Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Instizorganisation von in ministerieller Beleuchtung
1

Der Hauptcharakterzug der Justizorgauisation von 1879, wie sie uns i"
den erstattete" Berichten 'anschaulich vor Augen tritt, lag in dem Bestrebe",
die Thätigkeit lind die Wirksamkeit des Richters so klein wie möglich zu mache".
Man beschränkte zunächst seine Thätigkeit durch Entziehung einer Anzahl von
Geschäften, für die man bisher wegen ihres engen Zusammenhanges mit der
Rechtsprechung den Richter als das naturgemäß berufene Organ betrachtet hatte.
Auf dein Gebiet der Strafrechtspflege wurde die Strafvollstreckung, die damit
in Verbindung stehende Berichterstattung in Begnadigungssachen, auch die
Gefänguisverwnltuug bei den Landgerichten den Gerichten entzogen und den
Staatsanwälten übertragen. Im Zivilprozeß wurde die Prvzeßlcitung und
die Vollziehnugsiustanz den Gerichten entzogen und für Sache der Parteien
erklärt, denen dafür der Gerichtsvollzieher zur Dienstleistung gestellt wurde.
Selbst der Gerichtsschreiber wurde ueben dein Richter für gewisse Geschäfte zu
einer selbständigen Behörde erhoben. Auch die Kostenverwaltung sollte nicht
mehr den Gerichten verbleiben; sie wurde den Finanzbehvrden übertragen. Der
Richter sollte, soweit möglich, nur noch ein Spruchcmtvmat fein, der, sobald
mau ein Plaidoher hineinwirft, sofort ein Urteil von sich giebt. Das nannte
man: den Richter der Reinheit seines Berufs wiedergeben.

Aber auch soweit man dem Richter seinen Beruf lassen mußte, suchte man
seine Wirksamkeit möglichst zu beschränken. Auf dem. Gebiete der Strafrechtspflege
wurde in allen laudgerichtlicheu Sachen die Berufung abgeschafft und dadurch die
Rechtsverteidiguug in den wichtigsten Fragen auf eine Instanz beschränkt. In
der Zivilrechtspslege erreichte man den gedachten Zweck durch vielfache Er¬
schwerungen des Rechtswegs. Es wurden möglichst große Gerichtsbezirke ge¬
macht und dadurch schon für viele Staatsangehörige das Angeben des Gerichtes
erschwert. Die dritte Instanz erhielt eine weit enger begrenzte Wirksamkeit.
Es wurde in großem Umfange der Anwaltszwang eingeführt. Dem Prozeß
wurden Einrichtungen gegeben, die die Rechtsuchenden mit weit größern Ge
fahren umgaben. Und noch ein weiteres Mittel hatte Justizminister Leonhardt
in dieser Richtung geplant, ein Mittel, das, wenn es zur Ausführung gekommen
wäre, der Justiz völlig zum Verderben gereicht hätte: auch in Zivilsache"
"sollte die Berufung abgeschafft werden. Dieser Plan gelang jedoch nicht. Er
scheiterte an dem gefunden Sinn und dem Wohlwollen der mittelstaatlichen
Minister. Dagegen kam noch nach Schluß der Organisation ein tiefcingreifendes
Mittel für die Erschwerung des Rechtsweges hinzu: die Belastung des Prozesses
mit übermäsugen Kosten.

Wir Wollen die eiuzelue" hier kurz angedeuteten Punkte "och etwas näher
erläutern.

Eine äußere Erschwerung der N'echtsverfolgnng in allen wichtigern Rechts¬
sachen wurde dadurch herbeigeführt, daß man an die Stelle von <i Stadtgerichten,


Die Instizorganisation von in ministerieller Beleuchtung
1

Der Hauptcharakterzug der Justizorgauisation von 1879, wie sie uns i»
den erstattete» Berichten 'anschaulich vor Augen tritt, lag in dem Bestrebe»,
die Thätigkeit lind die Wirksamkeit des Richters so klein wie möglich zu mache».
Man beschränkte zunächst seine Thätigkeit durch Entziehung einer Anzahl von
Geschäften, für die man bisher wegen ihres engen Zusammenhanges mit der
Rechtsprechung den Richter als das naturgemäß berufene Organ betrachtet hatte.
Auf dein Gebiet der Strafrechtspflege wurde die Strafvollstreckung, die damit
in Verbindung stehende Berichterstattung in Begnadigungssachen, auch die
Gefänguisverwnltuug bei den Landgerichten den Gerichten entzogen und den
Staatsanwälten übertragen. Im Zivilprozeß wurde die Prvzeßlcitung und
die Vollziehnugsiustanz den Gerichten entzogen und für Sache der Parteien
erklärt, denen dafür der Gerichtsvollzieher zur Dienstleistung gestellt wurde.
Selbst der Gerichtsschreiber wurde ueben dein Richter für gewisse Geschäfte zu
einer selbständigen Behörde erhoben. Auch die Kostenverwaltung sollte nicht
mehr den Gerichten verbleiben; sie wurde den Finanzbehvrden übertragen. Der
Richter sollte, soweit möglich, nur noch ein Spruchcmtvmat fein, der, sobald
mau ein Plaidoher hineinwirft, sofort ein Urteil von sich giebt. Das nannte
man: den Richter der Reinheit seines Berufs wiedergeben.

Aber auch soweit man dem Richter seinen Beruf lassen mußte, suchte man
seine Wirksamkeit möglichst zu beschränken. Auf dem. Gebiete der Strafrechtspflege
wurde in allen laudgerichtlicheu Sachen die Berufung abgeschafft und dadurch die
Rechtsverteidiguug in den wichtigsten Fragen auf eine Instanz beschränkt. In
der Zivilrechtspslege erreichte man den gedachten Zweck durch vielfache Er¬
schwerungen des Rechtswegs. Es wurden möglichst große Gerichtsbezirke ge¬
macht und dadurch schon für viele Staatsangehörige das Angeben des Gerichtes
erschwert. Die dritte Instanz erhielt eine weit enger begrenzte Wirksamkeit.
Es wurde in großem Umfange der Anwaltszwang eingeführt. Dem Prozeß
wurden Einrichtungen gegeben, die die Rechtsuchenden mit weit größern Ge
fahren umgaben. Und noch ein weiteres Mittel hatte Justizminister Leonhardt
in dieser Richtung geplant, ein Mittel, das, wenn es zur Ausführung gekommen
wäre, der Justiz völlig zum Verderben gereicht hätte: auch in Zivilsache«
"sollte die Berufung abgeschafft werden. Dieser Plan gelang jedoch nicht. Er
scheiterte an dem gefunden Sinn und dem Wohlwollen der mittelstaatlichen
Minister. Dagegen kam noch nach Schluß der Organisation ein tiefcingreifendes
Mittel für die Erschwerung des Rechtsweges hinzu: die Belastung des Prozesses
mit übermäsugen Kosten.

Wir Wollen die eiuzelue» hier kurz angedeuteten Punkte »och etwas näher
erläutern.

Eine äußere Erschwerung der N'echtsverfolgnng in allen wichtigern Rechts¬
sachen wurde dadurch herbeigeführt, daß man an die Stelle von <i Stadtgerichten,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0083" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206082"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Instizorganisation von in ministerieller Beleuchtung</fw><lb/>
          <div n="2">
            <head> 1</head><lb/>
            <p xml:id="ID_305"> Der Hauptcharakterzug der Justizorgauisation von 1879, wie sie uns i»<lb/>
den erstattete» Berichten 'anschaulich vor Augen tritt, lag in dem Bestrebe»,<lb/>
die Thätigkeit lind die Wirksamkeit des Richters so klein wie möglich zu mache».<lb/>
Man beschränkte zunächst seine Thätigkeit durch Entziehung einer Anzahl von<lb/>
Geschäften, für die man bisher wegen ihres engen Zusammenhanges mit der<lb/>
Rechtsprechung den Richter als das naturgemäß berufene Organ betrachtet hatte.<lb/>
Auf dein Gebiet der Strafrechtspflege wurde die Strafvollstreckung, die damit<lb/>
in Verbindung stehende Berichterstattung in Begnadigungssachen, auch die<lb/>
Gefänguisverwnltuug bei den Landgerichten den Gerichten entzogen und den<lb/>
Staatsanwälten übertragen.  Im Zivilprozeß wurde die Prvzeßlcitung und<lb/>
die Vollziehnugsiustanz den Gerichten entzogen und für Sache der Parteien<lb/>
erklärt, denen dafür der Gerichtsvollzieher zur Dienstleistung gestellt wurde.<lb/>
Selbst der Gerichtsschreiber wurde ueben dein Richter für gewisse Geschäfte zu<lb/>
einer selbständigen Behörde erhoben.  Auch die Kostenverwaltung sollte nicht<lb/>
mehr den Gerichten verbleiben; sie wurde den Finanzbehvrden übertragen. Der<lb/>
Richter sollte, soweit möglich, nur noch ein Spruchcmtvmat fein, der, sobald<lb/>
mau ein Plaidoher hineinwirft, sofort ein Urteil von sich giebt. Das nannte<lb/>
man: den Richter der Reinheit seines Berufs wiedergeben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_306"> Aber auch soweit man dem Richter seinen Beruf lassen mußte, suchte man<lb/>
seine Wirksamkeit möglichst zu beschränken. Auf dem. Gebiete der Strafrechtspflege<lb/>
wurde in allen laudgerichtlicheu Sachen die Berufung abgeschafft und dadurch die<lb/>
Rechtsverteidiguug in den wichtigsten Fragen auf eine Instanz beschränkt. In<lb/>
der Zivilrechtspslege erreichte man den gedachten Zweck durch vielfache Er¬<lb/>
schwerungen des Rechtswegs. Es wurden möglichst große Gerichtsbezirke ge¬<lb/>
macht und dadurch schon für viele Staatsangehörige das Angeben des Gerichtes<lb/>
erschwert. Die dritte Instanz erhielt eine weit enger begrenzte Wirksamkeit.<lb/>
Es wurde in großem Umfange der Anwaltszwang eingeführt. Dem Prozeß<lb/>
wurden Einrichtungen gegeben, die die Rechtsuchenden mit weit größern Ge<lb/>
fahren umgaben. Und noch ein weiteres Mittel hatte Justizminister Leonhardt<lb/>
in dieser Richtung geplant, ein Mittel, das, wenn es zur Ausführung gekommen<lb/>
wäre, der Justiz völlig zum Verderben gereicht hätte: auch in Zivilsache«<lb/>
"sollte die Berufung abgeschafft werden. Dieser Plan gelang jedoch nicht. Er<lb/>
scheiterte an dem gefunden Sinn und dem Wohlwollen der mittelstaatlichen<lb/>
Minister. Dagegen kam noch nach Schluß der Organisation ein tiefcingreifendes<lb/>
Mittel für die Erschwerung des Rechtsweges hinzu: die Belastung des Prozesses<lb/>
mit übermäsugen Kosten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_307"> Wir Wollen die eiuzelue» hier kurz angedeuteten Punkte »och etwas näher<lb/>
erläutern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_308" next="#ID_309"> Eine äußere Erschwerung der N'echtsverfolgnng in allen wichtigern Rechts¬<lb/>
sachen wurde dadurch herbeigeführt, daß man an die Stelle von &lt;i Stadtgerichten,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0083] Die Instizorganisation von in ministerieller Beleuchtung 1 Der Hauptcharakterzug der Justizorgauisation von 1879, wie sie uns i» den erstattete» Berichten 'anschaulich vor Augen tritt, lag in dem Bestrebe», die Thätigkeit lind die Wirksamkeit des Richters so klein wie möglich zu mache». Man beschränkte zunächst seine Thätigkeit durch Entziehung einer Anzahl von Geschäften, für die man bisher wegen ihres engen Zusammenhanges mit der Rechtsprechung den Richter als das naturgemäß berufene Organ betrachtet hatte. Auf dein Gebiet der Strafrechtspflege wurde die Strafvollstreckung, die damit in Verbindung stehende Berichterstattung in Begnadigungssachen, auch die Gefänguisverwnltuug bei den Landgerichten den Gerichten entzogen und den Staatsanwälten übertragen. Im Zivilprozeß wurde die Prvzeßlcitung und die Vollziehnugsiustanz den Gerichten entzogen und für Sache der Parteien erklärt, denen dafür der Gerichtsvollzieher zur Dienstleistung gestellt wurde. Selbst der Gerichtsschreiber wurde ueben dein Richter für gewisse Geschäfte zu einer selbständigen Behörde erhoben. Auch die Kostenverwaltung sollte nicht mehr den Gerichten verbleiben; sie wurde den Finanzbehvrden übertragen. Der Richter sollte, soweit möglich, nur noch ein Spruchcmtvmat fein, der, sobald mau ein Plaidoher hineinwirft, sofort ein Urteil von sich giebt. Das nannte man: den Richter der Reinheit seines Berufs wiedergeben. Aber auch soweit man dem Richter seinen Beruf lassen mußte, suchte man seine Wirksamkeit möglichst zu beschränken. Auf dem. Gebiete der Strafrechtspflege wurde in allen laudgerichtlicheu Sachen die Berufung abgeschafft und dadurch die Rechtsverteidiguug in den wichtigsten Fragen auf eine Instanz beschränkt. In der Zivilrechtspslege erreichte man den gedachten Zweck durch vielfache Er¬ schwerungen des Rechtswegs. Es wurden möglichst große Gerichtsbezirke ge¬ macht und dadurch schon für viele Staatsangehörige das Angeben des Gerichtes erschwert. Die dritte Instanz erhielt eine weit enger begrenzte Wirksamkeit. Es wurde in großem Umfange der Anwaltszwang eingeführt. Dem Prozeß wurden Einrichtungen gegeben, die die Rechtsuchenden mit weit größern Ge fahren umgaben. Und noch ein weiteres Mittel hatte Justizminister Leonhardt in dieser Richtung geplant, ein Mittel, das, wenn es zur Ausführung gekommen wäre, der Justiz völlig zum Verderben gereicht hätte: auch in Zivilsache« "sollte die Berufung abgeschafft werden. Dieser Plan gelang jedoch nicht. Er scheiterte an dem gefunden Sinn und dem Wohlwollen der mittelstaatlichen Minister. Dagegen kam noch nach Schluß der Organisation ein tiefcingreifendes Mittel für die Erschwerung des Rechtsweges hinzu: die Belastung des Prozesses mit übermäsugen Kosten. Wir Wollen die eiuzelue» hier kurz angedeuteten Punkte »och etwas näher erläutern. Eine äußere Erschwerung der N'echtsverfolgnng in allen wichtigern Rechts¬ sachen wurde dadurch herbeigeführt, daß man an die Stelle von <i Stadtgerichten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/83
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/83>, abgerufen am 23.06.2024.