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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Litteratur

Aus alledem ergiebt sich, was unbefangne Leser sofort bemerkt haben werden,
daß der Versuch des Aufsatzes der ,.Leipziger Zeitung," die Berechtigung der von
den staatlichen Gymnasiallehrern gehegten Wünsche anzufechten, als durchaus ge¬
scheitert betrachtet werden muß. Wenn die Entscheidung lediglich nach der Güte
der Gründe erfolgt, so kann sie nicht zweifelhaft sein.




Litteratur

Das humanistische Gymnasium und die Petition um durchgreifende Schulreform.
Von Oskar Jäger. Wiesbaden, Kuuzes Nachf., 1889. -- Humanismus und Schulzweck.
Entgegnung ans die Schrift des Professors Paulsen: Das Realgymnasium und die humanistische
Bildung. Von Fr. Pietzker. Braunschweig, sulle, 1389.

Zwei Streitschriften, beide sieghaft, wie mich dünkt. Pietzker, ein jüngerer
Streiter, liefert seinem berühmten Gegner zum mindesten einen scharfen Gang.
Es ist die leidenschaftliche Sprache eines Mannes, der um Höchstes ficht und genan
weiß, was er will. Jäger, der Nestor unsrer Gymnasialphilvlogen, der es längst
gewohnt ist, daß seine Worte, auch wenn er leise spricht, weithin vernommen
werden, wirft ohne viel Aufhebens, mit der heitern Sicherheit des sieggewohnten
Alters, seine freilich nicht minderwertigen Gegner in den Sand. Heftig, zu heftig
vielleicht, wenn man noch um die Möglichkeit einer Verständigung glaubt, wird er
nur gegen Pnulsen, den er einmal den Janssen der Geschichte des gelehrten Unter¬
richts nennt. Prehern zu vernichten, ging nicht mehr an. Das hat er durch seine
beispiellos seichte Schrift über Naturforschung und Schule bereits selber besorgt. Jäger
hat sich denn auch damit begnügt, ihn einigemal selber sprechen zu lassen. Ähnlich
steht es mit den "Realschulmännern" und einer gewissen Art von Neusprachlern.

Jägers Gedanken sind nicht von heut und gestern. Sie sind tief und reif
und von entzückender Süße, wenn er einmal vom Eigensten giebt. Aber, wenn
man alles Zufällige, durch die Polemik Gebotene abstreift, so hätte das meiste
genan so auch vor zwanzig Jahren gesagt werden können. Inzwischen ist denn
doch im deutschen Geistesleben allerlei geschehen. Victors Schrift Yumrsczue
t-Mäizin, dem Tone nach ist sie freilich nicht viel mehr als ein "rüdes Gepolter,"
aber sinnlos ist sie nicht. Und völlig unrecht wäre es, die tiefgehende Umwälzung
in der wissenschaftlichen Auffassung der Sprache nach diesen und ähnlichen knrz-
därmigen Agitationsschriften zu beurteilen. Die Praxis hat denn auch vielfach
schon begonnen, mit dem alten grammatischen Schlendrian zu brechen, und ohne
Einfluß auf die äußere Gestaltung des Gymnasiallehrplanes wird dies schwerlich
bleiben.

Sehr richtig ist, was Jäger vom lateinischen Aufsatz sagt. Die Beibehaltung ist
ihm keine Kabinetsfrage; dieser Position eine entscheidende Bedeutuug beizumessen,
ist ihm ein schwerer taktischer Fehler bei der Verteidigung unsrer Festung. Der
lateinische Aufsatz "kann sehr fruchtbar behandelt werden, und dem Lehrer, der sich
das getrauen darf, sollte man nicht wehren; daß er mit Notwendigkeit zum Phrasen-


Litteratur

Aus alledem ergiebt sich, was unbefangne Leser sofort bemerkt haben werden,
daß der Versuch des Aufsatzes der ,.Leipziger Zeitung," die Berechtigung der von
den staatlichen Gymnasiallehrern gehegten Wünsche anzufechten, als durchaus ge¬
scheitert betrachtet werden muß. Wenn die Entscheidung lediglich nach der Güte
der Gründe erfolgt, so kann sie nicht zweifelhaft sein.




Litteratur

Das humanistische Gymnasium und die Petition um durchgreifende Schulreform.
Von Oskar Jäger. Wiesbaden, Kuuzes Nachf., 1889. — Humanismus und Schulzweck.
Entgegnung ans die Schrift des Professors Paulsen: Das Realgymnasium und die humanistische
Bildung. Von Fr. Pietzker. Braunschweig, sulle, 1389.

Zwei Streitschriften, beide sieghaft, wie mich dünkt. Pietzker, ein jüngerer
Streiter, liefert seinem berühmten Gegner zum mindesten einen scharfen Gang.
Es ist die leidenschaftliche Sprache eines Mannes, der um Höchstes ficht und genan
weiß, was er will. Jäger, der Nestor unsrer Gymnasialphilvlogen, der es längst
gewohnt ist, daß seine Worte, auch wenn er leise spricht, weithin vernommen
werden, wirft ohne viel Aufhebens, mit der heitern Sicherheit des sieggewohnten
Alters, seine freilich nicht minderwertigen Gegner in den Sand. Heftig, zu heftig
vielleicht, wenn man noch um die Möglichkeit einer Verständigung glaubt, wird er
nur gegen Pnulsen, den er einmal den Janssen der Geschichte des gelehrten Unter¬
richts nennt. Prehern zu vernichten, ging nicht mehr an. Das hat er durch seine
beispiellos seichte Schrift über Naturforschung und Schule bereits selber besorgt. Jäger
hat sich denn auch damit begnügt, ihn einigemal selber sprechen zu lassen. Ähnlich
steht es mit den „Realschulmännern" und einer gewissen Art von Neusprachlern.

Jägers Gedanken sind nicht von heut und gestern. Sie sind tief und reif
und von entzückender Süße, wenn er einmal vom Eigensten giebt. Aber, wenn
man alles Zufällige, durch die Polemik Gebotene abstreift, so hätte das meiste
genan so auch vor zwanzig Jahren gesagt werden können. Inzwischen ist denn
doch im deutschen Geistesleben allerlei geschehen. Victors Schrift Yumrsczue
t-Mäizin, dem Tone nach ist sie freilich nicht viel mehr als ein „rüdes Gepolter,"
aber sinnlos ist sie nicht. Und völlig unrecht wäre es, die tiefgehende Umwälzung
in der wissenschaftlichen Auffassung der Sprache nach diesen und ähnlichen knrz-
därmigen Agitationsschriften zu beurteilen. Die Praxis hat denn auch vielfach
schon begonnen, mit dem alten grammatischen Schlendrian zu brechen, und ohne
Einfluß auf die äußere Gestaltung des Gymnasiallehrplanes wird dies schwerlich
bleiben.

Sehr richtig ist, was Jäger vom lateinischen Aufsatz sagt. Die Beibehaltung ist
ihm keine Kabinetsfrage; dieser Position eine entscheidende Bedeutuug beizumessen,
ist ihm ein schwerer taktischer Fehler bei der Verteidigung unsrer Festung. Der
lateinische Aufsatz „kann sehr fruchtbar behandelt werden, und dem Lehrer, der sich
das getrauen darf, sollte man nicht wehren; daß er mit Notwendigkeit zum Phrasen-


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[0399] Litteratur Aus alledem ergiebt sich, was unbefangne Leser sofort bemerkt haben werden, daß der Versuch des Aufsatzes der ,.Leipziger Zeitung," die Berechtigung der von den staatlichen Gymnasiallehrern gehegten Wünsche anzufechten, als durchaus ge¬ scheitert betrachtet werden muß. Wenn die Entscheidung lediglich nach der Güte der Gründe erfolgt, so kann sie nicht zweifelhaft sein. Litteratur Das humanistische Gymnasium und die Petition um durchgreifende Schulreform. Von Oskar Jäger. Wiesbaden, Kuuzes Nachf., 1889. — Humanismus und Schulzweck. Entgegnung ans die Schrift des Professors Paulsen: Das Realgymnasium und die humanistische Bildung. Von Fr. Pietzker. Braunschweig, sulle, 1389. Zwei Streitschriften, beide sieghaft, wie mich dünkt. Pietzker, ein jüngerer Streiter, liefert seinem berühmten Gegner zum mindesten einen scharfen Gang. Es ist die leidenschaftliche Sprache eines Mannes, der um Höchstes ficht und genan weiß, was er will. Jäger, der Nestor unsrer Gymnasialphilvlogen, der es längst gewohnt ist, daß seine Worte, auch wenn er leise spricht, weithin vernommen werden, wirft ohne viel Aufhebens, mit der heitern Sicherheit des sieggewohnten Alters, seine freilich nicht minderwertigen Gegner in den Sand. Heftig, zu heftig vielleicht, wenn man noch um die Möglichkeit einer Verständigung glaubt, wird er nur gegen Pnulsen, den er einmal den Janssen der Geschichte des gelehrten Unter¬ richts nennt. Prehern zu vernichten, ging nicht mehr an. Das hat er durch seine beispiellos seichte Schrift über Naturforschung und Schule bereits selber besorgt. Jäger hat sich denn auch damit begnügt, ihn einigemal selber sprechen zu lassen. Ähnlich steht es mit den „Realschulmännern" und einer gewissen Art von Neusprachlern. Jägers Gedanken sind nicht von heut und gestern. Sie sind tief und reif und von entzückender Süße, wenn er einmal vom Eigensten giebt. Aber, wenn man alles Zufällige, durch die Polemik Gebotene abstreift, so hätte das meiste genan so auch vor zwanzig Jahren gesagt werden können. Inzwischen ist denn doch im deutschen Geistesleben allerlei geschehen. Victors Schrift Yumrsczue t-Mäizin, dem Tone nach ist sie freilich nicht viel mehr als ein „rüdes Gepolter," aber sinnlos ist sie nicht. Und völlig unrecht wäre es, die tiefgehende Umwälzung in der wissenschaftlichen Auffassung der Sprache nach diesen und ähnlichen knrz- därmigen Agitationsschriften zu beurteilen. Die Praxis hat denn auch vielfach schon begonnen, mit dem alten grammatischen Schlendrian zu brechen, und ohne Einfluß auf die äußere Gestaltung des Gymnasiallehrplanes wird dies schwerlich bleiben. Sehr richtig ist, was Jäger vom lateinischen Aufsatz sagt. Die Beibehaltung ist ihm keine Kabinetsfrage; dieser Position eine entscheidende Bedeutuug beizumessen, ist ihm ein schwerer taktischer Fehler bei der Verteidigung unsrer Festung. Der lateinische Aufsatz „kann sehr fruchtbar behandelt werden, und dem Lehrer, der sich das getrauen darf, sollte man nicht wehren; daß er mit Notwendigkeit zum Phrasen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/399>, abgerufen am 23.06.2024.