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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die Wahlen in Frankreich

onntag den 22. September haben in Frankreich die Wahlen statt¬
gefunden, denen die dortigen Parteien und viele von unsern
Zeitungspolitikern erwartungsvoll entgegengesehen hatten. Das
französische Volk sollte sich, wenn man diesen Kreisen glauben
durfte, in einer Weise wie noch nie seit Errichtung der Republik
über seine Stellung zu dieser Staatsform aussprechen, es sollte zunächst "über
die Männer des 16. Mui seinen Wahrspruch fällen," es sollte "seine zukünftigen
Geschicke entscheide!?", und was dergleichen Redensarten mehr waren. Unser
Gedächtnis, das die Erinnerung an wichtigere Wahlschlachten des westlichen
Nachbarvolkes bewahrt, unsre Kenntnis des Volksgeistes überhaupt und unsre
Anschauung vou der gegenwärtigen Stimmung der Massen in Frankreich ge¬
statteten uns keine so weit reichenden Erwartungen von der bevorstehenden Ab¬
stimmung, wir sahen keine entscheidende Schlacht herankommen, weder einen
großen Sieg der herrschenden, noch einen Sieg der nach der Herrschaft be¬
gehrenden Parteien; denn wir schützten beide Gruppen, von denen die eine die
Freunde des Bestehenden, die andre die Gegner zunächst der jetzigen republi¬
kanischen Verfassung, dann die der Republik überhaupt umfaßte, für ungefähr
gleichstark, indem der letztern Seite zwar die Lust des französischen Volks am
Wechsel, verstärkt durch deu Blick auf die geringe Befähigung der herrschenden
Partei, fruchtbar zu regieren, ans deren grobe Mißgriffe und Unterlassungs¬
sünden zugute kam, der andern Seite aber zuvörderst ihre Eigenschaft als
do-lU xosMöirtös, als Inhaberin der Regierungsgewalt und damit der Macht,
die Wahlmaschinerie durch ihre Beamten in ihrem Interesse zu lenken, dann
der neben jener Wechselsucht bestehende, an sich schon nicht seltne und durch
das Gelingen der Ausstellung weiter verbreitete Wunsch, es "löge beim Alten


Grenzboten IV 1889 1


Die Wahlen in Frankreich

onntag den 22. September haben in Frankreich die Wahlen statt¬
gefunden, denen die dortigen Parteien und viele von unsern
Zeitungspolitikern erwartungsvoll entgegengesehen hatten. Das
französische Volk sollte sich, wenn man diesen Kreisen glauben
durfte, in einer Weise wie noch nie seit Errichtung der Republik
über seine Stellung zu dieser Staatsform aussprechen, es sollte zunächst „über
die Männer des 16. Mui seinen Wahrspruch fällen," es sollte „seine zukünftigen
Geschicke entscheide!?", und was dergleichen Redensarten mehr waren. Unser
Gedächtnis, das die Erinnerung an wichtigere Wahlschlachten des westlichen
Nachbarvolkes bewahrt, unsre Kenntnis des Volksgeistes überhaupt und unsre
Anschauung vou der gegenwärtigen Stimmung der Massen in Frankreich ge¬
statteten uns keine so weit reichenden Erwartungen von der bevorstehenden Ab¬
stimmung, wir sahen keine entscheidende Schlacht herankommen, weder einen
großen Sieg der herrschenden, noch einen Sieg der nach der Herrschaft be¬
gehrenden Parteien; denn wir schützten beide Gruppen, von denen die eine die
Freunde des Bestehenden, die andre die Gegner zunächst der jetzigen republi¬
kanischen Verfassung, dann die der Republik überhaupt umfaßte, für ungefähr
gleichstark, indem der letztern Seite zwar die Lust des französischen Volks am
Wechsel, verstärkt durch deu Blick auf die geringe Befähigung der herrschenden
Partei, fruchtbar zu regieren, ans deren grobe Mißgriffe und Unterlassungs¬
sünden zugute kam, der andern Seite aber zuvörderst ihre Eigenschaft als
do-lU xosMöirtös, als Inhaberin der Regierungsgewalt und damit der Macht,
die Wahlmaschinerie durch ihre Beamten in ihrem Interesse zu lenken, dann
der neben jener Wechselsucht bestehende, an sich schon nicht seltne und durch
das Gelingen der Ausstellung weiter verbreitete Wunsch, es „löge beim Alten


Grenzboten IV 1889 1
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[0009] [Abbildung] Die Wahlen in Frankreich onntag den 22. September haben in Frankreich die Wahlen statt¬ gefunden, denen die dortigen Parteien und viele von unsern Zeitungspolitikern erwartungsvoll entgegengesehen hatten. Das französische Volk sollte sich, wenn man diesen Kreisen glauben durfte, in einer Weise wie noch nie seit Errichtung der Republik über seine Stellung zu dieser Staatsform aussprechen, es sollte zunächst „über die Männer des 16. Mui seinen Wahrspruch fällen," es sollte „seine zukünftigen Geschicke entscheide!?", und was dergleichen Redensarten mehr waren. Unser Gedächtnis, das die Erinnerung an wichtigere Wahlschlachten des westlichen Nachbarvolkes bewahrt, unsre Kenntnis des Volksgeistes überhaupt und unsre Anschauung vou der gegenwärtigen Stimmung der Massen in Frankreich ge¬ statteten uns keine so weit reichenden Erwartungen von der bevorstehenden Ab¬ stimmung, wir sahen keine entscheidende Schlacht herankommen, weder einen großen Sieg der herrschenden, noch einen Sieg der nach der Herrschaft be¬ gehrenden Parteien; denn wir schützten beide Gruppen, von denen die eine die Freunde des Bestehenden, die andre die Gegner zunächst der jetzigen republi¬ kanischen Verfassung, dann die der Republik überhaupt umfaßte, für ungefähr gleichstark, indem der letztern Seite zwar die Lust des französischen Volks am Wechsel, verstärkt durch deu Blick auf die geringe Befähigung der herrschenden Partei, fruchtbar zu regieren, ans deren grobe Mißgriffe und Unterlassungs¬ sünden zugute kam, der andern Seite aber zuvörderst ihre Eigenschaft als do-lU xosMöirtös, als Inhaberin der Regierungsgewalt und damit der Macht, die Wahlmaschinerie durch ihre Beamten in ihrem Interesse zu lenken, dann der neben jener Wechselsucht bestehende, an sich schon nicht seltne und durch das Gelingen der Ausstellung weiter verbreitete Wunsch, es „löge beim Alten Grenzboten IV 1889 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/9>, abgerufen am 22.07.2024.