ernst ins Gesicht zu sehen und Reformen an¬ zubahnen, um der Nation und der Welt den innern Frieden zu sichern, und wo er schon erschüttert scheint, wiederzugeben. Es ist aber auch eine Probe tiefer staatsmänuischer Weisheit, die wir in diesem ersten Schritte zu sehen haben, und alles deutet darauf hin, daß das Wort zur Wahrheit werden wird: „Wilhelm II. wird Kaiser und Kanzler zugleich sein." Das deutsche Volk wird diese befreiende That seines jungen Kaisers nicht vergessen, sie wird für alle Zeiten einen Edelstein in dem Glänze seiner Krone bilden, den kein Sieg ans dem Schlachtfelde verdunkeln kann. Französische Abneigung gegen England uter Ludwig Philipp kam in der Welt der Zeitungsleser, die wir nicht ohne Grund die „öffentliche Meinung," aber mit sehr wenig Recht das „Volk" nennen, der Ausdruck „die Westmächte" auf, mit dein man England und Frankreich bezeichnete, und mit dem man später, unter Napoleon dem Dritten und Palmerston, vorzüglich seit dem Krimkriege und während des polnischen Aufstandes von 1863, die Vor¬ stellung verband, diese Staaten seien gewissermaßen ein siamesisches Zwillingspaar mit einunddemselben Blute und Leben, durch ähnliche Verfassungen und gleiche politische Interessen untrennbar verbunden, denselben Feinden gegenübergestellt, „zwei Seelen und ein Gedanke." Beobachter, die sich die Geschichte der beiden Volker vergegenwärtigten und ihre eigentlichen Interessen prüften, mußten in dieser Erscheinung etwas Unnatürliches, fast ein Wunder, jedenfalls eine Thatsache erblicken, die für den Augenblick zwar nicht in Abrede zu stellen war, aber keinen langen Bestand verhieß. Jahrhunderte hindurch hatten England und Frankreich sich mit verhältnismäßig kurzen Unterbrechungen blutig befehdet. Von Wilhelm dem Eroberer und der Schlacht bei Hastings abgesehen, in der französisch ge¬ wordene Normannen das Sachsenvvlk in England niederwarfen und sich zur herrschenden Rasse auf dessen Boden erhoben, tauchen, wen» wir zurückblicken,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/310>, abgerufen am 23.07.2024.