Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Litteratur gewiß auf gründlichern und ausgebreitetem Kenntnissen, als die gewöhnlich zu sein Agnes Bernauer.. Historisches Voltsschnuspiel mit Musik in fünf Akten. Von Arnold On. Stuttgart, Bonz, IM" Eine beachtenswerte Leistung und ein Zeugnis eines ungewöhnliche" dramatischen Litteratur gewiß auf gründlichern und ausgebreitetem Kenntnissen, als die gewöhnlich zu sein Agnes Bernauer.. Historisches Voltsschnuspiel mit Musik in fünf Akten. Von Arnold On. Stuttgart, Bonz, IM» Eine beachtenswerte Leistung und ein Zeugnis eines ungewöhnliche» dramatischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0494" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206493"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1700" prev="#ID_1699"> gewiß auf gründlichern und ausgebreitetem Kenntnissen, als die gewöhnlich zu sein<lb/> pflegen, über die thevlvgisirende Naturbetrachter verfüge». Nur muß gerade diese<lb/> Art von Naturbetrachtung, da sie ebenso anmutend und dem Geiste geradezu un¬<lb/> entbehrlich ist, doppelt auf der Hut sein, Dinge einzumischen, die bereits in das<lb/> Gebiet der Naturdichtung gehören und gegen die sich dort auch gewiß nichts ein¬<lb/> wenden läßt. Hier aber, wo der Geist überzeugt sein will, stören sie ihn aus der<lb/> schonen Zuversicht, in die ihn eine sonst korrekte, kritische Umwendung der Teleologie<lb/> in der Naturbetrachtung versetzt, unsanft auf und sind unsers Erachtens gerade im¬<lb/> stande, ihn in neue Kette» von Zweifeln zu verstricken. Wir meinen mit diesem<lb/> Ausfall das Kapitel über Ahnungen und seltsames Zusammentreffen in Menschen-<lb/> geschicken, die hier sehr wohl hätten wegbleiben tonnen, so wenig wir sie dem ver¬<lb/> trauten Gespräch und überhaupt jeder geistigen Unterhaltung, in der die Phantasie<lb/> das Szepter führt, rauben wollen - und können. Denn sie sind hier zu allen<lb/> Zeiten ein besondres Lieblingsthema. Aber man unterschätze die Bedeutung nicht,<lb/> die Zeit und Umgebung auch für Ideen haben. Was wir im Drama und Roman<lb/> als durchaus notwendig hinnehmen, würde uns von Katheder oder Kanzel herab,<lb/> shstemaiisch vorgetragen, bedenklich stutzig mache». Das Buch läuft in einen<lb/> Hymnus auf die christliche Religion ans, deren Bedeutung als geistige Macht in<lb/> der Menschheitsgeschichte (zumal für die Stellung des deutschen Volkes in ihr)<lb/> jedes seiner Blätter verkündet.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Agnes Bernauer.. Historisches Voltsschnuspiel mit Musik in fünf Akten. Von Arnold<lb/> On. Stuttgart, Bonz, IM»</head><lb/> <p xml:id="ID_1701" next="#ID_1702"> Eine beachtenswerte Leistung und ein Zeugnis eines ungewöhnliche» dramatischen<lb/> Talentes, von dem wir gern Kenntnis nehmen. Die Hauptschwierigkeit des Stoffes<lb/> der Agnes Bernauer liegt in dem Verhältnis zwischen Vater und Sohn, Herzog<lb/> Ernst und Albrecht: Ernst, der Mörder der unschuldigen Agnes, geht in der Geschichte<lb/> straffrei ans, und Albrecht hat sogar später noch geheiratet. Mir die Bühne ist<lb/> dieser Sieg der Roheit unerträglich, vom Parterre ans empfinden Nur nnr für und<lb/> mit Agnes, sie hat tausendmal Recht, und wir vermissen im geschichtlichen Stoff die<lb/> tragische Sühne. Hebbel hat bekanntlich in feiner tiefsinnigen Weise den Gegensatz<lb/> von Staatsvernuuft und persönlicher Leidenschaft in diesem Stoss gesehen; aber sein<lb/> Stück hat sich trotz aller Vorzüge ans der Bühne nicht einbürgern können. Grill-<lb/> parzer geht es mit der den gleichen tragischen Gedanke» enthaltenden „Jüdin von<lb/> Toledo" ebenso, sie stößt im fünften Alt ab. Ott hat sich nun in eigner Art den<lb/> Stoff zurechtgelegt, die gewaltige tragische Wucht Hebbels freilich nicht erreicht, wohl<lb/> auch gar nicht angestrebt, nach unserm Dafürhalten aber die Geschichte bühnenfähig<lb/> gemacht. Zwischen die zwei harten Köpfe Ernst und Wilhelm hat er einen dritten<lb/> Mann geschoben, den Schürer des Gegensatzes und Träger der gröbsten Schuld.<lb/> Das ist der geheime Rat des Herzogs Ernst, Warmund von Pienzenan: ein falscher<lb/> Mensch, der im Dienste von Ernsts Feind, Ludwig dem Bärtigen, das Vertrauen<lb/> Ernsts mißbraucht, ihn schlecht berät, aufsetzt gegen den eignen Sohn, um sich<lb/> wegen Beleidigungen zu rächen, die ihm der jähe, hochfahrende Herzog angethan<lb/> hat. Auf diese» Rat Warmund wird alle Schuld geschoben, und mit so viel Glück,<lb/> daß unsre Stimmung gegen Herzog Ernst so böse nicht werden kann. Dieser steht<lb/> nicht auf dem Standpunkte der Staatsvernnnft, sondern ist bloß ans Ahnen- und<lb/> Adelstolz gegen Albrecht aufgebracht, der allerdings ohne ihn zu fragen in aller<lb/> Hast und Heimlichkeit Agnes geheiratet und damit sich auch schuldig gemacht hat.<lb/> Der Bruder Ernsts, Herzog Wilhelm, spielt anfänglich eine vermittelnde Rolle, ist</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0494]
Litteratur
gewiß auf gründlichern und ausgebreitetem Kenntnissen, als die gewöhnlich zu sein
pflegen, über die thevlvgisirende Naturbetrachter verfüge». Nur muß gerade diese
Art von Naturbetrachtung, da sie ebenso anmutend und dem Geiste geradezu un¬
entbehrlich ist, doppelt auf der Hut sein, Dinge einzumischen, die bereits in das
Gebiet der Naturdichtung gehören und gegen die sich dort auch gewiß nichts ein¬
wenden läßt. Hier aber, wo der Geist überzeugt sein will, stören sie ihn aus der
schonen Zuversicht, in die ihn eine sonst korrekte, kritische Umwendung der Teleologie
in der Naturbetrachtung versetzt, unsanft auf und sind unsers Erachtens gerade im¬
stande, ihn in neue Kette» von Zweifeln zu verstricken. Wir meinen mit diesem
Ausfall das Kapitel über Ahnungen und seltsames Zusammentreffen in Menschen-
geschicken, die hier sehr wohl hätten wegbleiben tonnen, so wenig wir sie dem ver¬
trauten Gespräch und überhaupt jeder geistigen Unterhaltung, in der die Phantasie
das Szepter führt, rauben wollen - und können. Denn sie sind hier zu allen
Zeiten ein besondres Lieblingsthema. Aber man unterschätze die Bedeutung nicht,
die Zeit und Umgebung auch für Ideen haben. Was wir im Drama und Roman
als durchaus notwendig hinnehmen, würde uns von Katheder oder Kanzel herab,
shstemaiisch vorgetragen, bedenklich stutzig mache». Das Buch läuft in einen
Hymnus auf die christliche Religion ans, deren Bedeutung als geistige Macht in
der Menschheitsgeschichte (zumal für die Stellung des deutschen Volkes in ihr)
jedes seiner Blätter verkündet.
Agnes Bernauer.. Historisches Voltsschnuspiel mit Musik in fünf Akten. Von Arnold
On. Stuttgart, Bonz, IM»
Eine beachtenswerte Leistung und ein Zeugnis eines ungewöhnliche» dramatischen
Talentes, von dem wir gern Kenntnis nehmen. Die Hauptschwierigkeit des Stoffes
der Agnes Bernauer liegt in dem Verhältnis zwischen Vater und Sohn, Herzog
Ernst und Albrecht: Ernst, der Mörder der unschuldigen Agnes, geht in der Geschichte
straffrei ans, und Albrecht hat sogar später noch geheiratet. Mir die Bühne ist
dieser Sieg der Roheit unerträglich, vom Parterre ans empfinden Nur nnr für und
mit Agnes, sie hat tausendmal Recht, und wir vermissen im geschichtlichen Stoff die
tragische Sühne. Hebbel hat bekanntlich in feiner tiefsinnigen Weise den Gegensatz
von Staatsvernuuft und persönlicher Leidenschaft in diesem Stoss gesehen; aber sein
Stück hat sich trotz aller Vorzüge ans der Bühne nicht einbürgern können. Grill-
parzer geht es mit der den gleichen tragischen Gedanke» enthaltenden „Jüdin von
Toledo" ebenso, sie stößt im fünften Alt ab. Ott hat sich nun in eigner Art den
Stoff zurechtgelegt, die gewaltige tragische Wucht Hebbels freilich nicht erreicht, wohl
auch gar nicht angestrebt, nach unserm Dafürhalten aber die Geschichte bühnenfähig
gemacht. Zwischen die zwei harten Köpfe Ernst und Wilhelm hat er einen dritten
Mann geschoben, den Schürer des Gegensatzes und Träger der gröbsten Schuld.
Das ist der geheime Rat des Herzogs Ernst, Warmund von Pienzenan: ein falscher
Mensch, der im Dienste von Ernsts Feind, Ludwig dem Bärtigen, das Vertrauen
Ernsts mißbraucht, ihn schlecht berät, aufsetzt gegen den eignen Sohn, um sich
wegen Beleidigungen zu rächen, die ihm der jähe, hochfahrende Herzog angethan
hat. Auf diese» Rat Warmund wird alle Schuld geschoben, und mit so viel Glück,
daß unsre Stimmung gegen Herzog Ernst so böse nicht werden kann. Dieser steht
nicht auf dem Standpunkte der Staatsvernnnft, sondern ist bloß ans Ahnen- und
Adelstolz gegen Albrecht aufgebracht, der allerdings ohne ihn zu fragen in aller
Hast und Heimlichkeit Agnes geheiratet und damit sich auch schuldig gemacht hat.
Der Bruder Ernsts, Herzog Wilhelm, spielt anfänglich eine vermittelnde Rolle, ist
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