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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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erkenntnisse und an eine Beschwerdensnmme voll mehr als 5)00 Thlr. gebunden.
Beim Reichsgericht ist dagegen nur ein der frühern Nichtigkeitsbeschwerde nach¬
gebildetes Rechtsmittel gegeben, das man sonderbarerweise "Revision" genannt
hat. Dieses ist aber an eine Beschwerdensummc von mehr als 1500 Mark
gebunden und überdies noch auf einen bestimmten Kreis von Rechtsfragen
beschränkt. Man sieht hieraus, daß die dritte Instanz im Vergleich mit der
des preußischen Rechtes eine sehr wesentliche Beschränkung erfahren hat. Aber
noch eine ganz andre Beschränkung hat sich in der Wirksamkeit der höchsten
Instanz nach dem neuen Verfahren ausgebildet. Sie besteht darin, daß das
Reichsgericht in den wenigsten Fällen, in denen es die Vorentscheidung mi߬
billigt, selbst die endliche Entscheidung giebt, vielmehr meistens die Sache um
die Vorinstanz zur weiter" Entscheidung zurückschickt. Jeder Sachkundige weiß,
daß dadurch nicht allein die Sache verschleppt, sondern auch durch die Gefahr,
daß die Vvrinstanz doch wieder aus andern Gründen ebenso wie früher ent¬
scheidet, der Wert der höchstinstanzlichen Entscheidung sehr problematisch wird.


2

Die Beschränkungen, denen man die Thätigkeit der Gerichte unterworfen hat,
haben uun allerdings dahin geführt, daß die Zahl der Richter sowohl als der
Gerichtsbeamten erheblich verringert werden konnte, worauf die Ministerial-
berichte mit Stolz hinweisen. Die Zahl der Richter erster Instanz war 1387
im Vergleich mit 1879 von 3817 auf Zetkin, also um 4,0)Z Prozent, die Zahl
der Richter zweiter Instanz von 43.'! auf 258, also sogar um 34 Prozent
heruntergegangen.")

Noch größere Ersparnisse glaubte man um den Gerichtsbeamten erzielen
zu können. Man verminderte gleich anfangs die Bureau-, lassen- und Nech-
nnngsbeamten von 6864 auf 4475,, die Kanzleibeamten von 729 auf 525, die
llnterbeamten (Gerichtsdiener und Gerichtsvollzieher) von 4761 auf 3973.
Aber diese Minderung hat sich nicht als nachhaltig erwiesen. Sie hing zu¬
sammen mit der bereits erwähnten Trennung der Gerichtskostenverlvaltnng von
den Gerichten. In-dem Bericht von 1882 wurde gesagt, dieses System habe
allerdings in der ersten Zeit Schwierigkeiten bereitet, mich Unzuträglichkeiten
zur Folge gehabt. Jetzt seien diese überwunden, und man dürfe hoffen, daß
die lieue Einrichtung sich allseitig bewähren werde. Der Bericht von 1887
dagegen meldet, eine tiefeinschneidende Änderung habe sich seit dem I.April 1885
durch die Wiedereinrichtung der Gerichtskassen vollzogen. Je länger die neue
Einrichtung !u Übung gewesen, desto unwiderleglicher habe sich gezeigt, daß



*) Bei alleil Vergleichungen der Zahlen von 1379 und 1387 müßte streng genommen
berücksichtigt werden, basi auch die Bevölkerung während der Zwischenzeit sich um etwa S Pro¬
zent vermehrt hat. Der Einfachheit halber ist aber hier und später auf diesen Unterschied
keine Rücksicht genommen.

erkenntnisse und an eine Beschwerdensnmme voll mehr als 5)00 Thlr. gebunden.
Beim Reichsgericht ist dagegen nur ein der frühern Nichtigkeitsbeschwerde nach¬
gebildetes Rechtsmittel gegeben, das man sonderbarerweise „Revision" genannt
hat. Dieses ist aber an eine Beschwerdensummc von mehr als 1500 Mark
gebunden und überdies noch auf einen bestimmten Kreis von Rechtsfragen
beschränkt. Man sieht hieraus, daß die dritte Instanz im Vergleich mit der
des preußischen Rechtes eine sehr wesentliche Beschränkung erfahren hat. Aber
noch eine ganz andre Beschränkung hat sich in der Wirksamkeit der höchsten
Instanz nach dem neuen Verfahren ausgebildet. Sie besteht darin, daß das
Reichsgericht in den wenigsten Fällen, in denen es die Vorentscheidung mi߬
billigt, selbst die endliche Entscheidung giebt, vielmehr meistens die Sache um
die Vorinstanz zur weiter» Entscheidung zurückschickt. Jeder Sachkundige weiß,
daß dadurch nicht allein die Sache verschleppt, sondern auch durch die Gefahr,
daß die Vvrinstanz doch wieder aus andern Gründen ebenso wie früher ent¬
scheidet, der Wert der höchstinstanzlichen Entscheidung sehr problematisch wird.


2

Die Beschränkungen, denen man die Thätigkeit der Gerichte unterworfen hat,
haben uun allerdings dahin geführt, daß die Zahl der Richter sowohl als der
Gerichtsbeamten erheblich verringert werden konnte, worauf die Ministerial-
berichte mit Stolz hinweisen. Die Zahl der Richter erster Instanz war 1387
im Vergleich mit 1879 von 3817 auf Zetkin, also um 4,0)Z Prozent, die Zahl
der Richter zweiter Instanz von 43.'! auf 258, also sogar um 34 Prozent
heruntergegangen.")

Noch größere Ersparnisse glaubte man um den Gerichtsbeamten erzielen
zu können. Man verminderte gleich anfangs die Bureau-, lassen- und Nech-
nnngsbeamten von 6864 auf 4475,, die Kanzleibeamten von 729 auf 525, die
llnterbeamten (Gerichtsdiener und Gerichtsvollzieher) von 4761 auf 3973.
Aber diese Minderung hat sich nicht als nachhaltig erwiesen. Sie hing zu¬
sammen mit der bereits erwähnten Trennung der Gerichtskostenverlvaltnng von
den Gerichten. In-dem Bericht von 1882 wurde gesagt, dieses System habe
allerdings in der ersten Zeit Schwierigkeiten bereitet, mich Unzuträglichkeiten
zur Folge gehabt. Jetzt seien diese überwunden, und man dürfe hoffen, daß
die lieue Einrichtung sich allseitig bewähren werde. Der Bericht von 1887
dagegen meldet, eine tiefeinschneidende Änderung habe sich seit dem I.April 1885
durch die Wiedereinrichtung der Gerichtskassen vollzogen. Je länger die neue
Einrichtung !u Übung gewesen, desto unwiderleglicher habe sich gezeigt, daß



*) Bei alleil Vergleichungen der Zahlen von 1379 und 1387 müßte streng genommen
berücksichtigt werden, basi auch die Bevölkerung während der Zwischenzeit sich um etwa S Pro¬
zent vermehrt hat. Der Einfachheit halber ist aber hier und später auf diesen Unterschied
keine Rücksicht genommen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/86>, abgerufen am 23.06.2024.