Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Junge Liebe
Henrik Pontoppidan Idyll von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Man"
(Schluß)
14

is Martha spät in der Nacht in ihre Kammer kam, war sie noch
so erschöpft vor Erregung, daß sie sich kaum aufrecht halten
konnte. Mechanisch, gleichsam halb im Schlaf, entkleidete sie
sich, und sobald sie ihren Kopf aufs Kissen gelegt hatte, sank
sie wieder in einen tiefen, todesähnlichen Schlummer.

Sie mochte wohl eine Stunde geschlafen haben, als sie ganz in der Nähe
ehren Namen flüstern hörte, Sie konnte es sich lauge nicht erklären, woher
der Ton kam, bis das Fenster vorsichtig von außen geöffnet wurde und eine
Gestalt hereinkrvch. Mit unsichern, tastenden, lautlosen Schritten glitt die
Gestalt über deu Fußboden, aber sie erkannte sie nicht, bevor sie das Bett
erreicht hatte und das Mondlicht auf das blonde Haar siel. Da stieß sie
einen Schrei aus. Das war er!

Hastig umschlang sie seinen Hals und ruhte dann mehrere Minuten
bewußtlos an seiner Brust.

Endlich vernahm sie seine Stimme über ihrem Haupte: Liebste, Liebste!

Sie schlug die Augen auf und schaute ihn mit einem langen, seligen und
doch schmerzlichen Blick an. Noch konnte sie nicht reden, aber mit Aufbietung
aller Kräfte schmiegte sie sich ängstlich an ihn und preßte ihre Stiru gegen
seine Schulter.

Ich wußte es, ich wußte es ja! stammelte sie endlich und fiel wie ohn-
wüchtig zurück.

Er sank auf das Bett nieder und schlang seine kalten Arme um ihren
warmen, bebenden Körper, indem er sie an sich zog! Liebste, Liebste!

Ach wie gut, daß du kamst! sagte sie leise und preßte die eine Hand vor
die Augen.

Hast du gewartet?




Junge Liebe
Henrik Pontoppidan Idyll von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Man»
(Schluß)
14

is Martha spät in der Nacht in ihre Kammer kam, war sie noch
so erschöpft vor Erregung, daß sie sich kaum aufrecht halten
konnte. Mechanisch, gleichsam halb im Schlaf, entkleidete sie
sich, und sobald sie ihren Kopf aufs Kissen gelegt hatte, sank
sie wieder in einen tiefen, todesähnlichen Schlummer.

Sie mochte wohl eine Stunde geschlafen haben, als sie ganz in der Nähe
ehren Namen flüstern hörte, Sie konnte es sich lauge nicht erklären, woher
der Ton kam, bis das Fenster vorsichtig von außen geöffnet wurde und eine
Gestalt hereinkrvch. Mit unsichern, tastenden, lautlosen Schritten glitt die
Gestalt über deu Fußboden, aber sie erkannte sie nicht, bevor sie das Bett
erreicht hatte und das Mondlicht auf das blonde Haar siel. Da stieß sie
einen Schrei aus. Das war er!

Hastig umschlang sie seinen Hals und ruhte dann mehrere Minuten
bewußtlos an seiner Brust.

Endlich vernahm sie seine Stimme über ihrem Haupte: Liebste, Liebste!

Sie schlug die Augen auf und schaute ihn mit einem langen, seligen und
doch schmerzlichen Blick an. Noch konnte sie nicht reden, aber mit Aufbietung
aller Kräfte schmiegte sie sich ängstlich an ihn und preßte ihre Stiru gegen
seine Schulter.

Ich wußte es, ich wußte es ja! stammelte sie endlich und fiel wie ohn-
wüchtig zurück.

Er sank auf das Bett nieder und schlang seine kalten Arme um ihren
warmen, bebenden Körper, indem er sie an sich zog! Liebste, Liebste!

Ach wie gut, daß du kamst! sagte sie leise und preßte die eine Hand vor
die Augen.

Hast du gewartet?


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0487" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206486"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341849_205998/figures/grenzboten_341849_205998_206486_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Junge Liebe<lb/><note type="byline"> Henrik Pontoppidan</note> Idyll von<lb/>
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Man»<lb/>
(Schluß)</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 14</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1646"> is Martha spät in der Nacht in ihre Kammer kam, war sie noch<lb/>
so erschöpft vor Erregung, daß sie sich kaum aufrecht halten<lb/>
konnte. Mechanisch, gleichsam halb im Schlaf, entkleidete sie<lb/>
sich, und sobald sie ihren Kopf aufs Kissen gelegt hatte, sank<lb/>
sie wieder in einen tiefen, todesähnlichen Schlummer.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1647"> Sie mochte wohl eine Stunde geschlafen haben, als sie ganz in der Nähe<lb/>
ehren Namen flüstern hörte, Sie konnte es sich lauge nicht erklären, woher<lb/>
der Ton kam, bis das Fenster vorsichtig von außen geöffnet wurde und eine<lb/>
Gestalt hereinkrvch. Mit unsichern, tastenden, lautlosen Schritten glitt die<lb/>
Gestalt über deu Fußboden, aber sie erkannte sie nicht, bevor sie das Bett<lb/>
erreicht hatte und das Mondlicht auf das blonde Haar siel. Da stieß sie<lb/>
einen Schrei aus.  Das war er!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1648"> Hastig umschlang sie seinen Hals und ruhte dann mehrere Minuten<lb/>
bewußtlos an seiner Brust.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1649"> Endlich vernahm sie seine Stimme über ihrem Haupte: Liebste, Liebste!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1650"> Sie schlug die Augen auf und schaute ihn mit einem langen, seligen und<lb/>
doch schmerzlichen Blick an.  Noch konnte sie nicht reden, aber mit Aufbietung<lb/>
aller Kräfte schmiegte sie sich ängstlich an ihn und preßte ihre Stiru gegen<lb/>
seine Schulter.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1651"> Ich wußte es, ich wußte es ja! stammelte sie endlich und fiel wie ohn-<lb/>
wüchtig zurück.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1652"> Er sank auf das Bett nieder und schlang seine kalten Arme um ihren<lb/>
warmen, bebenden Körper, indem er sie an sich zog! Liebste, Liebste!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1653"> Ach wie gut, daß du kamst! sagte sie leise und preßte die eine Hand vor<lb/>
die Augen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1654"> Hast du gewartet?</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0487] [Abbildung] Junge Liebe Henrik Pontoppidan Idyll von Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Man» (Schluß) 14 is Martha spät in der Nacht in ihre Kammer kam, war sie noch so erschöpft vor Erregung, daß sie sich kaum aufrecht halten konnte. Mechanisch, gleichsam halb im Schlaf, entkleidete sie sich, und sobald sie ihren Kopf aufs Kissen gelegt hatte, sank sie wieder in einen tiefen, todesähnlichen Schlummer. Sie mochte wohl eine Stunde geschlafen haben, als sie ganz in der Nähe ehren Namen flüstern hörte, Sie konnte es sich lauge nicht erklären, woher der Ton kam, bis das Fenster vorsichtig von außen geöffnet wurde und eine Gestalt hereinkrvch. Mit unsichern, tastenden, lautlosen Schritten glitt die Gestalt über deu Fußboden, aber sie erkannte sie nicht, bevor sie das Bett erreicht hatte und das Mondlicht auf das blonde Haar siel. Da stieß sie einen Schrei aus. Das war er! Hastig umschlang sie seinen Hals und ruhte dann mehrere Minuten bewußtlos an seiner Brust. Endlich vernahm sie seine Stimme über ihrem Haupte: Liebste, Liebste! Sie schlug die Augen auf und schaute ihn mit einem langen, seligen und doch schmerzlichen Blick an. Noch konnte sie nicht reden, aber mit Aufbietung aller Kräfte schmiegte sie sich ängstlich an ihn und preßte ihre Stiru gegen seine Schulter. Ich wußte es, ich wußte es ja! stammelte sie endlich und fiel wie ohn- wüchtig zurück. Er sank auf das Bett nieder und schlang seine kalten Arme um ihren warmen, bebenden Körper, indem er sie an sich zog! Liebste, Liebste! Ach wie gut, daß du kamst! sagte sie leise und preßte die eine Hand vor die Augen. Hast du gewartet?

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/487
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/487>, abgerufen am 22.07.2024.