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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

Hypnotismus zusammenfaßt, glaubt und sich davon durch eigne Experimente über¬
zeugt hat. tuller diesen Umständen wird uns Laien wohl auch nichts andres iibrig
bleiben als dran zu glauben. Dann aber müssen wir den Begriff des Aberglaubens
ändern und bei sehr vielen Wundergeschichten zugestehen, das; sie möglicherweise aus
Thatsache" beruhen. Kant würde über dieses Ergebnis der modernen Forschung
unwillig den Kopf schütteln. Er erklärte bekanntlich! Ich glaube an kein Gespenst-,
denn glaube ich an eins, so muß ich an alle glauben! Ähnlich würde er sich wohl
den hypnotischen Heilungen gegenüber Verhalten, die sich der äußern Erscheinung
nach von Wunderheilungen nicht unterscheiden, wenn anch unsre Physiologen von
dein, was dabei vorgeht, einen ganz andern Begriff haben als die Wnnderglänbigen.


Blicke in vergessene Winkel. Geschichts-, Kultursindien und Charakterbilder. Ein
Beitrag zur Volkskunde von Max Ebeling. Erster und zweiter Band. Leipzig, Geerg
Bohne, 1889

Der hier genieinte vergessene Winkel ist zunächst der Drömliug, der Teil
der Altmark, der von der Obra durchflossen wird, bei Öbisfelde. Der Verfasser
ist dort Pfarrer, nud zwar schon lange, sodaß er alles genau kennt und für alles
Interesse, hat. Seine eignen Beobachtungen und wenige altere Schriften (1737,
17W) haben ihn, Material und Urias; geboten, eine Studie nach der Art Richis
zu veröffentlichen. Da er ein wohlunterrichteter^ anch humoristischer Mann ist, von
künstlerischer Begabung, so ist sein Werk, obwohl die Gegend keine besondern Reize
hat, durchaus lesenswert. Auch sein Streben, für die sittliche Hebung der Bauern
einzutreten, ziert das Buch, das sich bei aller Anerkennung des guten Alten doch
auch dem neuen Elemente nicht verschließt.

Der erste Band ist für weitere Kreise etwa von Friedrich dein Großen und
der Entsumpfung des Drömlings an von größerer Anziehung. Der zweite Band ist
als mehr kulturgeschichtlich von Anfang an wichtig. Das alte niedersächsische
Bauernhaus thut seineu Mund auf, selbst Kleiderspinde fangen an zu reden aus
alten und neuern Zeiten. Der Verfasser verfolgt das ganze Bauernleben, seine
Sitten, Feste, anch seinen Aberglauben. Noch ans dem Jahre 1869 weis; er von
einem "Notfeiler" zu erzählen. Selbst die Hebung des Sinnes für Kunst auf dem
Lande geht ihm durch den Kopf. Die sprachlichen Eigentümlichkeiten der ver^
schiednen lokalen Dialekte, die gesammelt sind, werden vielleicht für Kenner des
Plattdeutschen noch etwas abwerfe". Große Studien hat der Verfasser hierin nicht
gemacht. Er erklärt das Wort lörsch durch einen Hinweis ans "inn/, freilich mit
einem Fragezeichen, es kommt aber von küren (Wahlen) und bedenket wählerisch,
wie eS im Fnlichschen und an der westfälischen Grenze häufig vorkommt.






Für die Redaktion verautwerMch: Johannes Grunvw in Leipzig
Verlag vo" Fr. Wilh. Grünem in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
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Hypnotismus zusammenfaßt, glaubt und sich davon durch eigne Experimente über¬
zeugt hat. tuller diesen Umständen wird uns Laien wohl auch nichts andres iibrig
bleiben als dran zu glauben. Dann aber müssen wir den Begriff des Aberglaubens
ändern und bei sehr vielen Wundergeschichten zugestehen, das; sie möglicherweise aus
Thatsache» beruhen. Kant würde über dieses Ergebnis der modernen Forschung
unwillig den Kopf schütteln. Er erklärte bekanntlich! Ich glaube an kein Gespenst-,
denn glaube ich an eins, so muß ich an alle glauben! Ähnlich würde er sich wohl
den hypnotischen Heilungen gegenüber Verhalten, die sich der äußern Erscheinung
nach von Wunderheilungen nicht unterscheiden, wenn anch unsre Physiologen von
dein, was dabei vorgeht, einen ganz andern Begriff haben als die Wnnderglänbigen.


Blicke in vergessene Winkel. Geschichts-, Kultursindien und Charakterbilder. Ein
Beitrag zur Volkskunde von Max Ebeling. Erster und zweiter Band. Leipzig, Geerg
Bohne, 1889

Der hier genieinte vergessene Winkel ist zunächst der Drömliug, der Teil
der Altmark, der von der Obra durchflossen wird, bei Öbisfelde. Der Verfasser
ist dort Pfarrer, nud zwar schon lange, sodaß er alles genau kennt und für alles
Interesse, hat. Seine eignen Beobachtungen und wenige altere Schriften (1737,
17W) haben ihn, Material und Urias; geboten, eine Studie nach der Art Richis
zu veröffentlichen. Da er ein wohlunterrichteter^ anch humoristischer Mann ist, von
künstlerischer Begabung, so ist sein Werk, obwohl die Gegend keine besondern Reize
hat, durchaus lesenswert. Auch sein Streben, für die sittliche Hebung der Bauern
einzutreten, ziert das Buch, das sich bei aller Anerkennung des guten Alten doch
auch dem neuen Elemente nicht verschließt.

Der erste Band ist für weitere Kreise etwa von Friedrich dein Großen und
der Entsumpfung des Drömlings an von größerer Anziehung. Der zweite Band ist
als mehr kulturgeschichtlich von Anfang an wichtig. Das alte niedersächsische
Bauernhaus thut seineu Mund auf, selbst Kleiderspinde fangen an zu reden aus
alten und neuern Zeiten. Der Verfasser verfolgt das ganze Bauernleben, seine
Sitten, Feste, anch seinen Aberglauben. Noch ans dem Jahre 1869 weis; er von
einem „Notfeiler" zu erzählen. Selbst die Hebung des Sinnes für Kunst auf dem
Lande geht ihm durch den Kopf. Die sprachlichen Eigentümlichkeiten der ver^
schiednen lokalen Dialekte, die gesammelt sind, werden vielleicht für Kenner des
Plattdeutschen noch etwas abwerfe». Große Studien hat der Verfasser hierin nicht
gemacht. Er erklärt das Wort lörsch durch einen Hinweis ans «inn/, freilich mit
einem Fragezeichen, es kommt aber von küren (Wahlen) und bedenket wählerisch,
wie eS im Fnlichschen und an der westfälischen Grenze häufig vorkommt.






Für die Redaktion verautwerMch: Johannes Grunvw in Leipzig
Verlag vo» Fr. Wilh. Grünem in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0112] Litteratur Hypnotismus zusammenfaßt, glaubt und sich davon durch eigne Experimente über¬ zeugt hat. tuller diesen Umständen wird uns Laien wohl auch nichts andres iibrig bleiben als dran zu glauben. Dann aber müssen wir den Begriff des Aberglaubens ändern und bei sehr vielen Wundergeschichten zugestehen, das; sie möglicherweise aus Thatsache» beruhen. Kant würde über dieses Ergebnis der modernen Forschung unwillig den Kopf schütteln. Er erklärte bekanntlich! Ich glaube an kein Gespenst-, denn glaube ich an eins, so muß ich an alle glauben! Ähnlich würde er sich wohl den hypnotischen Heilungen gegenüber Verhalten, die sich der äußern Erscheinung nach von Wunderheilungen nicht unterscheiden, wenn anch unsre Physiologen von dein, was dabei vorgeht, einen ganz andern Begriff haben als die Wnnderglänbigen. Blicke in vergessene Winkel. Geschichts-, Kultursindien und Charakterbilder. Ein Beitrag zur Volkskunde von Max Ebeling. Erster und zweiter Band. Leipzig, Geerg Bohne, 1889 Der hier genieinte vergessene Winkel ist zunächst der Drömliug, der Teil der Altmark, der von der Obra durchflossen wird, bei Öbisfelde. Der Verfasser ist dort Pfarrer, nud zwar schon lange, sodaß er alles genau kennt und für alles Interesse, hat. Seine eignen Beobachtungen und wenige altere Schriften (1737, 17W) haben ihn, Material und Urias; geboten, eine Studie nach der Art Richis zu veröffentlichen. Da er ein wohlunterrichteter^ anch humoristischer Mann ist, von künstlerischer Begabung, so ist sein Werk, obwohl die Gegend keine besondern Reize hat, durchaus lesenswert. Auch sein Streben, für die sittliche Hebung der Bauern einzutreten, ziert das Buch, das sich bei aller Anerkennung des guten Alten doch auch dem neuen Elemente nicht verschließt. Der erste Band ist für weitere Kreise etwa von Friedrich dein Großen und der Entsumpfung des Drömlings an von größerer Anziehung. Der zweite Band ist als mehr kulturgeschichtlich von Anfang an wichtig. Das alte niedersächsische Bauernhaus thut seineu Mund auf, selbst Kleiderspinde fangen an zu reden aus alten und neuern Zeiten. Der Verfasser verfolgt das ganze Bauernleben, seine Sitten, Feste, anch seinen Aberglauben. Noch ans dem Jahre 1869 weis; er von einem „Notfeiler" zu erzählen. Selbst die Hebung des Sinnes für Kunst auf dem Lande geht ihm durch den Kopf. Die sprachlichen Eigentümlichkeiten der ver^ schiednen lokalen Dialekte, die gesammelt sind, werden vielleicht für Kenner des Plattdeutschen noch etwas abwerfe». Große Studien hat der Verfasser hierin nicht gemacht. Er erklärt das Wort lörsch durch einen Hinweis ans «inn/, freilich mit einem Fragezeichen, es kommt aber von küren (Wahlen) und bedenket wählerisch, wie eS im Fnlichschen und an der westfälischen Grenze häufig vorkommt. Für die Redaktion verautwerMch: Johannes Grunvw in Leipzig Verlag vo» Fr. Wilh. Grünem in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/112>, abgerufen am 23.07.2024.