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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

Ich weiß nicht. Ich glaube, ich wäre wahnsinnig geworden, wenn du
nicht gekommen wärest. Ich --

Still, still! Nun ist alles vergessen, uicht wahr? Steh jetzt auf und
kleide dich an. Denn dn willst doch mit mir kommen?

Ja -- nur fort von hier!

Komm -- aber beeile dich, ich will dir helfen!

Sie wollte aus dem Bett springen, aber in demselben Augenblick -- er¬
wachte sie. Sie schaute mit wirrem Blick um sich und richtete sich dann lang¬
sam in die Hohe.

War sie denn wirklich von Sinnen? War sie wirklich eine leichtfertige
Dirne? Hatte sie der liebe Gott denn ganz von sich gestoßen und sie dem
Teufel in die Hände gegeben?

Sie griff sich mit beiden Händen ins Haar. Und mit einem Blick voll
Wahnsinn starrte sie zum Feuster hinaus, wo der breite Strom des Baches
im Mondlicht schimmerte.

War es da unter nicht weit besser? Sollte sie sich uicht lieber da draußen
verbergen, bei Anne-Mette und den vielen andern, die dort Trost für ihr
Schicksal gefunden hatten? Was hatte sie sonst noch von diesem Leben zu
erwarten? -- Aber dann mußte sie in stillen Mondscheinnüchten mit Anne-
Mette draußen im Walde wandern, nackt, mit einem Johanniswürmchen im
Haar! -- Nixen hatte er gesagt -- eine Nixe!

Sie raffte sich auf aus ihren Fieberphantasien, preßte die Hände vor
die Augen und legte sich wieder aufs Bett, um ihre Gedanken zu sammeln.

Nach einer Weile war sie fest eingeschlafen.


15

Als sie wieder erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Draußen
vor dem Fenster jubelten die Vögel, und unter auf der Wiese saug ein Hirten¬
knabe mit gellender Stimme. Sie ließ die Augen langsam durchs Zimmer
gleiten, bis sie am Fußende des Bettes Halt machten - da saß die Mutter
auf einem Stuhl und starrte sie an.

Ein Schauder durchfuhr sie. Sie wollte aufspringen, aber da ihr die
Kräfte versagten, schloß sie wieder die Augen. Was konnte das nur bedeuten?
dachte sie bei sich. Ob die Mutter etwas wußte? Aber in demselben Augen¬
blick entsann sie sich, daß Lars Einauge ihr von der Hast erzählt hatte, mit
der sich die Mutter am vorhergehenden Abend vom Markte entfernt hatte,
und es überkam sie ein Gefühl, als wenn ihre Glieder erstarrten. Sie weiß
alles, sagte sie sich.

Regungslos blieb sie liegen. Da erhob sich die Mutter und legte ihre
Hand auf die Bettdecke: Martha! du mußt aufstehen!


Junge Liebe

Ich weiß nicht. Ich glaube, ich wäre wahnsinnig geworden, wenn du
nicht gekommen wärest. Ich —

Still, still! Nun ist alles vergessen, uicht wahr? Steh jetzt auf und
kleide dich an. Denn dn willst doch mit mir kommen?

Ja — nur fort von hier!

Komm — aber beeile dich, ich will dir helfen!

Sie wollte aus dem Bett springen, aber in demselben Augenblick — er¬
wachte sie. Sie schaute mit wirrem Blick um sich und richtete sich dann lang¬
sam in die Hohe.

War sie denn wirklich von Sinnen? War sie wirklich eine leichtfertige
Dirne? Hatte sie der liebe Gott denn ganz von sich gestoßen und sie dem
Teufel in die Hände gegeben?

Sie griff sich mit beiden Händen ins Haar. Und mit einem Blick voll
Wahnsinn starrte sie zum Feuster hinaus, wo der breite Strom des Baches
im Mondlicht schimmerte.

War es da unter nicht weit besser? Sollte sie sich uicht lieber da draußen
verbergen, bei Anne-Mette und den vielen andern, die dort Trost für ihr
Schicksal gefunden hatten? Was hatte sie sonst noch von diesem Leben zu
erwarten? — Aber dann mußte sie in stillen Mondscheinnüchten mit Anne-
Mette draußen im Walde wandern, nackt, mit einem Johanniswürmchen im
Haar! — Nixen hatte er gesagt — eine Nixe!

Sie raffte sich auf aus ihren Fieberphantasien, preßte die Hände vor
die Augen und legte sich wieder aufs Bett, um ihre Gedanken zu sammeln.

Nach einer Weile war sie fest eingeschlafen.


15

Als sie wieder erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Draußen
vor dem Fenster jubelten die Vögel, und unter auf der Wiese saug ein Hirten¬
knabe mit gellender Stimme. Sie ließ die Augen langsam durchs Zimmer
gleiten, bis sie am Fußende des Bettes Halt machten - da saß die Mutter
auf einem Stuhl und starrte sie an.

Ein Schauder durchfuhr sie. Sie wollte aufspringen, aber da ihr die
Kräfte versagten, schloß sie wieder die Augen. Was konnte das nur bedeuten?
dachte sie bei sich. Ob die Mutter etwas wußte? Aber in demselben Augen¬
blick entsann sie sich, daß Lars Einauge ihr von der Hast erzählt hatte, mit
der sich die Mutter am vorhergehenden Abend vom Markte entfernt hatte,
und es überkam sie ein Gefühl, als wenn ihre Glieder erstarrten. Sie weiß
alles, sagte sie sich.

Regungslos blieb sie liegen. Da erhob sich die Mutter und legte ihre
Hand auf die Bettdecke: Martha! du mußt aufstehen!


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[0488] Junge Liebe Ich weiß nicht. Ich glaube, ich wäre wahnsinnig geworden, wenn du nicht gekommen wärest. Ich — Still, still! Nun ist alles vergessen, uicht wahr? Steh jetzt auf und kleide dich an. Denn dn willst doch mit mir kommen? Ja — nur fort von hier! Komm — aber beeile dich, ich will dir helfen! Sie wollte aus dem Bett springen, aber in demselben Augenblick — er¬ wachte sie. Sie schaute mit wirrem Blick um sich und richtete sich dann lang¬ sam in die Hohe. War sie denn wirklich von Sinnen? War sie wirklich eine leichtfertige Dirne? Hatte sie der liebe Gott denn ganz von sich gestoßen und sie dem Teufel in die Hände gegeben? Sie griff sich mit beiden Händen ins Haar. Und mit einem Blick voll Wahnsinn starrte sie zum Feuster hinaus, wo der breite Strom des Baches im Mondlicht schimmerte. War es da unter nicht weit besser? Sollte sie sich uicht lieber da draußen verbergen, bei Anne-Mette und den vielen andern, die dort Trost für ihr Schicksal gefunden hatten? Was hatte sie sonst noch von diesem Leben zu erwarten? — Aber dann mußte sie in stillen Mondscheinnüchten mit Anne- Mette draußen im Walde wandern, nackt, mit einem Johanniswürmchen im Haar! — Nixen hatte er gesagt — eine Nixe! Sie raffte sich auf aus ihren Fieberphantasien, preßte die Hände vor die Augen und legte sich wieder aufs Bett, um ihre Gedanken zu sammeln. Nach einer Weile war sie fest eingeschlafen. 15 Als sie wieder erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Draußen vor dem Fenster jubelten die Vögel, und unter auf der Wiese saug ein Hirten¬ knabe mit gellender Stimme. Sie ließ die Augen langsam durchs Zimmer gleiten, bis sie am Fußende des Bettes Halt machten - da saß die Mutter auf einem Stuhl und starrte sie an. Ein Schauder durchfuhr sie. Sie wollte aufspringen, aber da ihr die Kräfte versagten, schloß sie wieder die Augen. Was konnte das nur bedeuten? dachte sie bei sich. Ob die Mutter etwas wußte? Aber in demselben Augen¬ blick entsann sie sich, daß Lars Einauge ihr von der Hast erzählt hatte, mit der sich die Mutter am vorhergehenden Abend vom Markte entfernt hatte, und es überkam sie ein Gefühl, als wenn ihre Glieder erstarrten. Sie weiß alles, sagte sie sich. Regungslos blieb sie liegen. Da erhob sich die Mutter und legte ihre Hand auf die Bettdecke: Martha! du mußt aufstehen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/488>, abgerufen am 21.12.2024.