Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

sich unterordnet, im Reichstag allezeit stark zu sehen. Aber wir sind gegen¬
wärtig nicht ohne Furcht, daß die Partei infolge ihres Verhaltens gegen¬
über der verlangten Ausweisuugsvvllmacht möglicherweise eine Einbuße erleiden
wird. Denn diese ihre Stellung wird bewirken, daß das Kartell in manchem
Wahlbezirke versagen wird; fehlt es dann von feiten des nativnalliberalen
Kandidaten, dem jetzt die Hände gebunden sind, an der entschiedenen Zusage
für ein Zusammenstehen mit der Regierung, so ist es zweifellos, daß viele zur
Mittelpartei gehörende Wähler mit den Konservativen gehen werden. Man
wird wohl versuchen, die Frage des Sozialistengesetzes in ihren Einzelnheiten
zu umgehn, und auch die Regierung scheint das zu wünschen, wenn man das
Stillschweigen der Thronrede über das Scheitern des Sozialistengesetzes so
auslegen darf; es wird aber kaum möglich sein, die Wahlbewegung auf dieser
Linie festzuhalten. Das ist der hauptsächlichste Grund, warum wir die Ab¬
stimmung der Nationalliberalen über H 24 bedauern. Wir fürchten, die Partei
wird bald die Erfahrung machen, die Goethe mit den Worten ausdrückt:


Es ließe sich alles vertrcfflich schlichten,
Könnte man die Sachen zweimal verrichten.

Möge unsre Befürchtung nicht eintreffen!




Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen
(Schluß)

or einiger Zeit erschien in den Grenzboten ein sehr beachtens¬
werter und auch vielfach beachteter Aufsatz über die Wirkungen
des Paßzwanges in Elsaß-Lothringen. Dort heißt es: "Ob es
sich nicht empfehlen möchte, in den französischen Sprachgebieten
des Landes so zu verfahren wie Preußen in seinen polnischen
Provinzen, d. h. Ländereien anzukaufen und tüchtige deutsche Bauernkvlonien
6u gründen, das ist eine Frage, die glücklicherweise anch die leitenden Kreise
neuerdings zu beschäftigen beginnt. Der Rheinländer, der Westfale und der
süddeutsche würden wahrscheinlich viel eher nach Lothringen als nach Posen
und Westpreußen auswandern. Von der jetzigen deutschen Einwanderung, die
I^h im französischen Sprachgebiete zerstreut, geht erfnhrungsgeinäß viel verloren,


Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

sich unterordnet, im Reichstag allezeit stark zu sehen. Aber wir sind gegen¬
wärtig nicht ohne Furcht, daß die Partei infolge ihres Verhaltens gegen¬
über der verlangten Ausweisuugsvvllmacht möglicherweise eine Einbuße erleiden
wird. Denn diese ihre Stellung wird bewirken, daß das Kartell in manchem
Wahlbezirke versagen wird; fehlt es dann von feiten des nativnalliberalen
Kandidaten, dem jetzt die Hände gebunden sind, an der entschiedenen Zusage
für ein Zusammenstehen mit der Regierung, so ist es zweifellos, daß viele zur
Mittelpartei gehörende Wähler mit den Konservativen gehen werden. Man
wird wohl versuchen, die Frage des Sozialistengesetzes in ihren Einzelnheiten
zu umgehn, und auch die Regierung scheint das zu wünschen, wenn man das
Stillschweigen der Thronrede über das Scheitern des Sozialistengesetzes so
auslegen darf; es wird aber kaum möglich sein, die Wahlbewegung auf dieser
Linie festzuhalten. Das ist der hauptsächlichste Grund, warum wir die Ab¬
stimmung der Nationalliberalen über H 24 bedauern. Wir fürchten, die Partei
wird bald die Erfahrung machen, die Goethe mit den Worten ausdrückt:


Es ließe sich alles vertrcfflich schlichten,
Könnte man die Sachen zweimal verrichten.

Möge unsre Befürchtung nicht eintreffen!




Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen
(Schluß)

or einiger Zeit erschien in den Grenzboten ein sehr beachtens¬
werter und auch vielfach beachteter Aufsatz über die Wirkungen
des Paßzwanges in Elsaß-Lothringen. Dort heißt es: „Ob es
sich nicht empfehlen möchte, in den französischen Sprachgebieten
des Landes so zu verfahren wie Preußen in seinen polnischen
Provinzen, d. h. Ländereien anzukaufen und tüchtige deutsche Bauernkvlonien
6u gründen, das ist eine Frage, die glücklicherweise anch die leitenden Kreise
neuerdings zu beschäftigen beginnt. Der Rheinländer, der Westfale und der
süddeutsche würden wahrscheinlich viel eher nach Lothringen als nach Posen
und Westpreußen auswandern. Von der jetzigen deutschen Einwanderung, die
I^h im französischen Sprachgebiete zerstreut, geht erfnhrungsgeinäß viel verloren,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0261" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206906"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_717" prev="#ID_716"> sich unterordnet, im Reichstag allezeit stark zu sehen. Aber wir sind gegen¬<lb/>
wärtig nicht ohne Furcht, daß die Partei infolge ihres Verhaltens gegen¬<lb/>
über der verlangten Ausweisuugsvvllmacht möglicherweise eine Einbuße erleiden<lb/>
wird. Denn diese ihre Stellung wird bewirken, daß das Kartell in manchem<lb/>
Wahlbezirke versagen wird; fehlt es dann von feiten des nativnalliberalen<lb/>
Kandidaten, dem jetzt die Hände gebunden sind, an der entschiedenen Zusage<lb/>
für ein Zusammenstehen mit der Regierung, so ist es zweifellos, daß viele zur<lb/>
Mittelpartei gehörende Wähler mit den Konservativen gehen werden. Man<lb/>
wird wohl versuchen, die Frage des Sozialistengesetzes in ihren Einzelnheiten<lb/>
zu umgehn, und auch die Regierung scheint das zu wünschen, wenn man das<lb/>
Stillschweigen der Thronrede über das Scheitern des Sozialistengesetzes so<lb/>
auslegen darf; es wird aber kaum möglich sein, die Wahlbewegung auf dieser<lb/>
Linie festzuhalten. Das ist der hauptsächlichste Grund, warum wir die Ab¬<lb/>
stimmung der Nationalliberalen über H 24 bedauern. Wir fürchten, die Partei<lb/>
wird bald die Erfahrung machen, die Goethe mit den Worten ausdrückt:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_16" type="poem">
              <l> Es ließe sich alles vertrcfflich schlichten,<lb/>
Könnte man die Sachen zweimal verrichten.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_718"> Möge unsre Befürchtung nicht eintreffen!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen<lb/>
(Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_719" next="#ID_720"> or einiger Zeit erschien in den Grenzboten ein sehr beachtens¬<lb/>
werter und auch vielfach beachteter Aufsatz über die Wirkungen<lb/>
des Paßzwanges in Elsaß-Lothringen. Dort heißt es: &#x201E;Ob es<lb/>
sich nicht empfehlen möchte, in den französischen Sprachgebieten<lb/>
des Landes so zu verfahren wie Preußen in seinen polnischen<lb/>
Provinzen, d. h. Ländereien anzukaufen und tüchtige deutsche Bauernkvlonien<lb/>
6u gründen, das ist eine Frage, die glücklicherweise anch die leitenden Kreise<lb/>
neuerdings zu beschäftigen beginnt. Der Rheinländer, der Westfale und der<lb/>
süddeutsche würden wahrscheinlich viel eher nach Lothringen als nach Posen<lb/>
und Westpreußen auswandern. Von der jetzigen deutschen Einwanderung, die<lb/>
I^h im französischen Sprachgebiete zerstreut, geht erfnhrungsgeinäß viel verloren,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0261] Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen sich unterordnet, im Reichstag allezeit stark zu sehen. Aber wir sind gegen¬ wärtig nicht ohne Furcht, daß die Partei infolge ihres Verhaltens gegen¬ über der verlangten Ausweisuugsvvllmacht möglicherweise eine Einbuße erleiden wird. Denn diese ihre Stellung wird bewirken, daß das Kartell in manchem Wahlbezirke versagen wird; fehlt es dann von feiten des nativnalliberalen Kandidaten, dem jetzt die Hände gebunden sind, an der entschiedenen Zusage für ein Zusammenstehen mit der Regierung, so ist es zweifellos, daß viele zur Mittelpartei gehörende Wähler mit den Konservativen gehen werden. Man wird wohl versuchen, die Frage des Sozialistengesetzes in ihren Einzelnheiten zu umgehn, und auch die Regierung scheint das zu wünschen, wenn man das Stillschweigen der Thronrede über das Scheitern des Sozialistengesetzes so auslegen darf; es wird aber kaum möglich sein, die Wahlbewegung auf dieser Linie festzuhalten. Das ist der hauptsächlichste Grund, warum wir die Ab¬ stimmung der Nationalliberalen über H 24 bedauern. Wir fürchten, die Partei wird bald die Erfahrung machen, die Goethe mit den Worten ausdrückt: Es ließe sich alles vertrcfflich schlichten, Könnte man die Sachen zweimal verrichten. Möge unsre Befürchtung nicht eintreffen! Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen (Schluß) or einiger Zeit erschien in den Grenzboten ein sehr beachtens¬ werter und auch vielfach beachteter Aufsatz über die Wirkungen des Paßzwanges in Elsaß-Lothringen. Dort heißt es: „Ob es sich nicht empfehlen möchte, in den französischen Sprachgebieten des Landes so zu verfahren wie Preußen in seinen polnischen Provinzen, d. h. Ländereien anzukaufen und tüchtige deutsche Bauernkvlonien 6u gründen, das ist eine Frage, die glücklicherweise anch die leitenden Kreise neuerdings zu beschäftigen beginnt. Der Rheinländer, der Westfale und der süddeutsche würden wahrscheinlich viel eher nach Lothringen als nach Posen und Westpreußen auswandern. Von der jetzigen deutschen Einwanderung, die I^h im französischen Sprachgebiete zerstreut, geht erfnhrungsgeinäß viel verloren,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/261
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/261>, abgerufen am 23.07.2024.